Höhere Renten für Geringverdiener: Das kostet - und gibt Streit
SPD-Chef Gabriel fordert höhere Renten für Geringverdiener. Doch daran ist schon die Vorgängerregierung gescheitert.
Nun also auch noch Thorsten Schäfer-Gümbel. Wer „die Rentenerhöhung für Kleinstrentner“ kippen wolle, breche den Koalitionsvertrag, donnert der SPD-Vize. Damit ist die Riege der Partei-Oberen, die sich zwecks Rückenstärkung für ihren Vorsitzenden nochmals in den Koalitionsvertrag vertieft haben, nahezu komplett. Und darin steht nun mal, von Roten wie Schwarzen besiegelt, dass man langjährige Geringverdiener, die im Alter wenig zu erwarten haben, bei der Rente „honorieren“ möchte. „Wir werden daher eine solidarische Lebensleistungsrente einführen.“ Vollzug „voraussichtlich bis 2017“.
Vor Sigmar Gabriels Ruf nach einem „neuen Sozialpaket“ lief diese Passage eher unter der Rubrik unverbindliche Absichtsbekundungen. Mit Mütterrente und Rente mit 63 hat Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) schließlich schon beide Seiten zufrieden gestellt. Und den Haushalt aufs Heftigste strapaziert: Zehn Milliarden Euro verschlingen die beschlossenen Rentenaufbesserungen nun Jahr für Jahr. Auch bei den Erwerbsgeminderten wurde nachgebessert. Und die versprochene Reform der betrieblichen Altersvorsorge, die definitiv noch kommen soll, wird ebenfalls nicht zum Nulltarif zu haben sein.
Das Thema sollte erst zur Bundestagswahl hochkommen
Insofern lief die Strategie des SPD-geführten Arbeitsministeriums darauf hinaus, das milliardenschwere Rentenversprechen für Geringverdiener auf die lange Bank zu schieben – und es erst kurz vor der Bundestagswahl zur Profilierung hervorzuholen. Doch nun will Gabriel, um die Akzeptanz für Flüchtlinge zu erhöhen, mehr Sozialleistungen für die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Schließlich, so seine Begründung, höre er immer wieder den Satz: "Für die macht ihr alles, für uns nichts". Und im Zentrum von Gabriels Sozialoffensive steht, weil es besonders viele betrifft, das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag: höhere Renten für Geringverdiener.
Diejenigen, die es in die Wege leiten sollen, sind darüber alles andere als glücklich. Das Projekt jetzt inmitten der Flüchtlingskrise angehen zu müssen, habe sich „keiner gewünscht“, ist zu hören. Zumal die Ministerialen seine Tücken kennen. Schon die schwarz-gelbe Vorgängerregierung hatte sich hoffnungslos darin verhakt. Doch im Koalitionszwist mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sind fachlich-sachliche Bedenken nicht gefragt. Nahles hat versprochen zu liefern, noch dieses Jahr. „Wir dürfen“, sagt sie, „keine Abstriche machen bei unseren Wahlversprechen für die Menschen in unserem Land, das gefährdet den sozialen Zusammenhalt.“
Die Bedingung: 40 Beitragsjahre
Und so ist das, was ihre Vorgängerin Ursula von der Leyen (CDU) einst als „Zuschussrente“ erfunden, aber nicht durchzusetzen vermocht hat, nun wieder auf der politischen Agenda. Wer 40 Jahre lang Rentenbeiträge bezahlt und im Alter dennoch weniger als 30 Entgeltpunkte beisammen hat, soll seine Rente bis zu diesem Wert aufgebessert bekommen. Das wären derzeit 870 bis 880 Euro brutto im Monat. In einer Übergangsphase bis 2023 sollen 35 Beitragsjahre reichen, danach soll allerdings auch zusätzliche Altersvorsorge Bedingung sein. Profitieren würden Geringverdiener und Menschen, die über einen längeren Zeitraum Angehörige gepflegt oder Kinder erzogen haben.
„Wir sind gespannt, was die Bundesarbeitsministerin dazu vorlegen wird – und vor allem welche Finanzierungsvorschläge sie dazu unterbreitet“, feixt der rentenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Peter Weiß. Klar ist bisher nur, dass die Rentenaufstockung mächtig kosten wird und dass sie aus Steuern finanziert werden soll. Problematisch aber wird das Konzept, sobald es ins Detail geht. Rentenzahlbeträge allein sagen beispielsweise nur wenig über die finanzielle Situation der Empfänger aus, oft gibt es ja noch weitere Einkunftsquellen. Für eine Lebensleistungsrente wäre folglich eine Bedürftigkeitsprüfung nötig. Die „Anerkennung der Lebensleistung“ wäre dann mit der kompletten und nicht sehr würdevollen Offenlegung der privaten Verhältnisse verbunden – samt den dazugehörigen Kontrollen.
Wie passt die private Vorsorge rein?
Ungeklärt ist auch, wie viel, wie lange und ab wann Anspruchsberechtigte privat vorgesorgt haben müssen – und welchen Sinn es macht, ausgerechnet diejenigen leer ausgehen lassen kann, die für zusätzliche Altersvorsorge nie Geld übrig hatten. Und wie wäre das Existenzminimum zu bemessen? An den Lebenshaltungskosten am Starnberger See oder an denen in Stralsund? Müsste die Lebensleistungsrente also von Landkreis zu Landkreis variieren? Wären die Empfänger zum Umzug in billigere Regionen zu veranlassen? Und ganz grundsätzlich: Vermischt man mit alldem nicht Versicherungs- und Fürsorgeleistung? Wie gerecht ist das gegenüber denen, die eine rein beitragsbezogene Rente erhalten?
Mit all diesen Fragen haben sich Union und FDP schon in der vergangenen Legislatur herumgeplagt – und keine Lösung gefunden. Entsprechend groß ist die Skepsis, selbst im Arbeitnehmerlager der Union. Die Gewerkschaften kämpfen momentan an anderer Front. Sie finden es wichtiger, dass das Rentenniveau weniger sinkt als geplant. Und der Wirtschaftsflügel von CDU und CSU leistet ohnehin Widerstand. Die Sache sei „gut gemeint, aber nicht zielgenau“, sagt der Chef der Mittelstandsunion, Carsten Linnemann. Geringverdiener mit unsteter Erwerbsbiografie gingen leer aus, „profitieren würde wieder nur die vielzitierte Zahnarztgattin“. Man dürfe „nicht nochmal den gleichen Fehler machen wie bei der Rente mit 63, bei der auch kaum ein Gerüstbauer oder Dachdecker zum Zuge kommt“.
Um Altersarmut wirksam zu bekämpfen, wäre es aus Linnemanns Sicht sinnvoller, den Renteneintritt flexibler zu gestalten und den Kauf von Immobilien zu fördern. „Wer Eigentum hat, wird nicht arm.“ Mit einer Wohneigentumsquote von rund 50 Prozent liege Deutschland europaweit auf einem der hintersten Plätze.