Rechtextremismus in Deutschland: Das braune Brodeln nicht unterschätzen
Reichsbürger, Identitäre, Neonazis und die allgemeine Radikalisierung der Gesellschaft: Die Sicherheitsbehörden müssen das rechte Spektrum genauer beobachten. Ein Kommentar
Der 30. Januar ist ein Datum, das an einen fatalen Fehler erinnert. Vor 84 Jahren haben konservative Politiker dem unterschätzten Adolf Hitler die „Machtergreifung“ ermöglicht. Der Mangel an Wachsamkeit bei den reaktionären Deutschnationalen und vielen Demokraten gegenüber den Rechtsextremisten und einer massiven Radikalisierung in Teilen der Bevölkerung hatte katastrophale Folgen. Heute ist Deutschland von einer rechten Diktatur glücklicherweise weit entfernt. Dennoch stellt sich an diesem 30. Januar auch die Frage: Sind Rechtsstaat und Zivilgesellschaft wachsam genug gegenüber den Gefahren von rechtsaußen?
Als Antwort zwingt sich leider ein „Jein“ auf. Einerseits ist fünf Jahre nach dem NSU-Schock der Blick der Sicherheitsbehörden auf Terrortendenzen im rechtsextremen Spektrum geschärft. Das zeigte sich wieder in der vergangenen Woche, als Bundesanwaltschaft und Polizei eine militante Gruppe neuheidnischer Esoteriker und Reichsbürger aus dem Verkehr zogen. Aber dieser Fall ist indirekt auch ein Hinweis auf Versäumnisse.
Die Szene der Reichsbürger wurde lange zu wenig ernst genommen. Es musste, wie so oft bei lauernden Gefahren, erst etwas Schlimmes passieren, bis sich Staat und Gesellschaft das reale Ausmaß der Bedrohung bewusst machten. Nachdem im Oktober 2016 ein Reichsbürger in Bayern einen Polizisten erschoss, begannen die Verfassungsschützer von Bund und Ländern, die Szene systematisch und deutschlandweit zu untersuchen. Das Ergebnis: die Zahl der Reichsbürger ist mit mindestens 10 000 Personen erheblich größer als gedacht. Und ungefähr zehn Prozent haben eine Waffenbesitzkarte. Diese Erkenntnisse hätten viel früher gewonnen werden müssen. Zwischenfälle mit den fanatischen Verächtern der Bundesrepublik gibt es schon lange.
Die Reichsbürger sind zudem nur ein Indiz für eine wachsende Radikalisierung auch in „normalen“ Schichten. Bei den vielen Angriffen auf Unterkünfte von Flüchtlingen sind nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamts drei Viertel der Täter zuvor nicht als Extremisten aufgefallen. Dazu passt die grassierende rassistische Hetze zahlloser Normalbürger in den sozialen Netzwerken. Und ein Björn Höcke und ein Lutz Bachmann fachen den Hass weiter an. Er richtet sich nicht nur gegen Migranten und den Islam, sondern auch gegen die Demokraten, die das „System“ verkörpern, die freiheitliche Grundordnung der Bundesrepublik.
Mehr Gegenwehr ist dringend nötig. Die Justiz müsste endlich Facebook und andere Internetfirmen dafür zur Rechenschaft ziehen, dass auf ihren Websites massenhaft volksverhetzende Parolen verbreitet werden. Der Verfassungsschutz müsste, wie bei den Reichsbürgern, auch bei Pegida und AfD bundesweit das Ausmaß demokratiegefährdender Bestrebungen untersuchen.
Weit über die Agitation der NPD hinaus wächst die rechte Gefahr. Rechtspopulisten wie Bachmann, Höcke, Frauke Petry und andere enttabuisieren völkisches Vokabular. Unzählige Namenlose werden animiert, sich zu radikalisieren. Da kann es Demokraten schon frösteln. Erst recht am 30. Januar.