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Frauke Petry und Bernd Lucke (rechts) beim AfD-Parteitag 2015 in Essen.
© Maja Hitij/dpa

AfD-Parteitag in Essen: Das Delegiertentreffen der Zerrissenen

Angreifen, spalten, ignorieren - auf dem Bundesparteitag der Alternative für Deutschland in der Essener Grugahalle offenbart sich die kaum überbrückbare Dreiteilung der Partei.

In der AfD gilt Konrad Adam als Auslaufmodell. 73 Jahre alt ist der Publizist. Am Abend vor dem Bundesparteitag in Essen hatte er noch gesagt, er wisse überhaupt nicht, wer unter Tagesordungspunkt 1 auftreten werde: „Eröffnung durch die Sprecher der AfD“. Er und seine beiden Ko-Vorsitzenden Bernd Lucke und Frauke Petry konnten sich angeblich nicht einmal darauf verständigen, wer das erste Grußwort halten soll. So zerrissen ist die Partei.
Dann, pünktlich um 10 Uhr, schreitet doch Adam ans Rednerpult. Hunderte AfD-Mitglieder stehen da noch in einer langen Schlange in der Hitze vor der Essener Grugahalle. Die Parteitagsregie hofft, dass es bei dem ein oder anderen der oft betagten AfD-Parteigänger nicht zum Kreislaufkollaps kommt. Mehr als 4000 hatten sich angemeldet, etwa 3000 der 22.000 Mitglieder sind dann tatsächlich gekommen, zum „größten und wahrscheinlich spektakulärsten Parteitag nach dem zweiten Weltkrieg“, wie der AfD-Chef von Sachsen-Anhalt, André Poggenburg es ausdrückte. 

Adam schaut mit verkniffenen Augen in das gleißende Parteitagslicht. Dann legt er los. Unvorbereitet klingt seine Rede nicht. Adam sagt, er hoffe auf einen „satzungskonformen Parteitag“. „Leicht wird das nicht, aus Gründen, die sie sicherlich alle kennen.“

Nicht einmal fünf Meter trennen ihn während seiner Rede von Bernd Lucke. Der schaut mit eisiger Miene in die große Halle. Seit fast einer Stunde sitzt er da, sortiert Blätter. Mit Frauke Petry, die direkt neben ihm sitzt, wechselt er kein Wort. Während Adam spricht, dämmert es Lucke wohl, dass es nicht gut laufen könnte für ihn an diesem Tag, der die Entscheidung bringen soll in der AfD, zwischen Petry und ihm. 

Adam, der sich von Lucke oft gedemütigt fühlte, spricht über die Zerrissenheit der Partei, sagt dann einen Satz, den man nur als Frontalattacke auf Lucke verstehen kann: „Der Selbstgerechte hält sich gerne für den guten Hirten. Gut, wenn sich nicht damit der Anspruch verbände, den Rest der Welt für Schafe zu halten.“ Auch Hans-Olaf Henkel, der Lucke-Verbündete, bekommt sein Fett weg, Adam geißelt „Glücksritter“, die glaubten, „sich eine Partei kaufen zu können“. Frenetischer Jubel bricht aus. Lucke weiß: Er muss nun Stimmung machen gegen die Stimmung da unten im Saal. 

Lucke geht ans Rednerpult, sein Lächeln wirkt angestrengt, sein Blick irritiert. Der Professor hat sein Sakko ausgezogen, an seinem weißen Hemd hängt ein blau-roter Button mit dem Wort „Weckruf“. Auf der Leinwand hinter ihm ist er klar zu erkennen. „Weckruf“ heißt der Pro-Lucke-Verein, in dem sich seit Mai 4000 AfD-Mitglieder zusammengeschlossen haben. „Weckruf“ ist aber auch für viele hier ein Hasswort. Sie strecken ihm rote Karten entgegen, sobald er das Wort nur erwähnt. 

Am Abend vor dem Parteitag hatte sich der „Weckruf“-Flügel in einem Essener Brauhaus getroffen, die Petry-Truppe feierte parallel neben einer Scheune am idyllischen Ufer der Ruhr, machte Wahlkampf gegen Lucke. „Ich werde kein zweiter Bernd Lucke werden“, hatte Petry da gesagt. Da war schon klar, dass die AfD längst aus zwei Parteien besteht. 

Lucke sagt, sein „Weckruf“ wolle nicht spalten, der Button, den er trage, sei kein Zeichen der Ausgrenzung, sondern „eine Einladung zum Gespräch.“ „Geh nach Hause“, ruft da einer laut aus dem Saal. Überhaupt sind Luckes Gegner die lautstärkeren im Saal. Der versucht gar nicht erst, seine Gegner zu umwerben, erwähnt lieber einen aktuellen „Monitor“-Bericht des WDR, der Vertrauten von Frauke Petry rechtsextreme Umtriebe unterstellt. Ausgerechnet der WDR - wo der gesamte öffentlich-rechtliche Rundfunk doch so verhasst ist in der AfD. 

Petry hat da schon ein Lächeln im Gesicht. Während Lucke spricht, winkt sie Parteifreunden zu, tut so, als höre sie ihm nicht richtig zu. Dann erwähnt Lucke Björn Höcke, den Rechtsausleger der Partei, von dem ihn politisch so viel trenne. Höcke hatte Verständnis für NPD-Mitglieder geäußert, nun steht er breitbeinig auf der Tribüne, mit verschränkten Armen. „Höcke, Höcke“ skandieren dessen Anhänger - so durchdringend, dass einem gruselig werden kann. 25 Minuten redet Lucke, das ist kurz für seine Verhältnisse. Am Ende sagt er einen Satz, der schon nach Kapitulation klingt: „Die ausgestreckte Hand ist auch die Hand des Abschieds und des Dankes“. 

Aber auch Frauke Petry ist nicht in Höchstform an diesem Tag. Sie spricht mit trockenem Mund, braucht ein paar Minuten, bis sie Tritt gefasst hat. Buhrufe gibt es zur Begrüßung auch für sie. Dann schlüpft sie in die Rolle der Mutter der Kompanie. Sie wendet einen Vorwurf, den Lucke jahrelang an „Altparteien“ und Medien gerichtet hat, mit voller Wucht gegen diesen selbst: „Wer selbst am Wahlkampfstand war, der weiß, wie es ist, als rechts diffamiert zu werden.“ 

Der da oben, die da unten – schon Adam hatte dieses Narrativ gegen Lucke verwendet, zur Professorenschelte angesetzt. Petry sagt nun, es sei fatal, dass in einer Partei, die sich Alternative nenne, „rechts“ als „Kampfbegriff“ verwendet werde. Diese Terminologie sei es, die das politische Klima in Deutschland vergifte. Sie könne keinen Rechtsruck der Partei erkennen, sagt Petry, „von daher sollten wir diesen auch nicht herbeireden.“ 

Damit hat sie den rechten Flügel der AfD auf ihrer Seite, oder zumindest die Unzufriedenen, die mit Lucke abgeschlossen haben. Denn genau genommen besteht die AfD inzwischen aus drei Teilen: Dem „Weckruf“, der Gruppierung „Der Flügel“ um Höcke und dem Lager um Petry. Wenn Petry gewinnen will, dann muss sie die ganz Rechten für sich gewinnen, und der Laustärke nach ist ihr das an diesem Vormittag durchaus gelungen. 

Dann, es ist Mittagszeit in Essen, wendet die Partei sich ihrer zweiten Lieblingsbeschäftigung neben dem Flügelstreit zu: Stundenlangen Satzungsdebatten. Schon im Vorfeld hatten Funktionäre befürchtet, dass der Parteitag zeitlich aus dem Ruder laufen kann. Ob an diesem Tag überhaupt noch eine Entscheidung zwischen Lucke und Petry fallen wird – zurzeit steht es in den Sternen.

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