Greta Thunberg segelt zum UN-Klimagipfel: Das erwartet die Klimaaktivistin auf dem Weg nach New York
Der deutsche Profisegler Boris Herrmann will mit Greta Thunberg am Mittwoch in See stechen. Die Atlantik-Fahrt auf der Rennyacht könnte mühsam werden.
Wenn der Profisegler Boris Herrmann seine Rennyacht im bretonischen Hafenstädtchen Lorient betritt, dann hat er vor allem eines im Sinn: besser werden. Für ihn heißt das: schneller sein. Schneller, als er es das letzte Mal war. Und schneller, als es die anderen sind, seine Konkurrenten um die Krone des Hochseesegelns.
Denn der 38-jährige Skipper, der in Hamburg lebt, hat ein ehrgeiziges Ziel. Er will nicht nur als erster Deutscher bei der Soloregatta Vendée Globe teilnehmen, er will sie, wenn möglich, sogar gewinnen.
Doch jetzt legt er bei seinen Bemühungen eine Pause ein, um auf eine andere Art besser zu werden. Er wird ein 16-jähriges Mädchen auf seinem Boot über den Atlantik bringen. Es ist nicht irgendein Teenager, sondern Greta Thunberg, die die mit ihren Schulstreiks zur Symbolfigur der weltweiten Schülerproteste gegen den Klimawandel geworden und derzeit vielleicht das berühmteste Kind der Welt ist.
Sie treibt mit ihren öffentlichen Reden und Auftritten die Regierungen der Industrieländer mit einer einfachen Forderung vor sich her, nämlich die vereinbarte Reduktion des CO2-Ausstoßes nicht länger hinauszuzögern, sondern umzusetzen.
Das "Time"-Magazin hat Greta Thunberg in die Liste der hundert einflussreichsten Persönlichkeiten des Jahres 2019 aufgenommen. In kommenden Jahr ist sie auf eigenen Wunsch vom Schulunterricht befreit.
Ende Juli twittert das Mädchen, dass es den UN-Klimagipfel in New York im September und ein weiteres Klima-Event in Santiago de Chile besuchen werde, und dass sie den Atlantik auf einem der schnellsten Segelboote zu überqueren gedenke, die es gibt: auf Boris Herrmanns Malizia, ein Open 60 der jüngeren Generation, der mit Flügelschwertern, so genannten Foils, ausgerüstet ist und Spitzengeschwindigkeiten von über 30 Knoten erreichen kann.
Auf was sich Greta Thunberg bei dieser Überfahrt von 3000 Meilen über den Nordatlantik einlässt, davon hat sie keine Vorstellung, denn auf einem Segelboot war die gebürtige Stockholmerin noch nie. Sie weiß nur einfach, dass sie nicht mehr Fliegen will, um die Umwelt zu schonen. Deshalb twitterte sie im Juni, dass sie nach einer Möglichkeit suche, klimaneutral in die USA zu gelangen.
Boris Herrmann und sein Kompagnon und Ko-Skipper Pierre Casiraghi aus Monaco waren sofort elektrisiert von der Idee, sich hier als Chauffeure anzubieten. Sie zeigten ihr das Boot bei einer Videokonferenz und trafen sie jüngst in der schwedischen Botschaft von Paris.
Zuerst war ein Probetörn überlegt worden, um herauszufinden, ob die rauen und kargen Bedingungen an Bord für Greta erträglich sein würden. Der Trip von England in die USA dürfte 14 Tage dauern.
Herrmann war wohl nicht der einzige, der sich um den Expresstransport nach Amerika bewarb, aber er versprach etwas, das sonst niemand halten konnte. Eine Reise ohne CO2-Emmissionen. Denn sein Schiff produziert die Energie, die es verbraucht durch Solarzellen und Hydrogeneratoren selbst. An- und Ablegen sollen mit Elektroantrieben erfolgen. Damit sind die formalen Voraussetzungen erfüllt, die Thunberg sich selbst vorgegeben hat.
Aber dann ist da immer noch das Meer.
Es ist für eine unerfahrene Person nicht leicht, sich diesem Element auf einem Gefährt auszusetzen, das keinerlei Geborgenheit bietet, sondern nur Lärm, Nässe, beengte Verhältnisse und Erschöpfung. Denn der Ritt auf einem Open 60, der sich auf seinen Foils zudem noch aus dem Wasser hebt und mühelos Geschwindigkeiten von etwa 60 Stundenkilometern erreicht, hat etwas von einem Lkw, der ungebremst eine Serpentinenstraße hinabdonnert, während man selbst auf der Ladefläche Halt sucht. Ist es der richtige Ort für einen Teenager?
Boris Herrmann hat Thunberg als Rednerin in Hamburg erlebt und nun privat. Dieses Mädchen mache sich nichts vor, glaubt er und vertraut auf sein psychologisches Geschick, es Greta an Bord "so angenehm und erträglich wie möglich zu machen". Und sollte sich das Wetter doch gegen sie wenden und ein Sturm ihre Bahn kreuzen, sagt er: "Auch im Rennmodus nehmen wir Rücksicht auf uns selbst." Außerdem seien sie mit der Malizia so schnell unterwegs, dass sie sich zu Wettersystemen positionieren könnten, also einen Umweg in Kauf nehmen, um auf günstigere Winde zu stoßen.
Der 38-jährige Herrmann wird begleitet von seinem Segelpartner Pierre Casiraghi, dem monegassischen Fürstensohn. Beide sind in der Umweltstiftung von Prinz Albert von Monaco aktiv, wie überhaupt der Meeresschutz in Herrmanns Leben eine immer wichtigere Rolle einzunehmen begonnen hat.
So hat er seine Vendée-Globe-Kampagne früh unter ökologische Prinzipien gestellt. Wenn er schon das Privileg besitze, auf den Ozeanen unterwegs zu sein, hat er sich gedacht, könne er immerhin Daten sammeln, an die Meeresbiologen sonst nicht herankämen. Ein Messgerät an Bord der Malizia zeichnet CO2-Konzentration, Temperatur und Salzgehalt im Meerwasser auf und sendet die Ergebnisse an Geomar und Max-Planck-Gesellschaft. "Wenn das Boot Greta Thunbergs Botschaft verstärken kann, umso besser", sagt Herrmann.
Privatsphäre gibt es an Bord nicht, eine Toilette fehlt
Auf der Überfahrt wird Greta von ihrem Vater sowie einem Kameramann begleitet. Für mehr Personen bietet die Malizia nicht Platz. Denn obwohl die Yacht mit ihren 18 Metern unter Deck viel Raum bietet, ist der nicht für Menschen vorgesehen.
In der mattschwarzen Höhle des Vorschiffs liegen die Segel auf dem unverkleideten Spantengerippe, weiter hinten durchschneiden die Leinenschächte und Kästen für die Foils den Raum, an den Bordwänden sind Ballasttanks angebracht, die durch Schläuche miteinander verbunden sind. Tatsächlich schrumpft der Platz, den sich Boris Herrmann mit Mitseglern teilt auf wenige Quadratmeter zusammen. Und er vergleicht die Bordroutine mit einem Tetris-Spiel. Man verschiebt sich in die Lücke, die einem ein Mitsegler freilässt. Privatsphäre gibt es nicht.
Zwar will Herrmann seinem Passagier durch Vorhänge einen kleinen eigenen Bereich zugestehen, doch ist es unter deck so stickig, eng und heiß, dass jeder Luftzug willkommen Abkühlung bringt.
Und dann ist da noch die Sache mit dem täglichen Bedürfnis. Eine Toilette fehlt. Ein Plastikeimer muss genügen. Auf den setzt sich, wer muss, im Freien, unter der geschützten Überdachung des Cockpits, während die Mitsegler so gütig sind, sich unter Deck bei geschlossenem Schott die Zeit zu vertreiben und sich ständig Sturzbäche über das Süllbord in die offene Plicht ergießen. Man hockt da, mit Händen an irgendeinem Gegenstand verkrallt und betet darum, schnell fertig zu werden.
Man sorgt dafür, dass die Tortur möglichst schnell ein Ende hat
Außerdem quetscht man sich hier und da. Oder gießt sich kochendes Wasser über die Finger, um es in einen Beutel mit gefriergetrockneter Nahrung zu schütten. Und die ganze Zeit gibt das Carbongehäuse der Yacht beängstigende Laute von sich, als würde etwas bersten oder der Ozean mit einem Knüppel gegen die dünne Außenhaut hämmern.
So fühlt sie sich an, die Verbindung aus CO2-frei und schnell.
Aber mehr macht man ohnehin nicht, als erschöpft von den rasanten Bewegungen des Schiffes auf einer der beiden harten Stahlrohrpritsche zu schlafen oder an Deck dafür zu sorgen, dass das Boot vorwärts kommt und die Tortur möglichst bald ein Ende hat.
Losgehen soll es eine Woche nach dem Fastnet Race, an dem Herrmann mit dem britischen Nachwuchstalent Will Harris teilnehmen wird. Von Plymouth aus wird sich die fünfköpfige Crew ihren Weg über den Nordatlantik bahnen. "Die Reise ist ein Statement an sich", sagt Herrmann. Und ganz sicher ist sie ein Coup, von dem Impulse weit über den Segelsport und die kleine Szene der Extremsegler hinausgehen.
Das Mädchen, das die Welt verändern will, weil es glaubt, man könne alles schaffen, wenn man es nur wolle, wird dort draußen vielleicht begreifen, wie groß die Welt wirklich ist. Und Boris Herrmann wird nach diesem Trip noch ein bisschen besser geworden sein.