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Die SPD-Spitze Schäfer-Gümbel, Schwesig, Dreyer
© Wolfgang Kumm/dpa

Politikwissenschaftler Cuperus über die SPD: „Das ist politischer Selbstmord“

Europass Sozialdemokraten sind nicht dem Untergang geweiht, sagte der Niederländer Rene Cuperus. Nur die SPD verweigert sich hartnäckig allen Erfolgsrezepten.

Rene Cuperus ist niederländischer Politikwissenschaftler und Mitglied der sozialdemokratischen Partij van de Arbeid.

Herr Cuperus, Sie haben schon lange gewarnt, auch die SPD könne wie zuvor schon die niederländischen Sozialdemokraten unter zehn Prozent fallen. Warum droht ihre Prognose nun einzutreten?
Ein Grund ist die Regierungsangst oder Regierungsverweigerung der SPD. Die finde ich als ausländischer Beobachter erschreckend. Die Sozialdemokraten sind in Deutschland gewählt worden, um zu regieren. Aber sie beschäftigen sich aus panischer Angst vor schlechten Wahlergebnissen nur noch mit der eigenen Partei.

Alle Energie wird gerichtet auf die Wahl der Vorsitzenden, 25 Regionalkonferenzen für Funktionäre und Mitglieder. Was muss der Hartz IV-Empfänger in Gelsenkirchen darüber denken? Was die Wähler in abgehängten Regionen in Ostdeutschland? Das ist Partei-Narzissmus statt Verantwortung für Deutschland und Europa.

Woran machen Sie das fest?
Ich konnte es fast nicht glauben, dass wichtige SPD-Politiker gerade allen Ernstes über Rot-Rot-Grün reden. Das wirkt, als habe man die Regierung mental längst verlassen, der man doch noch angehört. Dabei gibt es für eine Partei kein wichtigeres Ziel als Regierungsmacht. Aber die SPD verweigert sich ihr. Die Grünen sind nicht in der Regierung und haben mehr Einfluss auf die deutsche Politik als die SPD in der Regierung. Die Grünen sind eine Art Schattenregierung geworden.

Was bedeutet es für die SPD, wenn sich kein prominenter Politiker bereitfindet, sie zu führen?
Das befremdet mich sehr. Theoretisch gibt es für die SPD keine bessere Situation: Wenn Merkels Endspiel beginnen würde, so wurde immer erwartet, würde das der SPD riesige Chancen eröffnen, wieder einen Kanzler zu stellen. Aber ironischerweise befindet sich die SPD in der schrecklichsten Lage aller Zeiten und nimmt sich selbst vom Schachbrett. Ich sehe ein entsetzliches politisches Vakuum in Deutschland.

Geht es hier um Verantwortungsverweigerung bekannter SPD-Politiker oder steckt da ein systematisches Problem dahinter?
Das ist ein Symptom der Krise. Niemand traut sich die Zukunft der SPD zu. Niemand hat das Selbstvertrauen, um die verschiedenen Kräfte in der Partei zu einen. Normalerweise braucht man auch keine 25 Regionalkonferenzen, um neue Führer zu finden - die setzen sich meistens im politischen Alltagsgeschäft und in Mediendiskurs durch.

Gibt es Beispiele dafür, dass andere sozialdemokratische Parteien in Europa eine personelle Erneuerung hinbekommen haben?
Die gibt es, aber die Beispiele sind so unterschiedlich, dass sich daraus keine allgemeine Lehren ableiten lassen. Dänemark, Spanien, Finnland: das sind doch ganz andere Erfolgsgeschichten. Es sieht ja so aus, als ob die SPD eine Doppelsitze aus einer Frau und einem Mann bekommen wird. Damit ahmen die Sozialdemokraten die Grünen nach.

Die SPD ist eine Art Klon der Grünen geworden. Ich halte diese Identitätspolitik pur für falsch. Wenn man in dieser Zeit Volkspartei bleiben will, muss man nicht die Grünen kopieren, sondern ein Angebot machen, um die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden.

Der Niederländer René Cuperus ist Politikwissenschaftler und Research Fellow am Deutschland-Institut der Universität Amsterdam sowie Senior Fellow des Instituts „Clingendael“.
Der Niederländer René Cuperus ist Politikwissenschaftler und Research Fellow am Deutschland-Institut der Universität Amsterdam sowie Senior Fellow des Instituts „Clingendael“.
© privat

Welche Spaltung meinen Sie?
Die bekannte, aber sehr riskante Spaltung infolge der Globalisierungs. Es gibt einerseits die Kosmopoliten, Menschen, die oft gut gebildet sind und für offene Grenzen eintreten. Aber es gibt auch sehr viele Kommunitaristen, Menschen, die Schutz in kleineren Gemeinschaften, auch in der Nation, suchen und offene Grenzen als Bedrohung empfinden.

Die SPD macht einen Fehler, wenn sie nur die Kosmopoliten anspricht. Man kann sich einfach nicht leisten 100-prozentig pro-europäisch, für Migration und für Klimaschutz zu sein, wenn die eigene nationale Gesellschaft durch Ungleichheit, Altersarmut und regionale Fragmentierung geprägt ist. Das ist politischer Selbstmord.

Was müsste die SPD tun?
Viele Menschen sind verunsichert, gerade was ihre Erwartungen an die Zukunft angeht. Da müsste die SPD Orientierung bieten. Aber das tut sie nicht. Die SPD ist gerade die Partei der Zukunfts-Unsicherheit. Nur wenige Menschen trauen ihr zu, die Probleme der Zukunft zu lösen.

Das ist kein Wunder, denn die SPD beschäftigt sich nicht mit der Zukunft des Landes, sondern vor allem mit sich selbst. Sie sieht sich selbst als Problem. Niemand will von einer Partei repräsentiert und regiert werden, die sich selbst nicht liebt.

Reden wir über etwas Positives: Wie haben es die niederländischen Sozialdemokraten geschafft, bei der Europawahl stärkste Partei zu werden?
Wir hatten mit Frans Timmermans einen überzeugenden Spitzenkandidaten und wir hatten eine verständliche, konsistente Erzählung. Timmermans war als ehemaliger niederländischer Außenminister und Vizepräsident der EU-Kommission ein sehr überzeugender Führer, der nicht nur in der eigenen Partei, sondern auch in der ganzen Gesellschaft hohe Anerkennung genossen hat.

Und sein Versprechen war glaubhaft, sich zu Europa zu bekennen und gleichzeitig für eine soziale Reform der EU einzutreten. Der Timmermans-Effekt hat dafür gesorgt das die PvdA wieder aus dem Grab auferstanden ist. Der Europawahl-Gewinn hat politisch-psychologisch sehr gut gewirkt. Die PvdA ist jetzt wieder drittgrößte Partei in den Umfragen, stärker als die holländische Grünen!

Das heißt?
Wir haben deutlich gemacht, dass wir nicht das existentielle Ende der europäischen Sozialdemokratie erleben. Dieselbe Hoffnung bieten Dänemark, Schweden, Spanien. Es gibt keinen Grund, im Hinblick auf die Zukunft der Sozialdemokratie in Fatalismus zu verfallen.

Was kann die SPD daraus lernen?
Sie sollte einen Parteichef oder eine Parteichefin wählen, der oder die nicht nur in der SPD, sondern in der ganzen Gesellschaft Anerkennung genießt. Ich würde der SPD sowieso empfehlen, nicht so viel Energie in die Suche nach einer neuen Parteispitze zu investieren.

Stattdessen sollte die SPD ihre ganze Energie in die Regierungsarbeit stecken oder in die Ausarbeitung eines neuen Parteiprogramms für Deutschland und Europa, die der Unsicherheit der Gesellschaft neue Orientierung gegenüberstellt: Sozialstaat-Kontinuität, Angebote für die Mittelstandsgesellschaft, Bekenntnis zur liberalen Demokratie und Kontinuität in der Rechtsstaatspolitik.

Die Interimsparteichefs der SPD haben versprochen, dass der Kandidaten-Kampf die inhaltlichen Fragen klären werde.
Das glaube ich überhaupt nicht. Im Wettstreit der Kandidaten wird die SPD kein Bild der Einheit bieten, sondern sich total fragmentiert und richtungslos präsentieren. Die Deutschen werden dann noch weniger wissen, wofür die SPD steht, weil sie nicht eine, sondern zehn unterschiedliche sozialdemokratische Parteien erleben werden.

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