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Vorbereitungen für den großen Tag: Das Bonner Konferenzzentrum kurz vor Beginn des SPD-Parteitages, der über die Aufnahme von Verhandlungen über eine große Koalition entscheiden soll.
© Kay Nietfeld/AFP

SPD-Parteitag: Das Anti-Establishment lauert - vergeblich

Kann die SPD das politische System sprengen? Nein, noch ist hier niemand fertig – außer der Souverän! Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Kevin P. Hoffmann

Die Skeptiker, die berechtigt Verdrossenen, vor allem aber die ganz überzeugten Feinde des parlamentarischen Systems: Sie haben sich ihre Worte schon zurechtgelegt für den heutigen Abend, für den Fall, dass die SPD in Bonn mehrheitlich gegen Koalitionsverhandlungen mit den Unionsparteien stimmt.

Es wäre ihre Stunde. Und ungefähr so werden sie dann reden: Die hierzulande bisher gekannte Demokratie sei nun am Ende. Das System sei verkrustet, ohne jede Fähigkeit zur Selbstheilung oder Problemlösung. Es müsse abgelöst werden durch – ja, was auch immer. Darauf komme es auch gar nicht mehr an. Hauptsache sei doch, dass dieses Elend nun ein Ende hat. Und schaue man doch mal auf den Russen Putin oder die Chinesen, die alle fünf Jahre in ihrer „Halle des Volkes“ kurzerhand Beschlüsse der Führung abnicken. Die machen uns vor, wie man klare Wege findet in einer globalisierten und zunehmend komplexen Welt. Durchregieren statt durchlavieren!

So werden sie reden. Und alle anderen werden sprachlos sein. Alle, die zwar mitgeschimpft haben auf SPD-Häuptling Gespaltene Zunge, Martin Schulz, und seine wankelmütigen Genossen im Vorstand, aber insgeheim doch gehofft haben, dass die SPD Verantwortung übernimmt für sich und für dieses Land. Wie soll man noch Argumente finden für die Bewahrung all dessen, was dieser Staat in gut 68 Jahren seit seiner Gründung 1949 erreicht hat – allen Frieden, vielen Wohlstand, Fortschritt. Aber langt das, wenn man weiß, dass es nun wieder ganz von vorn losgeht? Wahlkrampf 2018? Nein, danke.

Die Republik wird nicht an einem SPD-Parteitag scheitern

Natürlich wird die Republik nicht einfach scheitern, nur, weil eine Minderheit es gern hätte und nur, weil nach der FDP noch eine Partei beschließt, es sei besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren. Und man wird der SPD in der Rückschau auch zugute halten, dass sie diese Entscheidung unter Schmerzen und in Anbetracht des Zeitdrucks größtmöglicher Beteiligung ihrer Mitglieder entschieden hat – anders als die Liberalen, die es in einem kleinen Kreis ausgemacht haben.

Gleichwohl ist der Druck auf jedem der 600 Delegierten des Parteitages unglaublich hoch. Es ist staatstheoretisch ja nicht vorgesehen, dass Mitglieder einer 20-Prozent-Partei, die durch niemanden legitimiert sind als durch ihre eigenen lokalen Parteifreunde, über eine so wichtige Weichenstellung der deutschen Geschichte entscheiden – so direkt über die Zukunft von 82,67 Millionen Menschen. Jeder SPD-Delegierte entscheidet mit seiner Stimme de facto für 137.783 Personen. Eine statistische Spielerei, natürlich, aber das ist tatsächlich die Dimension.

Ein „Nein“ könnte eine Kettenreaktion auslösen, an deren Ende die politische Kernschmelze steht. Wenn sich die SPD der Bildung einer neuen Regierung versagt, dann ist das nicht nur mutmaßlich das Ende der Parteikarriere ihres Vorsitzenden, sondern auch das der Bundeskanzlerin. Warum soll denn ausgemacht sein, dass Angela Merkel die Unionsparteien in Neuwahlen führt, wenn es ihr in vier Monaten nicht gelungen ist, eine Mehrheit für ihr Programm zu finden? Und man wird fragen: Was ist überhaupt ihr Programm? Der letzte CDU-Wahlkampf war vor allem auf ihre Person ausgerichtet. Weiter so, lautete die implizite Botschaft.

Die SPD ist dem Wähler verpflichtet - der hat schon entschieden

Strategisch kann sich keine der jetzt im Bundestag vertretenen Parteien ein „Weiter so“ leisten – außer die Neulinge der AfD vielleicht. Scheitert an diesem Abend die noch nicht einmal geborene Große Koalition, stehen alle Chefs der etablierten Parteien zur Debatte. Denn Umfragen deuten nicht darauf hin, dass es bei Neuwahlen große Abweichungen im Ergebnis geben könnte. Soll heißen: Es bräuchte zwingend neue Programme und neue Personen, um ein neues Patt zu vermeiden.

Ist das politisches System am Ende? Nein. Noch ist hier niemand fertig – außer der Souverän! Nur wir Wählerinnen und Wähler haben unseren Job erledigt. Schon vor 120 Tagen bei der Wahl im September. Wir haben die Gewählten verpflichtet, etwas Konstruktives daraus machen. Wir bezahlen sie so gut, dass keine andere Tätigkeit sie davon ablenken muss. Eitelkeiten und Animositäten müssen sie nun herunterschlucken. Wir haben nämlich Profis gewählt, keine Hobbypolitiker, die kommen und gehen können, wie es ihnen passt – bei laufenden Diätenzahlungen. Und überhaupt: Was eine Neuwahl kosten würde!

Man hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zwischenzeitlich vorgeworfen, er habe die Parteien auch öffentlich zu sehr zu einer Neuauflage der Groko gedrängt. Da schwang die Unterstellung mit, das tue er vor allem, weil es seine persönliche Lieblingskonstellation sein dürfte – diente er doch selbst lange in schwarz-roten Kabinetten. Das ist Unfug. Ein Bundespräsident muss mehr dürfen als Grußworte sprechen und Kränze niederlegen. Wenn eine Situation entsteht, in der Feinde der Demokratie – und sei es nur scheinbar – die besseren Argumente haben als deren Verteidiger, dann ist das Staatsoberhaupt gefragt. Bleibt zu hoffen, dass er nicht gebraucht wird.

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