Die SPD vor den Landtagswahlen: Gabriels Sozialpaket - zwischen Augenmaß und Populismus
SPD-Chef Sigmar Gabriel fordert vor den Landtagswahlen ein Sozialpaket. Die CDU wirft ihm Populismus vor. Die Frage ist, ob die Rechnung für die SPD aufgeht.
Wahlkampfschlager oder Bumerang? Mit seiner Forderung nach einem „neuen Sozialpaket“, so viel steht fest, hat SPD-Chef Sigmar Gabriel knapp zwei Wochen vor den Landtagswahlen andauernde Kritik des Koalitionspartners auf sich gezogen. Am Wochenende wurde der Vizekanzler erst von Finanzminister Wolfgang Schäuble abgewatscht („erbarmungswürdig“), dann von Kanzlerin Angela Merkel vor einem Millionenpublikum bei „Anne Will“ bedauert („Die SPD macht sich klein“).
Am Montag reihten sich schließlich etliche Mitglieder des CDU-Präsidiums in die Anti-Gabriel-Front ein. Ihr Vorwurf: Der SPD-Vorsitzende betreibe das Geschäft der Rechtspopulisten, indem er die bisherigen sozialpolitischen Leistungen der Koalition kleinrede. Gabriel verstärke die Ängste in der Bevölkerung noch, wenn er ein Sozialpaket fordere, damit sich die einheimische Bevölkerung nicht gegenüber Flüchtlingen benachteiligt fühle, kritisierte etwa CDU-Vize Thomas Strobl. Ähnlich äußerten sich CDU-Vize Armin Laschet und CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn.
Alles nur Wahlkampf? Hinter den harschen Reaktionen steht auch die Befürchtung, die SPD könne die Flüchtlingskrise dazu nutzen, um die Politik des ausgeglichenen Haushalts von Finanzminister Wolfgang Schäuble („schwarze Null“) zu kippen – Markenzeichen der Union.
Allerdings setzt sich Gabriels „neues Sozialpaket“ nur zum einen Teil aus zusätzlichen Sozialausgaben zusammen, wie SPD-Generalsekretärin Katerina Barley versicherte. Der andere Teil bestehe aus Vorhaben, die in der Koalition bereits vereinbart seien. „Es geht nicht darum, dass man mit dem Füllhorn irgendwelche Wohltaten über das Land ausgießt, sondern es geht um Maßnahmen, die wir im Koalitionsvertrag bereits verankert haben.“
Zu diesen Maßnahmen zählen laut Barley das Teilhabegesetz zur Besserstellung Behinderter und die Lebensleistungsrente, die nach 40 Beitragsjahren mindestens 760 Euro (West) beziehungsweise 700 Euro (Ost) garantieren soll. Dass dieses Rentenprojekt im Koalitionsvertrag unter Finanzierungsvorbehalt steht, sagt Barley nicht.
SPD will milliardenschweres Integrationsprogramm
Darüber hinaus will die SPD ein milliardenschweres Integrations- und Investitionsprogramm durchsetzen. Drei bis fünf Milliarden Euro jährlich soll Schäuble im Haushalt zur Verfügung stellen – und zwar dauerhaft. Andernfalls, so drohte Barley zum wiederholten Mal, werde die SPD dem Bundeshaushalt für 2017 nicht zustimmen. Für die Union würden die Haushaltsverhandlungen damit „zur Nagelprobe, ob sie die Sorgen der Menschen tatsächlich ernst nimmt“, sagte Barley.
Forderungen sind zu wenig, wenn man regiert. Dauernd irgendwelche Forderungen zu erheben, mag einer Opposition gut zu Gesicht stehen. Bei einer Regierungspartei wirken sie schwach und verlierermäßig. Die Schlüsselressorts hat die SPD in der Hand. Warum nicht einfach handeln?
schreibt NutzerIn p_bateman
Keine Zustimmung zum Haushalt 2017 ohne Ja der Union zu zusätzlichen Investitionen – von dieser Festlegung wird sich die SPD auch nach dem Wahltag am 13. März kaum noch verabschieden können. Sie ist – abgesehen von Gabriels Versuch, die Sorgen in der Bevölkerung vor einer finanziellen Benachteiligung wegen der absehbar hohen Kosten der Flüchtlingskrise als politisches Druckmittel auf den Koalitionspartner zu nutzen – das eigentlich Neue am „neuen Sozialpaket“ der Sozialdemokraten.
Die Forderung nach zusätzlichen Milliarden-Investitionen hat die SPD-Spitze nämlich bereits im Januar bei ihrer Jahresauftaktklausur in Nauen erhoben. Damals verlangten die Sozialdemokraten unter anderem per Beschluss:
o eine „Integrationsoffensive Kita“ mit 80.000 zusätzlichen Kitaplätzen und 20.000 zusätzlichen Stellen für Erzieher, finanziert vor allem durch den Bund
o den massiven Ausbau von Ganztagsschulen mit 25.000 zusätzlichen Lehrkräften
o 100.000 Arbeitsgelegenheiten für junge Flüchtlinge etwa in 1-Euro-Jobs, mit 450 Millionen finanziert durch den Bund
o eine weitere Aufstockung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau um fünf Milliarden Euro für die kommenden fünf Jahre.
Wenn es gut läuft für Gabriel, dann dringt die SPD nach seinem Vorstoß in der Öffentlichkeit mit ihren Integrationskonzepten jetzt durch. Vielleicht lässt sich auch der eine oder andere verunsicherte SPD-Wähler von dem Versprechen beruhigen, dass sich die SPD in der Koalition für Rentner und sozial Schwächere einsetzt. Es ist aber auch möglich, dass die Populismusvorwürfe gegen Gabriel die inhaltlichen Vorschläge der SPD zum Mega-Thema Integration überlagern und die SPD im Wahlkampfendspurt unter Druck gerät.
Wie eng das Rennen bei den Wahlen wird, zeigt eine Insa-Umfrage für Baden-Württemberg im Auftrag von „Bild“. Im Stammland der CDU kann die SPD demnach um einen halben Prozentpunkt auf 16,5 Prozent zulegen und kommt damit zusammen mit den Grünen (30 Prozent) auf eine knappe Regierungsmehrheit. Die Wirkung der Sozialpaket-Debatte auf die Wähler sind in der Umfrage noch gar nicht berücksichtigt.