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Bisher können Kinder nur an Wahl-Simulationen teilnehmen – wie hier bei der letzten Europawahl.
© Matthias Balk/dpa

Kinder an die Urne?: Das Hauptargument für das Kinderwahlrecht trägt nicht weit

Es heißt immer, Kinder müssten auch wählen dürfen, weil die heutigen Entscheidungen ihre Zukunft beeinflussen. Doch das ist zu kurz gegriffen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albert Funk

Erst Greta Thunberg, dann die Betreuten. Seit die junge Schwedin Freitagsdemos von Heranwachsenden in ganz Europa angestoßen hat und der Bundestag Männer und Frauen mit gerichtlich bestellten Betreuern zum Wählen zuließ, kommt Dynamik in die Debatte über das Wahlrecht für Minderjährige – oder gleich von Geburt an.

Unmündigkeit allein, so der Tenor, sei kein Grund, ein Wahlrecht zu verweigern. Und tatsächlich sind ja viele Jugendliche politisch oft engagierter und kundiger als manche Erwachsene. Warum dürfen also sie, deren politisches Bewusstsein reift, nicht wählen, wird gefragt. Während Demente zum Beispiel ihr Wahlrecht weiterhin besitzen. Eigentlich müsse man jede Altersbegrenzung beim Wählen abschaffen, wenn Menschen ohne genügende Urteilsfähigkeit zugelassen würden, argumentiert etwa der Osnabrücker Verfassungsrechtler Hermann Heußner. Letztlich geht es um die Frage: Wer ist Bürger? Die Debatte dreht sich mithin nicht um eine Nebensächlichkeit.

Da in vier Bundesländern schon die Volljährigkeit als Wahlvoraussetzung abgeschafft wurde und Sechzehnjährige den Landtag mitwählen dürfen, ist die breite Debatte über eine entsprechende Senkung des Wahlalters auf Bundesebene wohl nur noch eine Frage der Zeit. Justizministerin Katarina Barley (SPD) gehört zu denen, die darauf hinarbeiten wollen.

Ein Wahlrecht für Kinder, sozusagen von null an, ist freilich noch einmal eine andere Sache, gehört aber in den Zusammenhang. Meist wird die Forderung verbunden mit einer Treuhänderschaft der Eltern. Entweder bis zur Volljährigkeit der Kinder oder bis zum abgesenkten Wahlalter. Oder bis zu dem Tag, an dem die Kleinen (oder die Eltern) sich entschließen, einen Eintrag im Wahlregister zu beantragen. Dann wandern also irgendwann Zwölfjährige oder noch Jüngere zum Kreuzchensetzen ins Wahllokal oder machen Briefwahl, daheim in der Familie.

Treuhänderisches Wählen

Dass das treuhänderische Wählen wegen des Gleichheitsgebots verfassungswidrig wäre, stört die Verfechter des Kinderwahlrechts nicht. Dass das Elternstimmrecht nach Kinderzahl quasi die Rückkehr zum Mehrklassenwahlrecht wäre, ficht sie auch nicht an. Den konservativen Befürwortern geht es vor allem um familienpolitische Anliegen und um die Rente, bei den progressiven Anhängern ist es eine Frage der demokratischen Gerechtigkeit, denn gehören Kinder nicht auch zum Volk? Parteipolitiker jeder Couleur wägen das Problem danach, wie weit die jeweils eigene Seite dabei gewinnen könnte. Es ist also nicht so, dass die Debatte völlig frei wäre von interessengeleiteten Argumenten.

Dabei trägt die Hauptbegründung für ein Absenken des Wahlalters, ob nun auf 16 oder von Geburt an, gar nicht so weit. Es wird mit der Zukunft argumentiert, nach dem Motto: Kinder und Jugendliche sind politischen Entscheidungen ausgeliefert, die sie viel stärker betreffen werden als die wahlberechtigten Erwachsenen, vor allem die Alten. Also müssen sie beteiligt werden.

Aber wählen 70-Jährige zwangsläufig nach dem Grundsatz „nach uns die Sintflut“? Und können Junge weiter in die Zukunft schauen? Schließlich treffen alle Wähler, egal wie alt, ihre Entscheidungen stets auf der gleichen Basis: Es sind Erfahrungen aus der Vergangenheit und Argumente in der Gegenwart, die möglicherweise auf Annahmen zur Zukunft beruhen. Die Älteren bringen dabei ihre größere Lebenserfahrung ein, Jüngere dagegen sind vielfach offener für Neues. Aber was die Zukunft tatsächlich bringt, weiß niemand. Es gibt keinen Zukünftigkeitsvorrang der Jungen.

Kaum eine Rolle spielt in der Diskussion der Zusammenhang von aktivem und passivem Wahlrecht. Wer aber andere wählen darf, sollte der nicht selber wählbar sein? Von welchem Alter an sind Abgeordnete denkbar? In allen vier Bundesländern mit aktivem Wahlrecht für Sechzehnjährige hat man das passive Wahlrecht bei 18 Jahren belassen. Das sagt eigentlich alles.

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