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Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnt vor einer Eskalation im Handelsstreit mit den USA.
© picture alliance / dpa

Handelsstreit mit den USA: "Das Prinzip 'Auge um Auge' hat noch nie geholfen"

Luxemburgs Außenminister Asselborn befürchtet im Handelsstreit mit den USA Auswirkungen für die heimische Stahlindustrie. Im Interview sagt er aber auch: "Wir dürfen als Europäer nicht nur lamentieren."

Herr Asselborn, US-Präsident Donald Trump hat Schutzzölle auf Stahl und Aluminium verkündet. Wie soll die EU darauf reagieren?

Die EU hat gut reagiert. Es ist richtig, dass die EU das Gespräch mit den USA sucht. Einerseits müssen wir vorbereitet sein, wenn die US-Schutzzölle in Kraft treten. Es zeugt von Augenmaß, wenn die EU ihrerseits mit Zöllen auf Erdnussbutter, Orangensaft und Whisky aus den USA droht. Andererseits gilt aber auch: Das Prinzip „Auge um Auge“ hat noch niemals weitergeholfen. Wenn man es in die Tat umsetzt, riskiert man, blind zu werden.

In wie weit wird Luxemburg von den US-Schutzzöllen betroffen sein?

Die Stahlproduktion spielt für Luxemburg eine wichtige Rolle. Der größte Stahlproduzent der Welt, Arcelor-Mittal, hat seinen Sitz in Luxemburg. Insgesamt beträgt die jährliche Stahlproduktion Luxemburgs 2,4 Millionen Tonnen. Rund zehn Prozent davon wird in die USA exportiert. Ein Beispiel: Die großen Grey-Stahlträger aus luxemburgischer Herstellung werden in zahlreichen Wolkenkratzern in New York verbaut.

Wie könnte eine sinnvolle Strategie aussehen, um einen Handelskrieg mit den USA zu vermeiden?

Wir dürfen als Europäer nicht nur lamentieren. Sondern wir müssen den USA auch klar sagen, dass das eigentliche Problem nicht in Europa liegt, sondern woanders: China muss seine Überkapazitäten beim Stahl abbauen. Im vergangenen November fand in Berlin ein internationaler Stahlgipfel statt, an dem sowohl China als auch Luxemburg teilgenommen haben. Die Vertreter Chinas haben damals angeboten, ihre Überkapazitäten abzubauen. Wir sollten die Vertreter Chinas beim Wort nehmen. Und der Stahlgipfel sollte wiederholt werden.

Zum transatlantischen Verhältnis gehört auch die Diskussion um die hiesige Besteuerung von US-Unternehmen. Sollten nicht US-Unternehmen wie Amazon, das seine europäische Firmenzentrale in Luxemburg hat, in Europa stärker besteuert werden?

In der Frage der Unternehmensbesteuerung streben wir in Luxemburg eine Lösung auf der Ebene der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, also der OECD, an. Wir werden in Luxemburg selbstverständlich einen Kompromiss akzeptieren, der innerhalb der OECD ausgearbeitet wird.

EU-Kommissar Pierre Moscovici hat gerade Luxemburg und sechs andere EU-Staaten an den Pranger gestellt. Er wirft den betreffenden Ländern vor, Unternehmen wie Amazon die Möglichkeit zu geben, eine aggressive Steuerplanung zu betreiben.

Diese Kritik der Kommission ist schwer zu akzeptieren – nicht nur für Luxemburg, sondern für alle kritisierten Länder. Die Kommission sollte ein intensiveres Gespräch mit kleineren EU-Ländern wie Luxemburg suchen, bevor öffentliche Kritik geäußert wird. Denn man darf nicht vergessen, dass nicht nur in Luxemburg, sondern auch in Belgien und in den Niederlanden bereits große Schritte zur Verringerung des Gefälles bei den Unternehmenssteuern unternommen wurden. Und Luxemburg wird sich auch in Zukunft sicher nicht verweigern, wenn es darum geht, weitere Schritte in Richtung eines transparenten und gerechten Steuersystems zu unternehmen.

Wie besorgt sind Sie als Sozialdemokrat eigentlich angesichts des Ausgangs der Parlamentswahl vor einer Woche in Italien?

Die sozialdemokratischen Parteien in der EU waren schon einmal besser dran. Aber trotzdem bleibe ich optimistisch. Denn die Sozialdemokraten werden weiter gebraucht. Der Kapitalismus im 21. Jahrhundert braucht eine Partei, die den Einzelnen einerseits schützt und anderseits Innovationen vorantreibt. Auch in den Ländern, in denen die Sozialdemokraten in der Opposition sind, können wir wieder aus dem Tal herauskommen. Was Italien anbelangt, so mögen die Sozialdemokraten von Matteo Renzi jetzt als Verlierer dastehen. Aber man darf doch eines nicht übersehen: Seit fünf Jahren wurde Italien von sozialdemokratischen Regierungschefs regiert. Es ist unbestritten, dass in dieser Zeit große Reformanstrengungen unternommen wurde. Das Wachstum ist auch in Italien wieder zurückgekehrt.

Die sozialdemokratischen Parteien in der EU machen keine Fehler?

In Rumänien kann man sehen, wie man es nicht machen sollte. Die sozialdemokratische Regierungspartei dort ist dabei, die Unabhängigkeit der Justiz in Frage zu stellen. Das ist ein kapitaler Fehler, weil ein solcher Kurs nichts mehr mit den Werten der Sozialdemokratie zu tun hat.

Nicht nur die Sozialdemokraten, sondern alle klassischen Volksparteien kämpfen in Italien, Frankreich und Deutschland mit einem Wählerschwund. Woran liegt das?

Die Zeiten sind vorbei, in denen Menschen ihr ganzes Leben lang derselben Partei ihre Stimme gegeben haben. Die Ungeduld ist bei vielen Bürgern gestiegen. Sie erwarten schnelle Lösungen. Dadurch werden die traditionellen politischen Parteien ganz anders beansprucht.

In Italien haben haben Populisten – die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega-Partei – von der Ungeduld der Wähler profitiert. Wollen Sie sich ausmalen, was es bedeutet, wenn eine dieser Parteien demnächst in Italien ans Ruder kommt?

Selbst ein Regierungsbündnis zwischen den beiden populistischen Parteien ist nicht auszuschließen. Ob es dazu kommt, wird sich möglicherweise schon am Ende des Monats an der Wahl der Präsidenten des Abgeordnetenhauses und des Senats ablesen lassen. Ein Bündnis zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega würde Europa in ein ganz schwieriges Fahrwasser bringen.

Welche Rolle spielte die Flüchtlingspolitik für den Wahlausgang in Italien?

Einige EU-Partner haben in der Flüchtlingsfrage absolut keine Solidarität mit Italien gezeigt. Das hat das Wahlergebnis ganz entscheidend beeinflusst. Der Zweck der Europäischen Union besteht eigentlich darin, dass man einen Teil der nationalen Souveränität an die Gemeinschaft überträgt, um die Probleme zu bewältigen, die nicht national zu lösen sind. Aber in Ungarn und Polen sehen das nicht alle so. Politiker wie Ungarns Regierungschef Orban und der Chef der polnischen Regierungspartei PiS, Kaczynski, sind dafür verantwortlich, dass die Populisten bei der Wahl in Italien so stark abgeschnitten haben.

Warum Asselborn nicht an eine Einigung zwischen Merkel und Orban glaubt

Zwischen Kanzlerin Merkel und Ungarns Regierungschef Orban (links) gibt es keinen engen Draht. Rechts Frankreichs Präsident Macron.
Zwischen Kanzlerin Merkel und Ungarns Regierungschef Orban (links) gibt es keinen engen Draht. Rechts Frankreichs Präsident Macron.
© REUTERS

Müssen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron angesichts des Wahlergebnisses in Italien jetzt nicht verstärkt an einem fairen Ausgleich unter den EU-Staaten in der Flüchtlingspolitik arbeiten?

Es liegt nicht an Macron und Merkel. Das muss man klar sehen.

Also müssen Länder wie Ungarn, Tschechien und Polen ihren Widerstand gegen Quoten zur Aufnahme von Flüchtlingen aufgeben?

Ohne eine einheitliche Migrationspolitik wird die Europäische Union zerbrechen. Mir ist schon klar, dass wir Obergrenzen bei der legalen Einwanderung brauchen. Aber bei der Aufnahme von Flüchtlingen muss die Genfer Flüchtlingskonvention weiter gelten. Flüchtlinge brauchen uneingeschränkten Schutz. Und die Flüchtlingskrise der Jahre 2015 und 2016 kann sich wiederholen, wie die derzeitige Entwicklung in Syrien oder in Jemen zeigt. Was nun die Quoten für Flüchtlinge anbelangt, so gilt Folgendes: Auch die Staats- und Regierungschefs, die im kommenden Juni bei einem Gipfel über eine Reform des EU-Asylsystems entscheiden wollen, können sich nicht über die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hinwegsetzen. Der Europäische Gerichtshof hat ganz klar den Quotenbeschluss der EU-Innenminister aus dem Jahr 2015 bestätigt.

Und was ist, wenn sich Kanzlerin Merkel und Co. beim Gipfel im Juni doch nicht auf ein Quotensystem einigen können?

Ein Beschluss der Staats- und Regierungschefs, der sich hinter dem Prinzip der Einstimmigkeit verschanzt und keine Flüchtlingsquoten vorsieht, wäre ein Staatsstreich gegen europäisches Recht.

Erwarten Sie vor der Europawahl im kommenden Jahr eine Einigung zwischen Kanzlerin Merkel und dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban in der Frage des Umgangs mit den Flüchtlingen in der Europäischen Union?

Wenn Merkel dies fertig bringen würde, dann hätte sie den Nobelpreis verdient. Aber ich glaube nicht, dass es zu einer derartigen Einigung kommt. Wie weit die Vorstellungen Ungarns von unseren Werten entfernt sind, zeigt sich nämlich gerade bei den Beratungen in New York, wo die Vereinten Nationen unter der Leitung der UN-Sonderbeauftragten Louise Arbour eine Vereinbarung zur internationalen Migration hinbekommen wollen. Ungarn blockiert dabei eine einheitliche Linie der EU-Staaten.

Kommen wir zur Diskussion um die Zukunft der Euro-Zone. Macron ist mit der Forderung eines Budgets für die Gemeinschaftswährung angetreten. Wird er sich damit durchsetzen können?

Ich glaube, dass sich am Ende eher EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker mit seinem Vorschlag durchsetzen wird, die nötigen Gelder zur Stabilisierung der Euro-Zone im EU-Haushalt zu verankern. Das entspricht auch mehr den Vorstellungen Deutschlands und Luxemburgs.

Welche Erwartungen haben Sie an den künftigen deutschen Finanzminister Olaf Scholz?

Ich bin überzeugt, dass Scholz das Amt des Finanzministers kompetent ausüben wird. Ich glaube, dass er versteht, dass Deutschland nicht gleichgültig gegenüber EU-Staaten sein darf, die nicht Exportweltmeister sind. Ich gehe davon aus, dass Scholz nicht als pedantischer Kassenwart auftreten wird. Ich traue ihm das nötige Fingerspitzengefühl zu, wenn es darum geht, die Euro-Zone zusammenzuhalten. Gleichzeitig weiß Scholz natürlich auch, dass Deutschland in der EU ein Stabilitätsanker bleiben muss – gerade in diesen unruhigen Zeiten.

Freuen Sie sich schon auf die Zusammenarbeit mit Ihrem neuen Kollegen Heiko Maas?

Ich kenne Heiko Maas als Freund seit vielen Jahren, wie es zwischen Saarländern und Luxemburgern üblich ist. Ich habe ihn als kompetenten und unaufgeregten Justizminister erlebt. Ich bin überzeugt, dass er schnell in sein Amt hineinwachsen und ein guter Außenminister sein wird.

Berlin hat eine Erhöhung der EU-Beiträge angekündigt. Wird Luxemburg in der nächsten EU-Haushaltsperiode ebenfalls mehr in die EU-Kasse einzahlen?

Die deutschen Nettozahlungen in die EU-Kasse belaufen sich pro Kopf auf 295 Euro, die Pro-Kopf-Nettozahlungen Luxemburgs liegen bei 580 Euro. Wenn die Prämissen für die künftige EU-Haushaltsperiode erst einmal klar sind, wird sich Luxemburg Mehrausgaben nicht verschließen. Es besteht Handlungsbedarf: Im nächsten EU-Haushalt muss unter anderem mehr Geld für die gemeinsame Verteidigungs- und die Flüchtlingspolitik zur Verfügung stehen als bisher.

Was halten Sie von der Haltung des niederländischen Regierungschefs Mark Rutte, der eine Erhöhung des Beitrags in die EU-Kasse bislang strikt ablehnt?

Die Niederländer sind auch in der Politik sehr calvinistisch geprägt, und das gilt auch für die Finanzfragen. Ich glaube nicht, dass dies das letzte Wort von Rutte ist. Ich kann mich noch gut an das Jahr 2005 erinnern, als Luxemburg die EU-Ratspräsidentschaft innehatte. Damals mussten Jean-Claude Juncker als Premierminister und ich auch eine schwierige Debatte um die EU-Finanzen meistern. Auch damals gab es einen richtigen Kampf mit den Niederlanden ums Geld, und am Ende hat die Regierung in Den Haag doch eingelenkt. Ich kann mir auch in der aktuellen Diskussion um den EU-Etat nicht vorstellen, dass sich ein EU-Gründungsmitglied wie die Niederlande verweigern wird, wenn es darum geht, wichtige Zukunftsaufgaben der EU zu finanzieren.

Aber die Niederlande stehen mit ihrer Haltung in der EU nicht allein.

Die Niederlande haben in dieser Woche gemeinsam mit sieben weiteren nordeuropäischen EU-Staaten ein Ideenpapier verfasst, in dem sehr viel Skepsis gegenüber der EU zutage tritt. Dies ist nicht hilfreich, um die EU voranzubringen. Ich gehe aber nicht davon aus, dass die acht nordeuropäischen Staaten bei der Diskussion um die Zukunft der Gemeinschaft gemeinsam als Block agieren werden.

Das Gespräch führte Albrecht Meier.

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