Nach dem Scheitern von Jamaika: Das Maß ist das Gemeinwohl
Die Beteiligten der geplatzten Jamaika-Sondierung müssen sich fragen, ob es der Verantwortung für das Land entspricht, sich zu entziehen. Sie spielen sonst Antidemokraten in die Hände. Ein Kommentar.
Erleben wir da jetzt schon mal ein Ende, ein dramatisches? Es wäre das Ende der Konsensdemokratie. Die AfD freut sich schon. Sind ihnen doch die sogenannten etablierten Parteien in die Falle gegangen. Die zeigen sich in aller Öffentlichkeit kompromissunfähig, konsensunfähig, ja, und mehr noch, konsensunwillig. Was soll der Wähler davon halten?
Nichts, das ist doch klar. Deswegen hat der Bundespräsident alles Recht zu einem ziemlich dramatischen Appell, begleitet von einer ziemlich geharnischten Kritik: Die staatsbürgerliche Verantwortung, die die Parteien eben noch in den Händen hielten, die Macht, die sie haben wollten, an den Wähler zurückzugeben – das geht nicht.
Jedenfalls nicht so einfach und nicht mit dem Grund, dass zwei Gruppierungen einander politisch am Rande der Anständigkeit behandeln. Nein, sie wollten bloß jeder auf seine Weise das Ganze dominieren. Wer gemeint ist? Na, CSU und FDP, zum Schluss ganz besonders die FDP. Sagen wir so: Wenn das Hans-Dietrich Genscher wüsste! Der war der Meister der Kompromisse – und seine politischen Nachfahren, die sich auf ihn berufen, die ihre Parteizentrale nach ihm benannt haben, wollen nicht einmal Gesellen sein? Das darf die FDP um ihrer selbst willen nicht stehen lassen. Das ist sie auch ihrer Tradition schuldig.
Das Projekt kleine Volkspartei führt in die Irre
Die Partei hat sich geändert, Christian Lindner hat sie geändert. Das Projekt kleine Volkspartei, das Projekt 18 von Guido Westerwelle, mit einer Liste Lindner, angelehnt im national(liberal)en Ton sogar auch an die FPÖ – das führt in die Irre. Wie die AfD schon gesagt hat: Sie begrüßt die Hinwendung, aber sie ist das Original, die FDP nur das Plagiat. So böse, wie das klingt, ist es auch. Dass man in dieser Weise über die FDP reden kann, hätte kein Genscher zugelassen. Ein Gran von dem, womit die FDP früher warb, muss doch noch da sein: Vorfahrt für Vernunft.
Hieran offenbart sich der große Fehler der 56-Tage-Veranstaltung: keine Führung, keine Organisation. Wer drei Stunden redet über den Ablauf eines Tages und am Ende nicht einmal weiß, wann man sich am nächsten Morgen trifft – der provoziert nicht nur. Der versagt auch. In dieser Hinsicht hat die CDU versagt. Dass Peter Altmaier ein schwarz-grüner Politiker ist, war jedem klar; dass er mit allem, was er zu tun hat, überlastet ist, hätte einer klar sein müssen: der Kanzlerin. Ihre Aufgabe wäre es gewesen, die Möchtegern-Koalitionäre dorthin zu leiten, wohin sie noch nicht geleitet werden wollten. Drum: Moderieren wollen, wo nichts zu moderieren ist, zeigt auch eine Form von Wirklichkeitsverkennung, die Bände spricht.
Und jetzt? Alles, was in Rede steht, ließe sich regeln, vom Kooperationsverbot in der Bildung über den Familiennachzug bis zum Soli – mit Maß. Das Maß wiederum ist das Gemeinwohl.
Darum müssen sie alle noch einmal miteinander sprechen. Die SPD eingeschlossen. Das hat der Bundespräsident zu Recht quasi dekretiert. Die Beteiligten müssen sich fragen, ob es der Verantwortung für das Land entspricht, sich zu entziehen oder sich abzuwenden. Müssen die Selbstschau angesichts der Welt da draußen, die nicht innehält, dringend beenden. Müssen sich der Tatsache bewusst werden, dass sonst die Antidemokraten Land gewinnen.
So viel demokratischer Konsens sollte schon noch möglich sein.