Nato-Manöver Defender 2020 startet: Das sind die Routen der 40.000 Soldaten – und das sind die Kosten
Das Manöver „Defender 2020“ rollt auf Deutschland zu – erste US-Panzer sind da. Bald ist mit Behinderungen zu rechnen. Wie wird Russland reagieren?
Lange Güterzüge. Nächtliche Transportkolonnen auf den Autobahnen. Panzer auf Binnenschiffen im Ruhrgebiet. So beschreibt die Bundeswehr selbst die sichtbarsten Auswirkungen des Manövers „Defender Europe 2020“ auf Deutschland, der größten Truppenverlegung der USA nach Europa seit 25 Jahren. Denn Deutschland wird als „Drehscheibe“ im Zentrum der Übung stehen.
Am Freitag ist die heiße Phase der Übung gestartet: Nach mehrwöchiger Fahrt über den Atlantik treffen die ersten Panzer und anderes Gerät von rund 20.000 Soldaten aus den USA in Bremerhaven ein. Von dort werden Material und Soldaten über Straßen und Schienen transportiert. Dass aber Panzer über die Straßen rollen, ist nicht geplant. Auf dem Flughafen in Hamburg treffen die ersten US-Soldaten ein.
Die verschiedenen Phasen von „Defender 2020“:
- Die Phase eins dauerte seit Ende Januar und läuft bis April 2020. In dieser Zeit wurde das eingelagerte US-Material aus Depots in Deutschland und Belgien auf Truppenübungsplätze in Bergen und Grafenwöhr sowie in Polen verlegt.
- Die Phase zwei dauert von Ende Februar bis Anfang Mai 2020. Jetzt wird das Personal und weiteres Material von den USA nach Europa verlegt. Deutschland wird zur Drehscheibe.
- Die Phase drei dauert von Ende April bis Ende Mai 2020. Material und Truppen werden aus Deutschland nach Polen verlegt.
- Abschlussübung: Ende Mai 2020 findet in Bergen eine Abschlussübung statt, an der das deutsche Heer teilnimmt.
- Rückverlegung: Die Rückverlegung dauert von Ende Mai bis Juli 2020. Die Streitkräfte der USA und Deutschlands kehren wieder an ihre Heimatstandorte zurück.
Für die Kosten von Defender 2020 für Deutschland liegen bisher noch keine seriösen Berechnungen vor. Doch Bundeswehrkreise bestätigten dem Tagesspiegel grobe Schätzungen auf der Grundlage zurückliegender Erfahrungswerte von circa 2,5 Millionen Euro. Diese Bedarfsanalyse der beteiligten Teilstreitkräfte bezieht sich auf die Verlegung von Material und Personal, die Unterbringung sowie die Bereitstellung von Infrastrukturen. Weitere Kostenposten könnten indes noch dazu kommen.
Die Bundeswehr ist sich der Auswirkungen auf die deutsche Bevölkerung wohl bewusst. Von Kolonnen „auch in den Osterferien“ schreibt sie in Unterlagen, die dem Tagesspiegel vorliegen. Es sei „kein Geheimnis“, dass das Manöver zum „Belastungstest für die deutschen Fähigkeiten hinsichtlich Genehmigungsverfahren, Verkehrsinfrastruktur, Eisenbahnkapazitäten“ werde.
Im Klartext heißt das: Mit Staus und Behinderungen auf den Straßen wird zu rechnen sein – obwohl die Streitkräfte keine Auswirkungen auf den Personenverkehr der Bahn erwarten. Um die Belastung für die Bevölkerung zu minimieren, soll der Großteil der Transporte nachts zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr rollen. „Wenn es gut geht, wird man es nicht bemerken“, sagte Generalleutnant Martin Schelleis, Inspekteur der Streitkräftebasis der Bundeswehr.
Die Hauptrouten durch Deutschland führen den Angaben zufolge über Aachen, Dortmund, Hannover, Berlin und Frankfurt (Oder) sowie von Bremerhaven über Hamburg und Berlin nach Stettin. Weiter südlich soll es zudem über Mannheim und Dresden Richtung Görlitz gehen. Der Schwerpunkt der Übungen im Rahmen von „Defender Europe 2020“ liegt in Osteuropa, insbesondere in Polen.
Diese Orte spiele bei „Defender 2020" eine Rolle:
- Ulm: Hier liegt der neue Nato-Kommandostandort zur Verbesserung der Transporte von Personal und Material.
- Grafenwöhr: Hier befindet sich ein Truppenübungsplatz.
- Bergen: Hier befindet sich eine Großtankanlage, ein Truppenübungsplatz und eine Eisenbahn-Rampe. Über die sollen 450 Panzer oder andere Fahrzeuge sowie 40 Pioniermaschinen verladen werden.
- Garlstedt, Burg, Oberlausitz: Diese "Verlegeunterstützung" genannten Servicepunkte stellen Treibstoff bereit, setzen Material in Stand und leisten ärztliche Versorgung. Hier können die Soldaten auch übernachten, die Bundeswehr bewacht diese Center.
- Berlin: Über den Flughafen werden Truppen per Luft verlegt.
- Ramstein, München, Nürnberg, Frankfurt, Hamburg: Auch in diesen Städten können die Flughäfen eine Rolle spielen.
- Bremerhaven, Bremen, Duisburg, Krefeld: Über diese Standorte kann Material verlegt werden.
Insgesamt nehmen an der Übung rund 37.000 Soldaten teil, davon knapp 20.000 US-Soldaten. Etwa 33.000 Fahrzeuge, Anhänger und Container werden bewegt, mindestens 450 Panzer verladen, und an 48-Konvoi-Tagen sind insgesamt bis zu 100 Bahntransporte geplant. Die Bundeswehr unterstützt die US-Truppenverlegung mit bis zu 1500 Soldaten und beteiligt sich mit bis zu 4000 Soldaten an den eigentlichen Manövern. Für Sicherheitsvorkehrungen ist die Landespolizei auf der Straße zuständig, Feldjäger begleiten die Transporte.
Das sind die wichtigsten Fakten zum Umfang von „Defender 2020“:
- Bei dem Manöver „Defender 2020“ handelt es sich um die größte Truppenverlegung der USA nach Europa seit 25 Jahren.
- An dem Manöver „Defender 2020“ sind bis zu 37.000 Soldaten beteiligt.
- Knapp 19.000 Soldaten aus den USA beteiligen sich, es sollen nie mehr als 13.000 von ihnen zeitgleich in Deutschland sein.
- Es werden 19 Nationen beteiligt sein.
- Das Manöver zieht sich über sieben Länder.
- Zehn Seehäfen und 14 Flughäfen werden angesteuert.
- An 48-Konvoi-Tagen sind insgesamt bis zu 100 Bahntransporte geplant.
Auch international wird Defender 2020 genau beäugt. Mindestens 56 Nationen – darunter Russland und Weißrussland – wollen die Aktion mit Übungsbeobachtern in den Blick nehmen. Im Bundesverteidigungsministerium erklärt man zwar, die Übung sei längerfristig angelegt. „Sie ist nicht gegen Russland gerichtet“, betont etwa Generalleutnant Schelleis.
Doch in den Unterlagen, die dem Tagesspiegel vorliegen heißt es auch: „Ausgangspunkt … war der Nato-Gipfel in Wales 2014 – der ganz im Schatten der russischen Annexion der Krim und der damit beginnenden neuen russischen Expansionspolitik stand.“ Der stellvertretende Kommandeur der US Army Europe, Major General Andrew Rohling, spricht von einem grundsätzlichen Signal, dass die USA ihrer Verantwortung für Europa und die Nato-Partner gerecht würden.
Der Grünen-Verteidigungspolitiker Tobias Lindner betont, dass zu einem Erfolg der Übung auch gehöre, dass auf eine dauerhafte Stationierung von mehr US-Soldaten in Deutschland und Europa verzichtet werden könne. „Es ist wichtig, dass im Hinblick auf das Verhältnis der Nato zu Russland ein gegenseitiges Hochschaukeln, Missverständnisse und Drohgebärden vermieden werden“, sagte er dem Tagesspiegel.
Lindner äußert zudem Verständnis für eine mögliche Skepsis der Bevölkerung. „Etwaige Schäden, die beispielsweise an Straßen entstehen können, müssen schnell und unbürokratisch beseitigt werden“, sagte er. Im Sächsischen Landtag hat die Linke bereits zum Protest aufgerufen. „Diese Großübung ist eine Provokation gegenüber Russland und Ausdruck eines falschen Feindbildes und massiver Geld- und Ressourcenverschwendung“, sagte die Abgeordnete Antonia Mertsching. Die Zeiten von Abschreckung als Form von Sicherheitspolitik seien vorbei.
Greenpeace-Aktivistinnen und Aktivisten protestierten in Bremerhaven mit einem Schlauchboot, das ein Banner mit der Aufschrift „Stop War Games, save Peace!“ trägt. „Diese Kriegsübung ist eine gezielte Machtdemonstration und Provokation gegenüber Russland,” sagt Christoph von Lieven, Sprecher von Greenpeace Deutschland. Die Bundesregierung solle die Teilnahme am Manöver umgehend stoppen.
Auch in Sachsen-Anhalt hat die Friedensinitiative „Offene Heide“ bereits erste Gegenaktionen zum Nato-Großmanöver geplant. Und der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD), hatte erst kürzlich im Tagesspiegel-Interview darauf hingewiesen, dass es aufgrund der Größenordnung von Defender 2020 durchaus zu Friedensdemos wie in den 80er Jahren kommen könne.
Sollte es in Deutschland tatsächlich zu Protestaktionen kommen, sieht man das bei der Bundewehr nicht als Problem. Proteste seien völlig in Ordnung, „solange sie geordnet und im Rechtsrahmen ablaufen“, sagte Generalleutnant Schelleis.
Laut dem Online-Militärfachmagazin „Breakingdefense“ werden sich die Kosten allein in den USA für die Truppen- und Materialverlegungen auf etwa 340 Millionen Dollar belaufen. Die hohen Kosten für Militärübungen waren auch schon Ende der 80er-Jahre bei den Reforger-Manövern ein großes Thema. Damals kamen jedoch auch zahlreiche Verkehrsunfälle hinzu: 1988 etwa wurden allein in Bayern beim Herbstmanöver 361 gezählt. Es gab 35 Schwerverletzte und sechs Tote.