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Abgefüllt. In 500 Metern Tiefe liegen in Morsleben Fässer mit Atommüll. Seit Ende der 90er Jahre wird dort kein Müll mehr eingelagert.
© dpa

Endlagerung: Das Grubenunglück in Morsleben

Morsleben soll geschlossen werden, aber der Müll bleiben. Zwischen 1994 und 1998 wurden tausende Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiver Abfälle in Morsleben eingelagert – die Bürger fürchten sich vor Strahlung.

Es soll das letzte Kapitel einer mehr als 100-jährigen Geschichte sein. Das Atomendlager Morsleben in Sachsen-Anhalt soll endgültig geschlossen werden. 2005 hat das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) die entsprechenden Planungsunterlagen beim Umweltministerium Sachsen-Anhalt eingereicht. 12 000 Einwendungen sind dagegen erhoben worden. Am Donnerstag soll der Erörterungstermin beginnen. Einen Monat lang werden in Oschersleben die Bedenken von Umweltverbänden und Bürgern gegen die Verfüllung der Grube Bartensleben und der damit verbundenen Grube Marie in Morsleben verhandelt.

Die Geschichte des Endlagers Morsleben für schwach- und mittelradioaktive Abfälle liest sich in vielen Teilen ähnlich wie die des Skandalendlagers Asse auf der anderen Seite der früheren Grenze bei Wolfenbüttel. Auch die Grube Bartensleben ist Anfang des 20. Jahrhunderts zunächst als Kalibergwerk und später zur Förderung von Steinsalz in Betrieb genommen worden. In Morsleben begann der Wasserzutritt in die Grube sogar schon mit dem Beginn des Bergbaus – allerdings fließt deutlich weniger Wasser in den Salzstock als in die Asse. Es sind 12 000 Liter im Jahr, die Menge, die derzeit täglich in die Asse fließt.

Im Jahr 1971 entschied die DDR-Regierung, das aufgegebene Salzbergwerk für die Einlagerung radioaktiver Abfälle zu nutzen. Jahrelang wurden Versuche mit geringeren Mengen solcher Abfälle gemacht. 1978 begann die eigentliche Einlagerung von Abfällen aus den Atomkraftwerken Rheinsberg, Greifswald, dem Kernforschungszentrum Rossendorf und der Sammelstelle Lohmen. Bis 1991 sind insgesamt 14 500 Kubikmeter Atommüll aus der DDR in Morsleben eingelagert worden. Besonders problematisch waren flüssige radioaktive Abfälle, die mit Filterstäuben aus Braunkohlekraftwerken verfestigt werden sollten, was offenbar nicht ganz geklappt hat. Denn ein Teil der Flüssigkeiten sickerte in die tiefste Grubensohle, verdunstete dort und hinterließ radioaktiv kontaminierte Salzkristalle.

1990 wurde das Atomendlager Morsleben Bestandteil des deutschen Einigungsvertrags. Die Dauerbetriebsgenehmigung aus dem Jahr 1986 wurde befristet einfach übernommen. Die Langzeitsicherheit der Grube musste damals nicht nachgewiesen werden. 1991 bis 1994 wurde zwar kein Atommüll eingelagert. Doch 1994 setzte die damalige Umweltministerin Angela Merkel (CDU) durch, dass das Endlager wieder eröffnet wurde. Zwischen 1994 und 1998 wurden weitere 22 300 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiver Abfälle in Morsleben eingelagert – überwiegend aus westdeutschen Atomkraftwerken. Der Grund war einfach: Die Betriebsgenehmigungen der Atomkraftwerke beruhten auf einem zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend fiktiven Endlager für entsprechende Abfälle im ehemaligen Eisenerzbergwerk Schacht Konrad in Salzgitter, das inzwischen als Endlager ausgebaut wird, damals aber noch weit von einer Genehmigung entfernt war.

Lesen Sie auf Seite 2 was das Lager in Morsleben bedenklich macht.

Für hochradioaktive Abfälle galt Gorleben als gesetzlich geforderter „Entsorgungsnachweis“. Die Zwischenlager bei den Atomkraftwerken waren voll, es musste Entlastung her. Dabei hatte es schon in der DDR ernst zu nehmende Sicherheitsbedenken gegeben. 1969 schrieb das Deutsche Brennstoffinstitut Freiberg in einem Gutachten von einer „großen hydrologischen Gefährdung“. Übersetzt heißt das, dass die Grube jederzeit absaufen kann. Zwei Jahre später: „Der zentrale Teil der Grube lässt wahrscheinlich keine ausreichende Standsicherheit erwarten.“ Eine Einschätzung, die sich bestätigt hat, weswegen zwischen 2003 und 2011 in dem Teil der Grube, in dem keine radioaktiven Abfälle lagern, rund 900 000 Kubikmeter Salzbeton eingebracht wurden, um einen Einsturz zu verhindern.

Doch trotz dieser 1994 bekannten Bedenken und Warnungen entschied die damalige Regierung von Helmut Kohl (CDU), weiter Atommüll in Morsleben einzulagern. Erst 1999 setzte das BfS schließlich durch, dass kein Atommüll mehr angenommen werden durfte. Seither wird die Standfestigkeit der Grube erhöht. Damit hat das BfS die notwendige Zeit gewonnen, um nun in einem ordentlichen atomrechtlichen Verfahren über die Schließung der Anlage zu verhandeln. „Das ist der entscheidende Unterschied zur Asse“, sagte der Präsident des BfS, Wolfram König.

Von Donnerstag an wird das BfS seine Auffassung begründen, warum eine Verfüllung der Grube mit Salzbeton und der Bau von Barrieren gegen das eindringende Grundwasser die Lage unter Tage lange genug stabilisieren wird, um Mensch und Umwelt zu schützen. Wenn das Risiko besteht, dass Stoffe aus der Grube ins Grundwasser oder an die Oberfläche austreten, sollen die radioaktiven Stoffe weitgehend zerfallen sein. Das BfS rechnet damit, dass erst in etwa 10 000 Jahren einzelne Stoffe aus dem Endlager austreten könnten. Deshalb hat das BfS die Variante, das Endlager zu räumen und die Abfälle anderswo zu lagern, auch verworfen.

Dabei würden neben den etwa 37 000 Kubikmetern Atomabfällen weitere etwa 80 000 Kubikmeter kontaminierter Salze anfallen, die in einem anderen Endlager untergebracht werden müssten. Zudem entstünden Kosten von etwa 3,4 Milliarden Euro. Der Tüv-Nord kam in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass die Rückholung „machbar, aber nicht zulässig“ sei, weil die Belegschaft einer unnötigen Strahlenbelastung ausgesetzt würde. Sollten die Planungsunterlagen des BfS von den Genehmigungsbehörden gebilligt werden, würde die Schließung dieses Kapitels deutsch-deutscher nuklearer Verantwortungslosigkeit etwa 2,2 Milliarden Euro kosten. Die Einlagerung hat die Atomkonzerne zwischen 1994 und 1998 138,06 Millionen Euro gekostet.

Dagmar Dehmer

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