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Emmanuel Macron, Theresa May und Angela Merkel: In der Verteidigung wird die EU die Briten auch nach dem Brexit benötigen.
© Stephane LEMOUTON/AFP

Außen- und Sicherheitspolitik der EU: Das deutsch-französische Missverstehen

Europa tritt auf der Stelle, wenn Berlin und Paris sich nicht zuhören. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Vom Pfingstgeist zwischen Berlin und Paris ist wenig zu spüren. Dabei hätten Deutsche und Franzosen das Wunder, dass man sich versteht, ohne dieselbe Sprache zu sprechen, besonders nötig. Europa muss eigenständiger und handlungsfähiger werden, um seine Interessen gegen Donald Trump zu behaupten.
Der deutsch-französische Dialog wirkt aber wie ein Gespräch unter Schwerhörigen. Deutsche Ohren nehmen nicht auf, was die Regierung Macron sagt. Wer sich aus deutschen Medien informiert, wird wohl den Eindruck gewinnen, Präsident Macrons Priorität sei die Eurozone, die Bankenunion, der Einstieg in ein gemeinsames Budget und in der Folge irgendwann ein gemeinsamer Finanzminister – vulgo: der Zugriff auf deutsches Steuergeld.
Aus Gesprächen in Paris mit Macron-Beratern und hochrangigen Experten für die Europa- und die Außenpolitik ergibt sich ein anderes Bild. Die Themen Sicherheit, Terrorabwehr, europäische Verteidigung und Selbstbehauptung in einer Welt voller Umbrüche rangieren vor dem Wunsch nach Vertiefung der Eurozone. Die Hauptklage: Berlin reagiere zu langsam. Die internationale Lage sei ernst, Deutschland entziehe sich jedoch dem Veränderungsdruck.

Zwischen Macron und der SPD ist die Dissonanz besonders groß

Die Dissonanz beim Reden und Hören scheint besonders groß zwischen Macron und dem SPD-Teil der großen Koalition. Die SPD stürzt sich auf die Vorschläge zur Eurozone, weil sie Abwehrreflexe gegen den Hauptteil seiner Botschaft hat. Macron möchte „ein Europa, das seine Bürger schützt“: vor inneren, vor äußeren, vor sozialen Gefahren. Das wäre durchaus im Sinne der SPD-Wähler. In der Partei setzen sich jedoch die Funktionäre durch mit ihrer speziellen Übersetzung. Innere Sicherheit heißt für sie: keine neuen Kompetenzen für Polizei und Geheimdienste, sondern mehr Familiennachzug. Äußere Sicherheit heißt: Grenzen kann man nicht schützen und bitte keine Erhöhung des Verteidigungsetats. Soziale Sicherheit wird übersetzt als mehr Sozialausgaben und nicht als Aufgabe, die heimischen Arbeitsplätze durch ein härteres Auftreten gegenüber China und vor unfairen Handelspraktiken zu schützen. Ohne ernsthafte deutsche Beteiligung seien europäische Antworten auf die strategischen Herausforderungen schwer möglich, hört man in Paris. Die Bundesrepublik produziert mehr als ein Viertel der Wirtschaftskraft Europas, verweigert aber ihren Anteil in Sicherheitsfragen. Parallel droht die EU ihr anderes militärisches Schwergewicht, Großbritannien, durch den Brexit zu verlieren. Europa braucht Formen, in denen die Briten an einer Verteidigungsunion teilhaben. Die deutsche Bereitschaft, strategische Debatten zu führen, sei gering, monieren die Franzosen. Verweise auf die deutsche Geschichte finden weniger Verständnis als früher. Sie werden heute als Ausreden empfunden.

In Afrika sieht Frankreich sich als Kraft, die für ganz Europa Rückzugsräume von Terrorgruppen bekämpft, aber mit der Aufgabe alleingelassen werde. Der Schutz vor Massenmigration und Terror habe auch eine militärische Komponente. Wenn die Deutschen darüber reden, dass man die Fluchtursachen bekämpfen müsse, hört sich das für französische Ohren so an, als sei nur Entwicklungshilfe gemeint. Die Bundeswehr sei nur mit Hilfsdiensten in Mali dabei. Sie kämpfe nicht.
Deutschland und Frankreich treiben neuerdings „Pesco“ voran: die permanente strukturelle Kooperation im Verteidigungsbereich. Wo aber sind die deutschen Budgetmittel für Pesco? Das andere Unbehagen der Franzosen: Sie wollten Pesco zu einer möglichst effektiven Verteidigungskomponente ausbauen. Die Deutschen wollten Pesco hingegen möglichst inklusiv machen. Zwischen effektiv und inklusiv besteht ein Spannungsverhältnis. Je mehr mitreden, desto weniger kommt heraus. Tatsächlich machen nun 25 EU-Staaten mit.

Pesco genügt nicht - in der Verteidigung wird Europa die Briten weiter brauchen

So hat Frankreich flugs die nächste Idee platziert: eine „Europäische Interventions-Initiative“. Wer in Paris hat diesen Begriff gewählt? Wohl kaum jemand, der die deutsche Seelenlage kennt. Eine Initiative mit dem Schlüsselwort „Intervention“ findet in Deutschland nur schwer Zustimmung. In diesem Fall ist Frankreich Urheber der Verständigungsprobleme. Dabei ist die Begründung, warum Pesco nicht genügt, richtig. Europa braucht den britischen Beitrag zur Verteidigung. Pesco steht aber nur EU-Mitgliedern offen. Deutsche und Franzosen müssen besser darin werden, zu hören, was gesagt wird – statt nur zu hören, was sie hören wollen. Sonst wird das nichts mit mehr Eigenständigkeit Europas.

Christoph von Marschall ist erster Helmut-Schmidt-Fellow der ZEIT-Stiftung und des German Marshall Fund of the United States (GMFUS) und arbeitet derzeit in Washington an einer Studie über die Zukunft der Transatlantischen Beziehungen.

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