Klage gegen deutsche Textilfirma: "Das Gefühl, sich wehren zu können"
Vier Opfer des Brands bei einem pakistanischen Zulieferer der Textilkette KiK klagten in Deutschland. Erfolglos? Nein, sagt Juristin Miriam Saage-Maaß.
Frau Saage-Maaß, das Dortmunder Landgericht sieht mögliche Ansprüche der Opfer eines Brandes in einem pakistanischen Zulieferbetrieb des deutschen Textilhändlers KiK als verjährt an. Sie haben die Klage gegen KiK vorbereitet – sind Sie gescheitert?
Ich denke, nein. In Dortmund hatten wir in mehrfacher Hinsicht ein Präzedenzverfahren. Erstmals ist die Frage, ob deutsche Unternehmen für die Zustände bei ihren Zulieferfirmen haften müssen, nicht nur theoretisch erörtert, sondern praktisch durchgespielt worden. Und sie ist damit in der juristischen Debatte angekommen. Wenn namhafte Professoren sich in renommierten Fachzeitschriften damit auseinandersetzen, haben wir eine ganz andere Situation für die politische Debatte darüber, ob wir ein Gesetz brauchen, das deutsche Unternehmen zur Sorgfalt in ihrer Lieferkette verpflichtet. Da können akademische Debatten etwas vorbereiten.
Und außerdem?
Mit dem Verfahren in Dortmund haben wir auch politisch und sozial etwas gewonnen . Das Thema hat eine breitere Öffentlichkeit erreicht, es ist jetzt im Rahmen des Denkbaren, das Arbeiterinnen aus Südasien direkt nach Deutschland kommen und hier ihr Recht einklagen.
Das sie ja jetzt nicht bekommen haben.
Es war dennoch ein Akt der Selbstermächtigung. Für die pakistanische Gewerkschaft, mit der wir zusammenarbeiten, war die Klage in Dortmund nicht alles, aber es war ein wichtiger Teil ihrer gewerkschaftlichen Arbeit. Unsere Partner vor Ort haben uns versichert, dass das Verfahren etwas ausgelöst hat. Es hat den Betroffenen das Gefühl gegeben, dass sie sich wehren können und nicht machtlos sind. Trotz der Enttäuschung über den Ausgang ist diese Strategie aufgegangen. Denn immerhin hat KiK insgesamt sechs Millionen US-Dollar freiwillig in einen Entschädigungsfonds gezahlt. Die Zusage hierfür gab KiK eine Woche, nachdem das Gericht die Klage angenommen hatte.
Sie wollen möglicherweise in die Berufung gehen. Was soll da geschehen?
Ein Berufungsverfahren gäbe die Möglichkeit, in die Beweisaufnahme einzutreten und die Rechtsfragen doch noch zu erörten, konkret die Frage nach der Verantwortung deutscher Unternehmen für ihre Tochter- und Zulieferfirmen im Ausland.
Welchen Hebel haben Sie da?
Wir sind der Meinung, dass das Landgericht Dortmund die Verjährungsfrage falsch beurteilt hat. KiK hatte, als wir vor Gericht gehen wollten, 2014 nach deutschem Recht förmlich darauf verzichtet, von der Verjährung Gebrauch zu machen. Später haben sie diese Erklärung widerrufen mit der Begründung, das Verfahren sei ja nach pakistanischem Recht gelaufen. Wir sind der Meinung, dass das nichts an der Gültigkeit ihrer Verzichtserklärung ändert.
Was bringen Prozesse wie dieser auf mittlere und lange Frist? Denken Sie an die spektakuläre Klage Hirsi Jamaa und andere von 2012: Die 24 Bootsflüchtlinge, die gegen ihren Willen von italienischen Schiffen nach Libyen zurückgebracht wurden, gewannen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Aber die EU-Staaten haben seitdem andere, effektivere Möglichkeiten gefunden, sich die Ansprüche Geflüchteter vom Halse und fern ihrer Gerichte zu halten.
Ich würde nie sagen, dass Klagen der einzige Weg sind, politische und soziale Missstände zu ändern. In Dortmund war sie ein – wie ich finde erfolgreicher - Teil einer transnationalen Kooperation von pakistanischen Gewerkschaften, europäischen Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen und Anwältinnnen und Anwälten aus beiden Ländern. Es ist klar, dass rechtliche Mittel zweischneidig sind, man muss immer fragen, ob die Chancen einer Klage die Risiken einer Niederlage vor Gericht überwiegen. Im KiK-Fall hat es viel gebracht, er wurde in der Textilbranche und unter Juristen diskutiert, in Deutschland und auch international, in Pakistan sind die Gewerkschafterinnen, die Überlebenden und Angehörigen in ihrem politischen Kampf jetzt gestärkt. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass es für sie in Deutschland eine Öffentlichkeit gibt. Zugleich ist klar: Recht allein regelt nie alles. Der Fall Hirsi Jamaa und andere ist da ein gutes Beispiel: Rechtlich war das ein voller Erfolg. Damit haben die 24 Geflüchteten die Partie aber noch nicht politisch und sozial gewonnen. Das gilt für jedes Gerichtsverfahren – die Wirksamkeit des Rechts hängt auch von den politischen und sozialen Rahmenbedingungen ab – beides beeinflusst sich gegenseitig.
Andrea Dernbach
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