Reform der Straßenverkehrsordnung: Das könnte auf Verkehrsteilnehmer zukommen
Mehr Rechte für Radfahrer, höhere Strafen für Autofahrer: Um die neuen Regeln im Straßenverkehr wird gestritten. Nun entscheidet der Bundesrat. Worum geht es?
Der Straßenverkehr soll sicherer werden, Fahrradfahrer und Fußgänger sollen mehr Raum und Rechte bekommen, Sharing-Angebote verbessert und generell der Verzicht aufs eigene Auto gefördert, der Verkehr sicherer und klimafreundlicher werden: Die Erwartungen an eine Reform der Straßenverkehrsordnung (StVO), die die Regeln des Miteinanders auf den Straßen definiert, waren riesig.
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte in seinem Entwurf vieles davon angekündigt: Bußgelder und Parkgebühren sollten erhöht, Sharing-Angebote und Radverkehr gestärkt, tödliche Unfälle minimiert werden. Würde der Beschluss der Bundesregierung ungeändert durchkommen, würde das den Verkehr grundlegend verändern.
Seit Mitte vergangenen Jahres wird über die Novelle diskutiert, an diesem Freitag stimmt der Bundesrat darüber ab. Viele Punkte sind jedoch stark umstritten: Fast 80 Änderungsanträge der Bundesländer sind über die Bundesratsausschüsse zu Verkehr, Inneren Angelegenheiten, Recht und Umwelt eingegangen.
Was die Bundesländer beschließen, muss die Bundesregierung aufnehmen – oder die gesamte Novelle verwerfen.
Anders als in den Ausschüssen haben die Länder im Plenum nicht jeweils eine Stimme, sondern je nach Größe bis zu sechs – und können sich wegen uneiniger Koalitionspartner auch enthalten. Die Novelle muss anschließend nicht mehr durch den Bundestag, sondern die Bundesregierung entscheidet, ob sie in Kraft tritt – möglicherweise schon in diesem Frühjahr.
Kommt Tempo 130?
Eine große Überraschung könnte in der Abstimmung des Bundesrats über einen Änderungsantrag des Umweltausschusses erfolgen: Der Ausschuss will ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen in die StVO aufnehmen. Für den Ausschuss ist das Tempolimit aus „Verkehrssicherheitsgründen sowie zur Luftreinhaltung, zur Lärmminderung und zum Klimaschutz ist die Einführung“ notwendig.
Der gleiche Antrag hatte im Verkehrsausschuss keine Mehrheit gefunden, im grün dominierten Umweltausschuss fand er genügend Unterstützer. Seine Annahme im Bundesrat war am Donnerstag aber unwahrscheinlich – Deutschland bliebe das einzige europäische Land ohne allgemeines Tempolimit.
Auch ein Antrag des Landes Berlin für ein Autobahn-Tempolimit von 130 km/h hat bei der Abstimmung im Bundesrat wohl wenig Chancen. Nach aktuellem Stand stimmen lediglich das Land Berlin und Mitinitiator Bremen sicher dafür, hieß es am Donnerstag aus Senatskreisen. Der Vorstoß sorgte zuletzt für Wirbel, denn der Bundestag hatte ein generelles Tempolimit von 130 erst im Oktober abgelehnt, auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ist strikt dagegen.
Über solch eine Geschwindigkeitsbegrenzung hatte es bereits in den vergangenen Monaten zahlreiche Diskussionen gegeben. Bundesverkehrsminister Scheuer hatte sich mehrfach gegen eine Begrenzung ausgesprochen. Erst in der vergangenen Woche hatte die CSU eine Kampagne gegen ein allgemeines Tempolimit gestartet. Auch in der Gesellschaft sind die Positionen gespalten, zuletzt hatte jedoch der ADAC seine ablehnende Haltung gegen ein generelles Tempolimit auf Autobahnen und Bundesstraßen aufgegeben.
Ob es für ein Tempolimit in den Ländern eine Mehrheit gibt, ist jedoch zweifelhaft. Denn wenn ein Land etwa im Umweltausschuss für einen Antrag stimmt, könnte es sich im Plenum wegen eines andersdenkenden Koalitionspartners enthalten. Sollte die Länderkammer für ein Tempolimit stimmen, müsste die Bundesregierung dies aufnehmen – oder die Novelle komplett zurückziehen.
Wie wird der Verkehr fahrradfreundlicher?
Um die Straßen „noch sicherer“ zu machen, soll die Novelle zahlreiche Verbesserungen für Fahrradfahrer beinhalten. Als besondere Neuerung gilt, den vorgeschriebenen Mindestabstand beim Überholen in die StVO aufzunehmen. Bisher stand dort nur ein unbestimmter „ausreichender Seitenabstand“, nun werden konkrete Werte genannt: Innerorts sollen zwischen Auto und Fahrrad mindestens 1,5 Meter, außerorts 2 Meter liegen. Auch diese Regel ist allerdings umstritten und könnte aufgeweicht werden:
Ein Änderungsantrag des Ausschusses für Innere Angelegenheiten sieht vor, hier die Formulierung „in der Regel” hinzuzufügen. Damit wäre der Abstand nicht mehr verpflichtend, sondern eher ein Richtwert. Ergänzt werden soll: „Wird dieser Mindestabstand unterschritten, ist mit mäßiger Geschwindigkeit und besonderer Vorsicht zu überholen.” Nicht gelten soll der Mindestabstand, „sofern Rad Fahrende dort wartende Kraftfahrzeuge (...) rechts überholt haben oder neben ihnen zum Stillstand gekommen sind.“
In der Begründung dazu heißt es, eine Kontrolle der „starren Regelung“ sei nicht realisierbar. „Umgekehrt wird ein Schuh draus“, sagt dazu ADFC-Bundesgeschäftsführer Burkhard Stork. Er fordert endlich eine eindeutige gesetzliche Regelung, damit entsprechende Überwachungssysteme entwickelt werden könnten. Scharfe Kritik übt auch der Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar (Grüne): Auch für Radfahrer, die einen sogenannten Radstreifen mit durchgezogener Linie befahren, soll der Mindestabstand nicht gelten.
Dem Tagesspiegel liegt die Antwort des Verkehrsministeriums auf eine Anfrage des Abgeordneten vor, in der es heißt, dass die Radstreifen „nicht Teil der Fahrbahn“ seien und durch eine Mindestbreite von 1,85m ausreichend Sicherheit böten. Gelbhaar sagt dazu: „Wer an Radfahrenden, die einen Radstreifen benutzen, vorbeifährt, darf nach Auskunft des Verkehrsministeriums auch weiterhin Radfahrende gefährden. Dabei ist erwiesen: Wenn Radfahrende auf einem Radstreifen fahren, werden sie besonders oft viel zu eng überholt.” So würde Radfahren durch die neuen Regeln „keinen Deut sicherer”.
Wie gefährlich eng Radfahrer von Autofahrern überholt werden, hatte das Projekt Radmesser des Tagesspiegel zum ersten Mal gezeigt: Mit Abstandsmessgeräten fuhren 100 Teilnehmer für zwei Monate durch Berlin. Dabei waren fast 60 Prozent aller gemessenen Überholvorgänge zu dicht. Eine Studie der Unfallforschung der Versicherer vom April 2019 kam zu nahezu identischen Ergebnissen.
Der Innenausschuss kritisiert auch Vorschläge, die es Radfahrern erlauben, nebeneinander zu fahren, wenn das keine anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet – diese Neuregelung will er streichen lassen, unter anderem mit der Begründung: „Bereits ein einzelner Rad Fahrender führt in der Regel zu einer Behinderung im Verkehrsfluss.“ Gleichzeitig müsse man mangelnde geistige Reife und das Fehlen rechtlicher Kenntnisse berücksichtigen, „welche bei Rad Fahrenden mangels Altersbeschränkungen und verpflichtender verkehrsrechtlicher Ausbildungen sehr heterogen ausgeprägt“ seien.
Mit der StVO-Novelle will das Verkehrsministerium auch spezielle Fahrradzonen schaffen, die sich an Fahrradstraßen orientieren und Radfahrern Vorrang geben. Straßen in so gekennzeichneten Zonen dürften nur noch von Anliegern und mit höchstens 30km/h befahren werden. Außerdem dürfen die Straßen von E-Scootern befahren werden, ein absolutes Fahrverbot für Autos gibt es in den Zonen allerdings nicht. „Das Ziel von Scheuers Arbeit”, kritisiert Grünen-Politiker Gelbhaar, „ist nach wie vor nicht Verkehrssicherheit aller, sondern möglichst uneingeschränkter Kfz-Verkehr. Verkehrstote und Schwerverletzte nimmt er dabei als Kollateralschaden billigend in Kauf.”
Mehr Komfort und Sicherheit sollen den Radfahrern neue Schilder schaffen. An besonders gefährlichen Stellen kann komplett verboten werden, dass Autos Fahrräder und andere einspurige Fahrzeuge überholen. Das Rechtsabbiegen an Ampeln soll mit einem neuen grünen Pfeil für Fahrradfahrer durchgehend ermöglicht werden können.
Was ändert sich für Lkw-Fahrer?
Für Lkw gibt es Änderungen beim Abbiegen. Immer wieder kommt es durch das eingeschränkte Sichtfeld der Fahrer zu teils tödlichen Unfällen zwischen rechtsabbiegenden Lkw und Fahrrädern oder Fußgängern. Der erste Entwurf der Novelle aus dem Verkehrsministerium sieht vor, dass alle Fahrzeuge über 3,5 Tonnen in Ortschaften nur noch mit Schrittgeschwindigkeit nach rechts abbiegen dürfen. Der Innenausschuss versucht, Autos mit einem Gewicht über 3,5 Tonnen auszunehmen, wenn sie ganz oder teilweise elektrisch angetrieben werden und ein Gewicht von 4,25 Tonnen nicht überschreiten. Das soll Elektroautos mit schweren Batterien, die kein eingeschränktes Sichtfeld haben, schonen.
Ein weiterer Vorschlag der Ausschüsse für Verkehr und Inneres sieht vor, die reduzierte Geschwindigkeit beim Abbiegen nur vorzuschreiben, „wenn auf oder neben der Fahrbahn mit geradeaus fahrendem Radverkehr oder im unmittelbaren Bereich des Einbiegens mit die Fahrbahn überquerendem Fußgängerverkehr zu rechnen ist“. So könnten Lkw auf Autobahnen oder Bundesstraßen, wo keine Fußgänger oder Radfahrer unterwegs sind, schneller abbiegen
Und was ist mit E-Scootern?
Für sie gibt es nun ein offizielles Symbol für Elektrokleinstfahrzeuge. Damit können nun beispielsweise Einbahnstraßen oder auch die neu eingeführten Fahrradzonen für E-Scooter freigegeben werden. Ursprünglich sollte in der StVO auch festgehalten werden, dass E-Scooter wie Fahrräder die Busspur nutzen können. Nachdem öffentliche Verkehrsbetriebe in ganz Deutschland den Vorschlag kritisierten, ist diese Regelung jetzt gestrichen.
Die Debatte um den Mindestabstand beim Überholen betrifft auch Scooter-Fahrer: Elektrokleinstfahrzeuge sind in der Regelung nicht ausdrücklich genannt – aber ähnlich betroffen von zu engem Überholen, wie eine Messung des Tagesspiegel Innovation Lab in Berlin zeigte: 51 Prozent der Überholvorgänge waren zu eng.
Wer parkt wo?
Fahrräder sollen entgegen des ersten Vorschlags aus dem Verkehrsministerium auch weiterhin auf der Fahrbahn abgestellt werden dürfen. Die Bundesrats-Ausschüsse wollen den Kommunen für die Verkehrswende und -gestaltung wichtigen Handlungsspielraum erhalten, um in den Städten mehr Platz für umweltfreundliche Verkehrsmittel zu schaffen.
Durch neue Verkehrsschilder können auch spezielle Parkplätze für Lastenräder und Carsharing-Autos markiert werden. Ermöglicht werden soll auch, dass Fahrzeuge fürs Carsharing an bestimmten Orten von Parkgebühren ausgenommen werden können – auch das würde durch das neue Schild geregelt.
Teurer könnte es für Inhaber von Bewohnerparkausweisen werden – wenn die Bundesländer sich durchsetzen. In ihrem Änderungsantrag fordern sie, eine Gebührenspanne von zehn bis 240 Euro im Jahr zuzulassen. Bisher dürfen sie maximal 30,70 Euro nehmen. Bundesverkehrsminister Scheuer hält 240 Euro für „überzogen“ und befürchtet Klagen dagegen. Deshalb appelliert er an die Länder, dieses Thema von der Novelle auszuklammern und erstmal in einem Lenkungskreis zu besprechen. Sollten sie die neue Gebührenspanne dennoch beschließen, droht er, die ganze Reform der StVO platzen lassen.
Stärker bestraft werden sollen Falschparker: Auf markierten Rad- und Gehwegen soll generelles Parkverbot gelten. Verstöße werden mit Bußgeldern von bis zu 100 Euro bestraft. Höhere Strafen sollen auch das Halten auf Radwegen und in zweiter Reihe sanktionieren. Wird dabei ein Radfahrer gefährdet, beträgt das Bußgeld nun 80 Euro, hinzu kommt ein Punkt in Flensburg. Außerdem soll das Parkverbot an Kreuzungen ausgeweitet werden, falls rechts ein Radweg vorhanden ist – um die Aufmerksamkeit hier stärker auf die Radfahrer zu lenken.
Auch zu schnelles Fahren soll härter bestraft werden: Bei geringeren Geschwindigkeitsverstößen von 10 bis 20 km/h verdoppelt sich das Bußgeld, wer mit 20 bis 40 km/h zu schnell unterwegs ist, dem droht künftig ein Monat Fahrverbot. Diese Änderungen gehen dem Verkehrs- und dem Innenausschuss nicht weit genug: Sie empfehlen eine Mindeststrafe von 20 Euro für Parkverstöße, um eine generelle Verhaltensänderung anzustoßen. Außerdem schlagen sie dem Bundesrat vor, außer Fahr- auch Park- und Halteverstöße auch von Rad- und E-Rollerfahrern zu bestrafen – zum Schutz von Fußgängern auf den Gehwegen.
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