Münchener Sicherheitskonferenz: Auf der Suche nach dem verlorenen Westen
Bedroht von Corona und Trump, Demokratie-Gefährdungen und Rechtspopulismus. Die Uneinigkeit des Westens wirkt sich auf die ganze Welt aus, wie die MSC zeigt.
Annegret Kramp-Karrenbauer beginnt etwas überraschend, es soll eigentlich um den Kampf gegen den IS gehen. „Wir haben eine unruhige innenpolitische Situation“, betont die Verteidigungsministerin im Beisein ihres US-Kollegen Mark Esper. Stille im vollen Saal des Bayerischeren Hofs in München. Will sie nochmal etwas Neues sagen zu dem politischen Beben in Deutschland in dieser Woche, zur Suche nach ihrem Nachfolger als CDU-Chef und einem Kanzlerkandidaten?
Kramp-Karrenbauer meint jedoch die innenpolitische Situation im Irak; sie lenkt nach einer turbulenten Woche den Fokus darauf, dass es auch da draußen mächtig stürmt. Kramp-Karrenbauer und Esper haben am Rande der Sicherheitskonferenz in München mit elf weiteren Verteidigungsministern und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg über den Kampf gegen den IS beraten – er soll fortgesetzt werden, auch wenn die Details noch zu klären sind. Deutschland ist mit der Ausbildung kurdischer Sicherheitskräfte im irakischen Erbil beteiligt.
Außerdem steuert die Luftwaffe von Jordanien aus die Luftaufklärung mit Tornadojets über Syrien und dem Irak. Sie hat auch Tankflugzeuge im Einsatz, laut Mandat aber nur noch bis 31. März. Nachdem die USA den iranischen General Qasem Soleimani in Bagdad getötet haben, gibt es im Irak Vorbehalte gegen den Einsatz der ausländischen Anti-IS-Koalition.
Der IS droht wieder zu erstarken. Schuld daran wäre dann auch die Uneinigkeit des Westens und der überstürzte US-Abzug aus Syrien, das Im-Stich-Lassen der Kurden, die eine Stütze sind im Kampf gegen den islamistischen Terror.
München – das ist das wichtigste sicherheitspolitische Treffen des Jahres, wo genau diese Krisen besprochen werden. 3900 Polizisten sichern die Konferenz. 35 Staats- und Regierungschefs sind dabei, rund 100 Minister. Als ganz neues Risiko, vor allem auch ökonomisch, wird das Coronavirus gesehen. Es ist auch in München präsent: Überall hängen Desinfektions-Spender.
Doch es geht zum Auftakt vor allem um ein anders Virus, das des Nationalismus, Populismus und Militarismus. „Die Demokratien im Westen sind unter großem Druck“, sagt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble während einer Diskussion mit der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. Die sieht „zynische Akteure“ am Werk, denen Regeln einfach egal seien. Doch auch wenn Donald Trump im November abgewählt werden sollte, der Status Quo ante wird sicher nicht mehr erreicht.
Die Welt von 2020 ist eine andere
Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Saal betritt, grüßt er John Kerry. Als Außenminister hatten beide das Atomabkommen mit dem Iran ausgearbeitet, das 2015 geschlossen wurde. Es liegt in Trümmern, der Iran könnte wieder nach der Atombombe streben. Sie bietet für einige Staaten eine Überlebensgarantie in dieser Zeit zerfallender Allianzen.
Die Militärausgaben sind laut einem Bericht des Internationalen Instituts für Strategische Studien auf dem höchsten Stand seit zehn Jahren. Allein die USA und China investierten 2019 jeweils 6,6 Prozent mehr. „Wir werden heute Zeugen einer zunehmend destruktiven Dynamik der Weltpolitik“, sagt Steinmeier.
Als Außenminister hatte er 2014 in München gesagt: „Deutschland muss bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen.“ Er pflichtete damals Bundespräsident Joachim Gauck bei, der forderte, Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen, auch militärisch.
Die Welt von 2020 ist eine andere. Das „Wir“ des Westens von damals sei heute nicht mehr selbstverständlich, sagt Steinmeier jetzt. Anders als früher könne man nicht mehr davon ausgehen, „dass die großen Mächte ein Interesse an einer gelingenden europäischen Integration haben“, sagt Steinmeier.
Steinmeier: „Jeder der großen Spieler sucht seine eigenen Vorteile“
Gemeint ist auch die US-Regierung von Donald Trump. „Jeder der großen Spieler sucht seine eigenen Vorteile – auch auf Kosten der Einheit Europas.“ Emmanuel Macron habe aber recht, wenn er sage, es gehe nicht darum, sich mit oder ohne Washington verteidigen zu wollen. Die Sicherheit Europas gründe auf einem starken Bündnis mit Amerika. Aber: „Den Verlust von Diplomatie, von tragenden Säulen unserer Sicherheitsarchitektur, von Rüstungskontrollverträgen und internationalen Abkommen können wir nicht durch Panzer, Kampfjets und Mittelstreckenraketen kompensieren.“
Das ist seine eigentliche Botschaft: „Diese allzu simplen Debattenkategorien der jüngeren Vergangenheit sollten wir hinter uns lassen. Im Gegenteil: Wenn wir nicht Wege zurück finden in die Respektierung des Völkerrechts, (…) dann werden wir uns in einigen Jahren zum Schaden aller weltweit totrüsten.“
Um die „Krise des Westens“ zu beschreiben, hat die Sicherheitskonferenz einen eigenen Begriff erfunden: „Westlessness - Westlosigkeit“. Eine innere wie äußere Krise zugleich: der Aufstieg populistischer Parteien, der Vertrauensverlust in demokratische Institutionen und der Verlust an Einfluss in der Welt. Diese Krise des Westens ist schon fast ein Topos geworden. Es stapeln sich die Bücher kluger Köpfe mit ähnlicher Diagnose. „Der Westen ist nicht länger selbstverständlich“, sagt zum Beispiel der Publizist Ivan Krastev in München. Er hat ein Buch geschrieben, das erklärt, warum nationalistische und anti-freiheitliche Bewegungen Einfluss gewinnen.
Fukuyama: „Die Leute leben nicht gern in autoritären Staaten“
In den meisten Büchern zur aktuellen Situation darf ein Hinweis auf Francis Fukuyama und nicht fehlen. Der US-Politikwissenschaftler hatte 1989 den Sieg der liberalen Demokratie und das „Ende der Geschichte“ verkündet. Auch Fukuyama nimmt in diesem Jahr an der Sicherheitskonferenz teil. Am Freitagmorgen ist er bei einer Nebenveranstaltung des American Council on Germany zu Gast.
Ja, gibt er freimütig zu, viele Prognosen hätten sich nicht bewahrheitet. Optimistisch ist er dennoch immer noch – und damit an diesem recht düsteren Konferenztag einer der wenigen. Noch immer, erklärt Fukuyama, sei die liberale Demokratie doch sehr attraktiv. „Die Leute leben nicht gern in autoritären Staaten - und wir haben gerade in den letzten Jahren in vielen Ländern, in Georgien, in der Ukraine, in Venezuela, im Sudan starke Bewegungen für mehr Demokratie gesehen.“
Auch sein eigenes Land, die USA, hat Fukuyama längst nicht aufgegeben. Den Demokraten rät er: „Alles, was sie tun müssen, ist Bernie Sanders und Elizabeth Warren nicht zu nominieren. Stellt einen Zentrumskandidaten auf und ihr werdet Donald Trump besiegen!“
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