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Annegret Kramp-Karrenbauer am Montag in Berlin.
© Odd ANDERSEN / AFP

AKK-Rückzug vom CDU-Vorsitz: Das Experiment Annegret Kramp-Karrenbauer ist gescheitert

Die CDU steht jetzt vor einem Streit über die Richtung der Partei - und das Personal an der Spitze. Wer folgt auf Kramp-Karrenbauer?

Einer im Präsidiumssaal hat mitgestoppt: 45 Sekunden. So lange dauert das betretene Schweigen. Angela Merkel hat sie kurz vorgewarnt, die CSU, ihren Stab, den Generalsekretär. Sonst ahnt keiner etwas. Annegret Kramp-Karrenbauer hat allein für sich entschieden, so wie immer, so wie damals, als sie vor drei Jahren aus dem Saarland aufbrach, um einmal Kanzlerin zu werden. Vorbei. „Wir müssen stark sein, stärker als heute“, wird sie später im Scheinwerferlicht im Foyer des Konrad-Adenauer-Hauses sagen. Sie war zu schwach. Aber nicht sie allein.

Vor der Presse trägt Kramp-Karrenbauer die Entscheidung und ihre Gründe nüchtern vor. „Ich werde mich nicht um die Kanzlerkandidatur bewerben“, sagt sie. Den Prozess, jemand dafür zu finden, werde sie aber weiter führen, gemeinsam mit der CSU, und zwar bis zum Sommer und „von vorne“. Wenn der Kanzlerkandidat danach gewählt sei, werde sie ihm den Parteivorsitz überlassen. Beide Ämter müssten in einer Hand bleiben, so wie es in der CDU seit jeher der Brauch sei.

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Die Arbeitsteilung zwischen Kanzleramt und Adenauer-Haus war der Konstruktionsfehler, der von Anfang an in ihrer Amtszeit steckte. Ein „Experiment“ hatte Kramp-Karrenbauer die Doppelspitze mit Merkel genannt, kurz nachdem sie in Hamburg gewählt war. Es hätte vielleicht gelingen können – als kurze Übergangszeit. In den Wochen danach gab es Indizien, dass Merkel ebenfalls darüber nachdachte, ihrer Wunschnachfolgerin den Weg frei zu machen. Leute, die es wissen müssen, flüstern sogar von diskreten Gesprächen mit der damaligen SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles darüber, ob die Sozialdemokraten einen Wechsel im Kanzleramt mittragen könnten.

Sie konnten nicht. Und Nahles war wenig später selber weg. Aber da hatte Kramp-Karrenbauer schon die ersten eigenen Schrammen, und Merkels Sicht wurde nüchtern darwinistisch. Kanzlerformat beweise sich in Krisen: „Da muss sie selber rausfinden.“

Sie hatte sich schließlich auch selber reingeritten. Das „Werkstattgespräch Migration“ verärgerte Merkel und ihre Anhänger, ohne die Merkel-Gegner ruhig zu stellen. Dann die Patzer, die ihr Twitterstürme eintrugen – der karnevalistische Toilettenwitz, die unbeholfene Antwort auf die Rezo-Attacke aus der Youtube-Welt, die „Rechtsruck“-Schuldzuweisung an die Junge Union nach der verlorenen Europawahl.

AKK: Ihre Stationen als Parteichefin

  • Am 29. Oktober 2018 kündigt Angela Merkel an, nicht erneut als CDU-Chefin anzutreten. Annegret Kramp-Karrenbauer, zu diesem Zeitpunkt seit gerade acht Monaten CDU-Generalsekretärin, meldet ihre Kandidatur an.
  • Beim Bundesparteitag in Hamburg am 7. Dezember 2018 setzt sich Kramp-Karrenbauer im zweiten Wahlgang knapp gegen ihren Konkurrenten Friedrich Merz durch.
  • Eine ihrer ersten größeren Amtshandlungen als Parteichefin ist im Januar 2019 das Werkstattgespräch zur Migrationspolitik. Dabei geht es vor allem um die künftige Flüchtlingspolitik der Union
  • Im Juli fällt der Beschluss, dass die bisherige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen neue EU-Kommissionschefin werden soll. Annegret Kramp-Karrenbauer wird – obwohl sie ein Regierungsamt zunächst ausgeschlossen hatte - am 17. Juli 2019 zur Verteidigungsministerin ernannt.
  • In den Bundesparteitag 2019 in Leipzig im November geht AKK bereits sehr angeschlagen. Sie kann ihre Kritiker aber kurzfristig zum Schweigen bringen, indem sie direkt die Machtfrage stellt.
  • Nach der Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen mit den Stimmen der CDU und der AfD steht Kramp-Karrenbauer zunehmend als machtlos in der Partei da. Am 10. Februar erklärt sie sowohl ihren Verzicht auf die Kanzlerkandidatur als auch auf den Parteivorsitz.

Im Grunde hingen alle diese Patzer zusammen. Die Saarländerin fand sich zu lange nicht zurecht im politischen Twitter-Milieu der Hauptstadt. Sie hielt die CDU Deutschlands auch zu lange für ein Abbild der CDU, die sie kannte: Einen geordneten Landesverband mit hergebrachten Konfliktlinien. Dass Leute wie Hans- Georg Maaßen nicht einzubinden sind, sondern ihr ganzes Geschäft auf Illoyalität aufbauen, die sie dann Haltung nennen, war ihr zu lange unvorstellbar.

Den dritten Grund für ihren Rückzug deutet sie nur an

Im Präsidium nennt sie noch einen zweiten Grund für ihren Rückzug. Sie habe den Beschluss immer ernst genommen und ernst gemeint, den die CDU in Hamburg gefasst hat: Keine Zusammenarbeit mit Linken und AfD. Aber in der Partei sehe das nicht jeder so: „Wir spüren derzeit starke Fliehkräfte.“ Das kann man wohl sagen. Seit dem Debakel von Erfurt sind sie überdeutlich. Es gibt Christdemokraten wie Daniel Günther aus Kiel, die für punktuelle Öffnung nach links plädierten, andere, nicht nur im Osten, die hinterrücks oder offen auf Bündnisse mit der AfD hinarbeiten.

Jens Spahn ist weiter im Rennen um die Kanzlerkandidatur.
Jens Spahn ist weiter im Rennen um die Kanzlerkandidatur.
© AFP

Den dritten Grund deutet sie nur an. Aber jeder kennt ihn. Seit dem Thüringer Desaster hat die engere Parteiführung zu jedem ihrer Schritte einstimmig die Hand gehoben. Zu ihrer Unterstützung ins Fernsehstudio bemüht hat sich keiner. Die allseits bekannten Thronanwärter übten wortkargen Zuspruch oder dezente Kritik. Konstruktiv war nur Jens Spahn. Von ihm kam die Idee, in Erfurt SPD und Grüne in die Mitverantwortung dafür zu nehmen, dass dort ein Regierungschef mit Mehrheit ins Amt kommen kann und ohne unerbetene Hilfe der AfD.

Wenn es so weiter geht, kann sich die CDU den nächste Kanzlerkandidaten sparen

Als sich montagfrüh das Präsidium vom ersten Schreck erholt hat, gibt es Respektbekundungen, so wie später im Bundesvorstand. Dass die Lage ernst ist, war ja seit letzter Woche allen klar; dass sie so ernst ist, nicht allen. Wolfgang Schäuble merkt im Vorstand bitter an, wenn man es so weiter treibe, könne sich die CDU den nächsten Kanzlerkandidaten sparen.

Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier malt das Szenario aus: Schaue man auf Umfragewerte und die Stärke der Grünen, riskiere der nächste CDU-Kandidat, nicht im Kanzleramt zu landen, sondern sich als Oppositionsführer wiederzufinden. Ein grüner Kanzler an der Spitze einer rot-rot-grünen Bundesregierung – es gibt Umfragen, die das denkbar scheinen lassen. Mittelstandschef Carsten Linnemann warnt, die CDU drohe den Status einer Volkspartei zu verlieren.

Armin Laschet gilt bisher als aussichtsreichster Kandidat.
Armin Laschet gilt bisher als aussichtsreichster Kandidat.
© REUTERS

Armin Laschet schafft es nicht nach Berlin - wegen Sabine

Die allseits bekannten Thronanwärter gehen in Deckung. Spahn würdigt als Kramp-Karrenbauers Verdienst, dass sie CDU und CSU wieder zusammengeführt habe, und mahnt zum Zusammenhalt.

Armin Laschet hat es nicht nach Berlin geschafft. Sabine hat ihn gestoppt, der Sturm. Der Nordrhein-Westfale predigt aus der Ferne ebenfalls Zusammenhalt. Jetzt gelte es, „mit der programmatischen Breite unserer Vereinigungen und der regionalen Verankerung der Landesverbände“ ein überzeugendes Angebot zu entwickeln. Das mit der Breite und der regionalen Verankerung darf man als dezente Selbstempfehlung deuten.

Die Thronanwärter halten sich zurück

Merz bleibt wortkarg, bekundet Respekt und verspricht Kramp-Karrenbauer zu unterstützen bei der Kandidatenkür „von vorn“. Die für Normalbürger nicht sofort entschlüsselbare Richtungsangabe steht für das Verfahren. Kramp-Karrenbauer pocht darauf: Sowohl CDU als auch CSU haben auf ihren Parteitagen einen Mitgliederentscheid abgelehnt. Also entscheiden die Parteiführungen die Personalie, die dann Parteitage von CDU und CSU bestätigen, und die Parteivorsitzenden bereiten sie vor.

Friedrich Merz hält sich öffentlich bisher zurück.
Friedrich Merz hält sich öffentlich bisher zurück.
© imago images / Metodi Popow

Ob es der reguläre CDU-Parteitag im Dezember sein muss, lässt sie ein bisschen offen, Hauptsache Parteitag. Und Hauptsache, die Chefs führen. Also Markus Söder und Annegret Kramp-Karrenbauer: „Ich war die Parteivorsitzende, ich bin die Parteivorsitzende und werd’ es auf absehbare Zeit auch bleiben.“

Kanzlerin plus Parteichefin auf Abruf plus Rätsel um Kanzlerkandidatur

Die Frage ist allerdings, wie absehbar. Es steckt ein dickes Problem in diesem Rückzug auf Raten. Wenn ihre eigene Analyse stimmt, dass die Lage der Christdemokratie ernst ist und das auch mit einer „offenen Führungsfrage“ zusammenhängt, dann spricht alles dafür, zumindest diese Flanke schnell zu schließen. Das Modell „Kanzlerin plus Parteivorsitzende“ hat sich nicht bewährt – was soll das Modell „Kanzlerin plus Parteichefin auf Abruf plus Rätsel um Kanzlerkandidatur“ daran verbessern?

Für Kramp-Karrenbauer hat es freilich einen unbestreitbaren Vorzug. Jetzt, wo sie selber nicht mehr als Kandidatin in Frage komme, könne sie „diesen Prozess sehr viel freier gestalten“, sagt sie selbst. Das bezog sich auf die Kanzlerkandidatensuche. Es gilt aber auch für andere Amtsgeschäfte einer Vorsitzenden.

Hans-Georg Maaßen schaltet sich ein

Womit die „Werte-Union“ ins Spiel kommt. Die konservativen Ultras sehen sich auf der Siegerstraße. „Ich finde es sehr lobenswert, dass sie ihre eigenen Karrierepläne hintanstellt“, frohlockt der Vorsitzende Alexander Mitsch, fordert nachhaltige Korrektur von Merkels „Linkskurs“ und empfiehlt dafür Merz. Sein Promi-Mitglied Maaßen twittert, die CDU brauche jetzt einen Vorsitzenden, „der Probleme löst und nicht Teil des Problems ist“.

Dabei kann der frühere Verfassungsschutzchef nur hoffen, dass sie das nicht tut. In der Vorstandssitzung wurde harte Kritik an der „Werte-Union“ geübt. Die von der CDU nicht anerkannte Truppe fand nichts dabei, dass der FDP-Mann Thomas Kemmerich sich in Erfurt von der AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ und schäumte über die Entlassung des Ostbeauftragten Christian Hirte, der auch nichts an dem Vorgang gefunden hatte. Kramp-Karrenbauer ließ erkennen, dass sie das nicht im Einklang sieht mit Beschlüssen und „Wertefundament“ der CDU. Sie wäre jetzt frei, ein Exempel zu statuieren.

Gilt Söders Absage an die Kanzlerkandidatur noch?

Nur ob ihr die Zeit dafür bleibt – ungewiss. Ihre alten Widersacher bleiben die neuen. Der Thüringer Partei- und Immer-noch- Fraktionschef Mike Mohring wittert Morgenluft. Er schlägt eine „Basiskonferenz“ vor. Die Thüringer CDU-Mitglieder sollten „über die Lage im Land und CDU als Volkspartei“ diskutieren. Das klingt edler, als es gemeint ist. Linnemann dringt auf Tempo und warnt vor einer „Hängepartie“.

Markus Söder meldet sich nur kurz per Twitter. Der Rückzug tue ihm leid, denn er habe gut mit AKK zusammengearbeitet. „Aber es ist jetzt notwendig, die inhaltliche und personelle Aufstellung der #CDU grundsätzlich zu klären.“ Das stimmt. Trotzdem steckt etwas Übergriffiges darin, wenn das der CSU-Chef der Schwesterpartei aufträgt. Gilt Söders Absage an die Kanzlerkandidatur noch? Er muss das jetzt mit sich selbst mal grundsätzlich klären. Überhaupt ist nur eines klar an diesem Montag: Klarer als vorher ist eigentlich fast nichts.

Robert Birnbaum

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