75 Jahre CDU: Das Erfolgsgeheimnis einer in Wahrheit zerrissenen Partei
Die CDU funktioniert immer nur in der Regierung. Der Zwang zum Pragmatismus passte zur Langzeitchefin. Die geht bald. Nimmt sie den Kompass mit? Ein Kommentar.
Die Abgesänge sind leise geworden. Dabei gehörte das Lied vom Untergang der Volksparteien bis vor kurzem praktisch zum guten Ton. Und wären die Zeiten andere, dann hätte dieser 26. Juni, an dem vor 75 Jahren in Berlin drei Dutzend Männer und Frauen zur Gründung einer Christlich-Demokratischen Union aufriefen, wieder Anlass geboten für Bissigkeiten über eine Partei im Rentenalter.
Doch die Zeiten zeigen: So einfach ist das nicht. Nicht zum ersten Mal in Krisen, aber in der Corona-Pandemie überdeutlich, erscheint die Volkspartei wieder als beste Garantie für den glimpflichen Ausgang. Spezialparteien wirken plötzlich wie Luxus, den man sich lieber nur in besseren Zeiten leistet.
Den demoskopischen Aufschwung verdankt die CDU natürlich vor allem der Frau an der Spitze. Angela Merkel hat Deutschland gut durch Finanz- und Eurokrise gebracht. Das Vertrauenskapital zahlt sich aus. Merkels Politikstil der lernfähigen praktischen Vernunft passt auch zur neuen Krise.
Aber wer den Erfolg nur der Kanzlerin als Person zuschreibt, unterschätzt die wechselseitige Abhängigkeit zwischen Amt und Partei.
Merkel konnte nur mit dem CDU-Parteibuch zur Dauerkanzlerin werden, so wie umgekehrt die CDU nur deshalb zur erfolgreichsten Partei der Republik wurde und das blieb, weil sie meistens regierte.
Tatsächlich hat die CDU viele Weichen gestellt
Das klingt banal, ist es aber nicht. Man kann das gut an der Heldenerzählung zeigen, die die CDU von sich selber hat. Die geht ungefähr so: Stets sei es die Christdemokratie gewesen, die das Land auf den richtigen Kurs gebracht habe – weil sie eben den richtigen Kompass habe. Tatsächlich hat die CDU viele Weichen gestellt: Westbindung, Wiederbewaffnung, soziale Marktwirtschaft, Einheit, Euro, Energiewende.
Aber sie hat das immer gegen starke innere Widerstände getan. Selbst für die Einheit musste Helmut Kohl erst die „Ostgebiete“-Fraktion niederringen. Wäre es nur nach der CDU gegangen, sähe die Republik anders aus. Es ging aber nach Kanzler oder Kanzlerin. Dem Vorrang des Regierens vor dem Rechthaben beugt sich die Partei stets.
[Alle wichtigen Updates des Tages zum Coronavirus finden Sie im kostenlosen Tagesspiegel-Newsletter "Fragen des Tages". Dazu die wichtigsten Nachrichten, Leseempfehlungen und Debatten. Zur Anmeldung geht es hier. ]
Die einzige Revolte gegen einen CDU-Kanzler, Kohl im Jahr 1989, scheiterte letztlich an diesem genetischen Machtpragmatismus. Er spiegelt zugleich das Erfolgsrezept der Partei. 1945 war die Sehnsucht nach Frieden und Normalität groß. Und bis heute prägt eine unpolitische Liebe zum Konsens das Land. Die CDU bedient den besser als andere. Sie scheut Extreme und integriert, wenn auch oft unter Stöhnen, alle Strömungen: Ökologie geht, seit die sich auf Wirtschaft reimt.
Aber immer sind das Kanzler-Patriarchat oder die Mutter der Republik die eiserne Klammer dieser Evolution. Verliert die Partei die sicher geglaubte Macht, wirkt sie – siehe Rheinland-Pfalz oder Baden-Württemberg – erst beleidigt und dann hilf- und orientierungslos. Es fehlt der Zwang zu Abwägung und Kompromiss.
Die Merkel-Nachfolgeaspiranten wirken glücklos
Doch Merkels Regentschaft geht unweigerlich ins letzte Jahr. Die Wunschnachfolge ist gescheitert, die drei Ersatzkandidaten wirken wenig überzeugend: Ein Einzelgänger ohne Truppen (Röttgen), ein Widergänger, der auf einmal doch nicht mehr die große Antithese zu Merkel sein will (Merz), und beim dritten kommt zum Übereifer auch noch Pech aus Gütersloh dazu (Laschet).
Die CDU hat die ersten 75 Jahre gut überstanden, und das sogar trotz der CSU. Dass viele derzeit auf die Rettung aus Bayern hoffen, ist da zumindest eine hübsche Pointe.