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Die Reichsbürger sind vor allem eins: Überfordert mit der Komplexität der Welt.
© Foto: Jochen Lübke/dpa

Angst vor der Globalisierung: Das Phantasma des reinen Raums

Was „Safe Spaces“ an amerikanischen Unis und Reichsbürger eint, ist eine imaginäre Abschottung von der globalisierten Welt. Eine Kolumne.

Die Fantasie der „Safe Spaces“ ist ein Symptom der Globalisierung: Viele Rechte, Linke, Islamisten und andere wünschen sich bereinigte Räume, in denen nichts Fremdes stört.

Auf der runden Erde, wie um sie herum, kennt vieles keine Grenzen. Globale Klimaphänomene kümmern sich nicht um Kontinente, sondern tangieren die gesamte Atmosphäre, alle Ozeane und Landmassen. Durch abertausende von Glasfaserkabeln oder vermittelt über Funksignale von Satelliten fließen ohne Unterlass Datenströme um die Welt. Logistisch hochkomplexe Transportsysteme sorgen für den Fluss der Energie- und Warenströme.

Wir nennen diese Dynamik Globalisierung. Was immer wir Zeitgenossen tun, wir begegnen ihren Segnungen, etwa den medizinischen, oder ihren bedrohlichen Aspekten, etwa deregulierten Märkten. Intelligenzbegabt wie unsere Gattung ist, hat sie ihre soziale Kompetenz, nicht zum ersten Mal, technisch überholt, und kann affektiv wie politisch noch nicht Schritt halten mit ihrem Zugewinn an operativem Vermögen.

Wenig verwunderlich ist es daher, dass unter dem Druck permanenter Transformation Fantasien abgeschotteter Gegenwelten Konjunktur haben. „Reichsbürger“ behaupten eine eigene Republik, Islamisten und Salafisten wünschen sich Gemeinwesen ohne „Ungläubige“, bei AfD und Pegida hofft man auf die Rückkehr zu einer biologistisch definierten Sphäre von Tradition. Nicht nur in den USA, Großbritannien und Kanada gibt es an Universitäten sowie in fundamentalistisch religiösen Communities Forderungen nach „safe spaces“, nach geschützten Räumen, inzwischen auch „positive spaces“ genannt. Dort soll man vor der Begegnung mit unerwünschten Texten, Gedanken oder Personen bewahrt werden, etwa durch „Trigger-Warnungen“ von Lehrenden, die auf krude Passagen in Shakespeare-Dramen vorab aufmerksam machen sollen.

Bilderstürmerei und Textstürmerei sind das Resultat

Gated communities für Ideologien, Bilderstürmerei und Textstürmerei sind das Resultat, und nicht nur da, wo panisch ein harmloses Gedicht über Alleen, Blumen und Frauen von einer Uni-Wand gewischt wird.

„Safe Spaces“ sind die zentrale, modellhafte Metapher für Reaktionen auf die Überforderung durch expandierenden Pluralismus. Es gibt zu viel Anderes und Fremdes von zu vielen anderen und Fremden, oder überhaupt: Zu viele Andere, zu viele Fremde selber, die „illegal in Massen einwandern“, wie derzeit eine Erklärung in der Bundesrepublik behauptet. Kein Wunder ist dabei auch, dass wieder verstärkt zu Basisfiguren des „Fremden“ gegriffen wird, im rechten, linken und islamistischen Antisemitismus.

Begriffe wie „Heimat“ und „Safe Spaces“ setzen der Globalisierung trauliche Miniaturwelten entgegen, in denen man, gleichsam von der Wiege eines idyllischen Zuhause geschaukelt, keine Furcht haben muss vor dem Einbruch vermeintlich fremder Phänomene ins vermeintlich Alleineigene: reiner Raum. Obwohl gerade solche Erfahrungen die vielfältigen Lernprozesse einer jeden Kindheit ausmachen: Etwas absolut Neues geschieht fast Tag für Tag. Aber auf Dosierung kommt es an. Und die gegenwärtige Dosierung der Veränderung wird noch nicht gut vertragen, verarbeitet.

Strukturell haben linke „identity politics“ der LGBTQ-Communties und „identitäre Bewegungen“ rechter Nationalisten auf dem Terrain imaginärer Abschottung vieles gemein. Strukturell sind Parolen wie „America first“ oder ein „Heimatministerium“ innigst verwandt mit dem Campus-Begehren nach „Safe Spaces“ oder sogar dem Phantasma eines „Islamischen Staates“. Strukturell ist Markus Söders Kreuz-Schachzug verwandt mit der Forderung des Islamischen Rates von Victoria in Australien. Der versuchte 2017, „Safe Spaces“ einzuklagen, Räume, in denen Andersgläubige nicht hätten intervenieren können. Die Regierung lehnte das ab.

"America first" und "Heimatministerium" sind innigste Verwandte

Mit dem Konzept, die Schotten dicht zu machen, gelangt die Gattung allerdings nicht dahin, wo sie dem sozialen Frieden näherrücken kann, nicht zu einer, sagen wir mal probeweise, globalen, demokratischen Agora. Im Grunde wissen oder ahnen alle: Es werden kosmopolitische Entwürfe gebraucht, „democratic spaces“, universalistische Räume, die zwar die Schrebergärten leben lassen, seien es nordjapanische oder süddeutsche. Zugleich aber müssen sie neue Konzepte entwickeln, wie der große Garten Erde in Zukunft, gemeinsam und arbeitsteilig bewirtschaftet werden kann. Keine Frage, das wird noch eine ganze Weile dauern.

Caroline Fetscher

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