Genmanipulierte Babys in China: Das Sein steht über dem Design
In China sollen erste genmanipulierte Babys geboren worden sein. Spielen Forscher hier Gott – oder hilft der medizinische Fortschritt? Ein Kommentar.
Vor mehr als 40 Jahren, am 25. Juli 1978, wurde Louise geboren – und die Welt stand kopf. Louise war das erste Retortenbaby, die Eizelle, aus der es entstand, war in einem Reagenzglas befruchtet worden. Keiner wusste, ob es Langzeitschäden geben würde. Zur Faszination kam folglich Entsetzen. Der Mensch spielt Gott, hieß es, er greift in die natürliche Ordnung der Dinge ein. 32 Jahre später erhielt Robert Edwards, der das Verfahren entwickelt hatte, den Medizinnobelpreis. Seine Arbeiten seien ein „Meilenstein der modernen Medizin“. Viele Millionen Elternpaare, die unter Unfruchtbarkeit leiden, haben seitdem durch die In-vitro-Fertilisation ein Kind bekommen.
In China wurden vor einigen Wochen Lulu und Nana geboren. Und wieder steht die Welt kopf. Denn die Zwillinge stammen nicht nur aus der Retorte, sondern ihr Erbgut wurde manipuliert. Der Eingriff an den Embryonen soll Lulu und Nana resistent machen gegen HIV und andere Krankheiten. Möglich macht das die Genschere „CRISPR/Cas9“, kurz Crispr. Mit diesem relativ billigen und einfachen Werkzeug können Gene nach Belieben entfernt, ersetzt oder umgeschrieben werden. „Zwei wunderschöne kleine chinesische Mädchen kamen vor einigen Wochen weinend und so gesund wie jedes andere Baby zur Welt“, sagt der Forscher He Jiankui von der Southern University of Science in der südchinesischen Stadt Shenzhen.
Sollte die Geschichte von Lulu und Nana von unabhängiger Seite bestätigt werden, wäre sie eine Sensation. Wieder wird es heißen, der Mensch spiele Gott und greife in die natürliche Ordnung der Dinge ein. Die Technik sei noch viel zu fehleranfällig und riskant, sie könne Mutationen zur Folge haben, die dann ihrerseits von Generation zu Generation weitergegeben würden.
Aus Menschen werden Mutanten, eine Horrorvorstellung. In Deutschland, den USA und vielen anderen Ländern sind derartige Genmanipulationen verboten. In China hat man offenbar weniger Bedenken. „Die Forschung scheint von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften zumindest nicht ungedeckt zu sein“, sagt Peter Dabrock, der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats. „Es liegt nahe zu vermuten, dass es hierbei auch darum geht, die Führerschaft der Chinesen im Bereich Lebenswissenschaft zu demonstrieren.“ Dabrock geißelt die „unverantwortlichen Menschenversuche“. Die Zukunft der genveränderten Kinder sei vollkommen ungewiss.
Die Chancen nicht ausblenden
Andererseits: Wäre es nicht wie ein glückliches Wunder, wenn es durch Erbgutveränderungen möglich sein sollte, die Wahrscheinlichkeit von Krankheiten wie Herzmuskelschwäche, Sichelzellenanämie, Krebs oder gar Diabetes und Demenz drastisch zu reduzieren? Mittels der Genschere würde die Veranlagung für eine Krankheit einfach weggeschnitten. Ein Traum würde wahr für viele erblich vorbelastete Paare.
Wäre, sollte, würde, hätte – noch herrschen Konjunktive in der Welt der wissenschaftlichen Verheißungen. Wer auf diese aber allein mit dem Empörungshammer draufschlägt, blendet die Chancen aus. Ja, es ist ein Tabubruch, der sich, theologisch gesprochen, auch als Tod der Schöpfung kritisieren lässt. Dem steht allerdings eine erhoffte Minderung menschlichen Leidens gegenüber, die es ebenfalls verdient hat, in die Waagschale geworfen zu werden.
Ein reifes moralisches Urteil muss Differenzierungen vornehmen. Genveränderungen sind der elementare Bestandteil der Evolution, die Vorstellung einer ewig gleichen menschlichen Keimbahn ist falsch. Nicht, dass Gene verändert werden, schreckt auf, sondern dass sie durch Menschen verändert werden. Doch auch die Natur hat unsere Gene nicht optimal werden lassen, andernfalls gäbe es keine Erbkrankheiten. Die Frage, wer der bessere Erbveränderer ist, Mensch oder Natur, kann abschließend nicht beantwortet werden.
Entscheidend für die Bewertung von Genmanipulationen ist die Motivation der Manipulateure. Bei einer medizinischen Indikation sind viele Menschen gewillt, die Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Geht es aber um Designerbabys – starke Statur, großer Wuchs, blondes Haar, hoher IQ –, wenden sich die meisten angewidert ab. Kaum einer wünscht sich immer mehr körper- und gehirngedopte Kinder, in die ein Leistungsstempel eingebrannt worden ist.
Warum? Kinder wollen und sollen geliebt werden. Die Gründe dafür sind vielfältig – weil sie klug, schön, fröhlich oder musikalisch sind. Hauptsächlich aber werden sie um ihrer selbst willen geliebt, bedingungslos, weil sie da sind. Um ihrer selbst willen? So etwas gibt es nicht, erwidern spöttisch die Optimierer, jeder denke stets an sich und seine Vorteile. Doch das stimmt nicht, Kinder sind ein lautes Trotzdem, sie entziehen sich dem unmittelbaren Verwertungsgedanken, haben das Recht auf ein eigenes, nicht vorherbestimmtes Schicksal.
Sein oder Design? Das ist die Alternative. Einen Kompromiss erlaubt sie nicht.