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Der französische Präsident Emmanuel Macron hört bei der Sicherheitskonferenz in München der Rede Wolfgang Ischingers zu.
© AFP/Christof Stache

Europa braucht einen neuen Aufbruch: Das Warten auf andere muss ein Ende haben – sonst ist der Westen nicht zu retten

Die alte Welt, in der die USA die Dinge für Europa regelten, kommt nicht wieder. Nun suchen alle nach neuen Partnern. Richtig so! Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Ist der Westen in der Krise? Und wenn ja, ist er noch zu retten? Auch nach zwei langen Tagen des Dauerredens (immerhin das eine „westliche“ Tugend, die in München einwandfrei funktioniert) ergibt sich kein klares Bild. Die „Selbstverständlichkeit“ des Westens sei dahin, sagt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Der französische Präsident Emmanuel Macron spricht von einer „Schwächung“. Der amerikanische Außenminister Mike Pompeo widerspricht: „Der Westen gewinnt, zusammen gewinnen wir“, schmettert er.

Da ist es, jenes Trumpsche Denken, das Teil des Problems ist. Der amerikanische Präsident sieht die Welt als ein Nullsummenspiel, in der automatisch einer verliert, wenn ein anderer gewinnt.

Für Trump, sagt der Politikwissenschaftler Joseph Nye auf der Konferenz, sei Außenpolitik eine Abfolge von Spielen, die es zu gewinnen gelte, Spiele mit klaren Gegnern. Was Trump nicht verstehe: dass er Runden ein und desselben Spiels spiele, eines Spiels, in dem Mitspieler gleichzeitig Gegner sein können – und andere Teilnehmer ihre Strategie mit jeder Runde anpassen. Sie verlieren zum Beispiel Vertrauen, wenn Trump falsch spielt.

Die Welt, das zeigt die Konferenz, befindet sich gerade inmitten einer strategischen Anpassung an neue Spielweisen anderer Mitspieler – nicht nur der USA. Mit einem neuen Blockdenken oder gar der Beschwörung eines neuen „Kalten Krieges“ zwischen den „Systemrivalen“ Westen und China lässt sich dieser Prozess nicht beschreiben – so willkommen diese Geschichte manchen sein mag, als Kleber, um den alten transatlantischen Zusammenhalt zu kitten. Der Westen wird kein „Block“ mehr. In einer globalisierten Welt ist niemand nur Gegner, sondern immer irgendwie auch Partner – sei es bei der Bekämpfung einer Virusepidemie oder des Klimawandels oder im Handel.

Der Westen ist gefangen zwischen Dringlichkeit und Unfähigkeit

Der Westen ist also weiterhin „in limbo“, wie die Amerikaner sagen würden, im Schwebezustand. Limbo, das ist auch die Vorhölle: Und das trifft auch ein Gefühl, das Gefangensein zwischen Dringlichkeit und Unfähigkeit. Die Dringlichkeit ist in jeder Hinsicht groß. In Syrien und in der Ostukraine sterben weiter Menschen. Doch alle warten auf etwas: Frankreich wartet auf Deutschland. Deutschland wartet auf die US-Wahl im Dezember. Die USA warten auf Europa. Die Schuld für das Dilemma schiebt man sich gegenseitig in die Schuhe.

Dennoch gibt es nach wie vor Grund zum Optimismus. Das Interesse aneinander ist in der Krise sogar gewachsen. Im Maschinenraum der westlichen Weltpolitik sind die Kontakte eng und produktiv. Wenn es darum geht, ob man chinesische Technologie in neuen 5G-Mobilfunknetzen verbauen darf, sind sich zwar weder die Europäer untereinander einig, noch Europa mit den USA. Doch man redet, tauscht Informationen aus, ja, macht auch Druck. Aber die Herausforderung, mit dem schwierigen Partner-Gegner China zurechtzukommen, ist für alle gleich.

Alle suchen außerdem neue Partner. Und das ist auch richtig so: Das Warten muss ein Ende haben. Europa kann nicht auf das Ende der Ära Merkel warten, Deutschland nicht auf die Wahl in den USA. Die alte Welt, in der eine interventionistische Weltmacht USA die Dinge für Europa regelte, kommt nicht wieder. „It’s over!“, ruft eine amerikanische Politikerin einer Runde europäischer Kollegen zu. Und das stimmt. It’s over. Das heißt aber auch: The time is now.

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