Griechenland und die Gläubiger: Das große Missverständnis
Die Regierung von Alexis Tsipras verhandelt mit den internationalen Geldgebern über die Reformen. Dabei herrschen offenbar unterschiedliche Prämissen: Für Athen sind die Gespräche eher nebensächlich, für die Gläubiger von zentraler Bedeutung.
Zwischen den Geldgebern und der griechischen Regierung gibt es weiter grundlegende Meinungsunterschiede bei den laufenden Verhandlungen zur Freigabe der von Athen dringend benötigten Hilfsmilliarden. In EU-Kreisen wurde am Freitag kritisiert, dass die griechischen Gesprächspartner weiter eine Haltung verträten, wonach die EU-Partner zunächst die Hilfsgelder überweisen müssten, bevor Reformen auf den Weg gebracht würden. Die Gläubiger sehen das genau anders herum: Erst müssen einige Reformen das Parlament in Athen passieren, bevor die Hilfsmilliarden freigegeben werden können. „An der Haltung der Geldgeber, wonach zunächst einmal einige der Reformen im Parlament beschlossen werden müssen, bevor Geld fließt, dürfte sich nichts geändert haben“, sagte Guntram Wolff, der Direktor des Brüsseler Bruegel-Instituts, dem Tagesspiegel.
Die Gespräche zwischen den Institutionen der Gläubiger und der Links-Rechts-Regierung des Syriza-Chefs Alexis Tsipras finden unter großem Zeitdruck statt, weil Griechenland in den nächsten Wochen die Pleite droht. Beide Seiten peilen für das nächste Treffen der Euro-Finanzminister am 24. April in Riga eine Einigung an. Allerdings kommen die Verhandlungen zwischen den Fachleuten der Gläubiger-Institutionen und den Experten der Tsipras-Regierung in Athen kaum voran. „Die Treffen müssten eine viel höhere Frequenz haben“, hieß es am Freitag in EU-Kreisen.
Das 26-Seiten-Papier aus Athen ließ für die Gläubiger viele Fragen offen
Vor eineinhalb Wochen hatte Athen im Kreis einer Arbeitsgruppe der Euro-Finanzminister eine 26-seitige Reformliste mit zahlreichen Tabellen und Berechnungen zu den staatlichen Einnahmen aus einzelnen Reformmaßnahmen – beispielsweise dem Kampf gegen die Steuerhinterziehung – vorgelegt. Damals hatten die Gläubiger moniert, dass viele der von Athen präsentierten Zahlen in sich nicht schlüssig seien. Der griechischen Seite sei seinerzeit klar gemacht worden, dass sie noch ein „hartes Stück Arbeit technischer Natur“ zu leisten habe, hieß es am Freitag in EU-Kreisen. Trotzdem sei seitdem „nicht viel passiert“.
Geldgeber müssen Aufklärungsarbeit leisten: Keine Pro-forma-Gespräche
Der Grund für den schleppenden Verlauf der Gespräche könnte darin liegen, dass Tsipras darauf setzt, dass die Euro-Finanzminister am Ende unabhängig von den Gesprächen der Fachleute in Athen eine politische Entscheidung zur Freigabe weiterer Hilfsgelder fällen würden. Dies sei aber „ein großer Irrtum“, hieß es in EU-Kreisen. Den Angaben zufolge wurde beim letzten Treffen der Arbeitsgruppe der Euro-Gruppe am vergangenen Mittwoch in Brüssel viel Zeit darauf verwendet, dem griechischen Vertreter Nikos Theocharakis klar zu machen, dass die Verhandlungen über die Details der Reformliste keineswegs nur pro forma stattfinden. Es hänge letztlich vom Urteil der Fachleute der Gläubiger ab, welche Entscheidung die Euro-Finanzminister am Ende treffen, hieß es.
Athen stellt Unabhängigkeit von Banken-Rekapitalisierungsfonds in Frage
Nach den Angaben aus EU-Kreisen ist bislang bei den Gesprächen der Fachleute in Athen noch kein einziger Verhandlungsblock vollständig abgearbeitet worden. Auf der Seite der Geldgeber sei man unzufrieden, weil Tsipras’ Regierung von der ursprünglichen Zusage abrücke, keine einseitigen Schritte zu unternehmen, welche die Haushaltsziele gefährden könnten. So sei die geplante Rentenreform zum Teil zurückgedreht worden, und Privatisierungen kämen ebenfalls nicht voran wie zugesagt. Kritisiert werden von EU-Seite auch Athener Regierungspläne, die politische Unabhängigkeit des griechischen Fonds zur Rekapitalisierung von Banken zu beschneiden.
Zudem nahm das Parlament in Athen am Donnerstag die Beratungen über die Wiedereinstellung von rund 4000 Beamten auf, die im Zuge der Sparmaßnahmen ihre Posten verloren hatten. Die Wiedereinstellung der Staatsdiener, zu denen Polizeibeamte, Behördenvertreter und Mitarbeiter im Schuldienst gehören, zählte zu den Wahlversprechen des Linksbündnisses Syriza. Mit einer Abstimmung über das entsprechende Gesetz wird in den kommenden Wochen gerechnet.
Derweil bemühten sich die EU-Kommission, ein positives Bild von den Verhandlungen zwischen Griechenland und den Gläubigern zu zeichnen. Es gebe „Fortschritte in den Gesprächen“, sagte eine Sprecherin der Brüsseler Behörde. In Berlin bewertete die Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz die pünktliche Rückzahlung eines Kredites über 450 Millionen Euro von Hellas an den Internationalen Währungsfonds (IWF) als „ein wichtiges Zeichen dafür, dass Griechenland willens und in der Lage ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen“.
Auch Frankreichs Premier Valls ermahnt Griechenland
Dennoch mehren sich in den Gläubiger-Ländern die Stimmen, die den Kurs der Syriza-Regierung zunehmend kritisch sehen. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen, Dieter Janecek, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, für ihn stehe die Zustimmung zu weiteren Hilfspaketen für Griechenland „auf der Kippe“, wenn Tsipras’ Regierung nicht endlich gemeinsam mit den Partnern wirksame Reformvorschläge unterbreite. Mit ungewöhnlicher Deutlichkeit rief auch der französische Premierminister Manuel Valls die Regierung in Athen auf, die bisherigen Reformvorschläge noch einmal zu überarbeiten. Wenn Griechenland weitere Milliardenhilfen erhalten wolle, müsse Athen „eine Liste von weiter gehenden Reformen“ vorlegen, sagte der Sozialist der portugiesischen Zeitung „Diario Economico“.