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Ein Stimmzettel für die Briefwahl zur Bundestagswahl liegt auf einem Tisch.
© dpa/Bernd Weißbrod

Wenig abgegebene Stimmen: Das rätselhafte Zögern der Briefwähler

Wie wichtig wird der Endspurt der Parteien im Wahlkampf? Welchen Einfluss haben Briefwähler? Erste abgegebene Stimmen offenbaren eine Kluft.

Trotz der erwarteten Rekordzahl an Briefwählern in diesem Jahr ist die Bundestagswahl 2021 alles andere als schon entschieden. Denn offenbar existiert eine deutliche Kluft zwischen der Zahl beantragter Briefwahlunterlagen und der Zahl der tatsächlich abgegebenen Stimmen, wie eine Reuters-Umfrage in wichtigen deutschen Städten ergab.

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So haben etwa in Köln bis zum 9. September zwar 41,1 Prozent der Wahlberechtigten Briefwahlunterlagen angefordert, aber nur 16,1 Prozent ihre Stimme auch abgegeben. In München lag der Anteil der zurückgesandten Unterlagen sogar nur bei 12,3 Prozent, in Erfurt knapp über zehn. Konstanz verzeichnet 46 Prozent Anträge, aber nur 15 Prozent Rücklauf. Für die Wahlkämpfer bedeutet das: Auf den Endspurt kommt es an - auch bei den Briefwählern.

Es gibt sogar Schätzungen, dass bundesweit insgesamt weniger als zehn Prozent der Wählerinnen und Wähler bereits ihr Kreuz gemacht haben dürften, weil die Briefwahl in ländlichen Gebieten seltener genutzt wird als in Städten.

Im Osten traditionell geringerer Anteil an Briefwählern

Regional gibt es ebenfalls starke Unterschiede: Im Osten, wo der Anteil der Briefwähler traditionell geringer ist, haben etwa in Erfurt bisher 25 Prozent ihre Unterlagen angefordert. In Aachen haben dagegen schon rund 20 Prozent abgestimmt. Einig sind sich die Experten in den Parteien und den Meinungsforschungsinstituten, dass sich unter den Briefwählern vor allem die ohnehin überzeugten Parteianhänger finden.

"Jetzt deuten die Zahlen über den Rücklauf der Briefwahlunterlagen aber darauf hin, dass die große Zahl derer, die schwankt, doch größer ist", meint der Berliner Politologe Gero Neugebauer. Viele Unterlagen lägen noch zuhause in den Wohnzimmern. Nach Erhebungen des Allensbach-Instituts gibt ein ungewöhnlich hoher Anteil von 40 Prozent der Wähler an, noch unentschlossen zu sein. Beim GMS-Institut sind es für Bayern sogar 44 Prozent.

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Dabei hatten die Parteien sich auf ein Rekordniveau von Briefwählern vorbereitet und einen zweigeteilten Wahlkampf geplant: Einen für die seit Mitte August mögliche Briefwahl - und einen für den Endspurt des Wahlkampfes. Tatsächlich gab etwa die Stadt Hamburg an, dass Stand Montag 37,5 Prozent der Wahlberechtigten Briefwahlunterlagen beantragt hätten. Zum Vergleich: 2017 waren es knapp zwei Wochen vor der Wahl nur 23,4 Prozent gewesen.

Der Kampf um Wechselwähler

Doch der relativ geringe Anteil der zurückgesandten Wahlunterlagen verändert die Einschätzung, ob die Wahl bereits gelaufen ist oder nicht. Vor einem Monat hatten vor allem die Grünen massiv für die Briefwahl geworben und entsprechend plakatiert. Sie hatten gehofft, von dem damaligen Umfragehoch für die Partei zu profitieren.

In den letzten Wochen gab es ähnliche Hoffnungen auch bei der dann in Führung gehenden SPD. Auch hier war der Hintergedanke: Wenn die steigende Zahl an Briefwählern aus einer Hochstimmung heraus abstimmt, dürfte das der Partei zugutekommen, die in Umfragen vorne liegt.

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Es ist naheliegend, dass die Hoffnung auf den Endspurt besonders bei Parteien groß ist, die in Umfragen schlechter als erwartet liegen - derzeit etwa die Union und die Grünen. "Man muss in den letzten Tagen um die Wechselwähler kämpfen", heißt es deshalb bei den CDU-Strategen.

Abstimmung der bisherigen Briefwähler geheim

CSU-Generalsekretär Markus Blume machte am Dienstag Anzeichen einer Trendwende aus, zumal die Union erstmals seit Wochen wieder um zwei Prozentpunkte auf allerdings immer noch schwache 21 Prozent stieg. Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet präsentierte erst 13 Tage vor der Wahl sein Sofortprogramm mit Wahlversprechen etwa für Familien.

Wie die bisherigen Briefwähler abgestimmt haben - darüber schweigen die Meinungsforscher, obwohl sie bei ihren Erhebungen auch Wahlberechtigte fragen, die ihre Stimme bereits abgegeben haben. Denn der Bundeswahlleiter hat ihnen ein Bußgeld von 50.000 Euro angedroht, wenn sie entsprechende Daten veröffentlichen sollten. Forsa ficht dies vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden an.

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In Kreisen der Meinungsforscher heißt es allgemein, dass derselbe Trend aus den letzten Wahlen erkennbar sei. Danach finden sich leicht überproportional Anhänger der Grünen und Union unter den Briefwählern, leicht unterdurchschnittlich die der AfD.

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An einem ändert die Kluft zwischen beantragten und bereits abgegebenen Stimmen allerdings nichts: Am Ende wird eine Rekordzahl an deutschen Wählerinnen und Wählern nicht am 26. September, sondern schon zuvor abgestimmt haben. Dresden meldet in der Reuters-Umfrage schon jetzt ein Drittel mehr Briefwahl-Anfragen als bei der letzten Bundestagswahl 2017.

In Mainz hatten bis Dienstag 52 Prozent der Wahlberechtigten die Wahlzettel angefordert, 2017 hatte der Anteil der Briefwähler bei 39,9 Prozent gelegen. Bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr waren es vor allem wegen der Corona-Pandemie sogar fast 65 Prozent gewesen. (Reuters)

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