Jürgen Trittin im Interview: „Das Abo der Union aufs Kanzleramt wäre beendet“
Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin über ein Linksbündnis im Bund, seine Verwunderung über Lockangebote der SPD-Chefin - und den „Klassenfeind“ CDU.
Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin (66) ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Der Niedersachse war Bundesumweltminister zu rot-grünen Regierungszeiten, später Fraktionschef der Grünen. 2013 führte Trittin die Grünen als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl.
Herr Trittin, sind die Grünen noch eine linke Partei?
Die Grünen sind eine ökologische Partei, das ist ihr Kern.
Also ökologisch, nicht links?
Ökologie heißt nichts anderes als globale, generationenübergreifende Gerechtigkeit. Jeder Mensch soll gleichen Zugang zu Gemeinschaftsgütern haben, Klima, Natur, Wasser. Für gerechte Verteilung bedarf es einer guten Ordnungspolitik. Das ist links.
Manche Sozialdemokraten fordern, die Grünen sollten Farbe bekennen, ob sie in einem Linksbündnis regieren wollen oder mit der Union. Können die Grünen die Koalitionsfrage bis zur Wahl offenhalten?
Keiner weiß, wie die politische Situation in einem Jahr aussehen wird. Bei dieser Bundestagswahl wird zum ersten Mal eine Kanzlerin nicht mehr als Kandidatin antreten. Die guten Umfragewerte der Union sind der Verdienst von Angela Merkel. Ich habe Zweifel, dass ihre potenziellen Nachfolger diese Werte halten können. Egal ob nun ein in der Krise gescheiterter Ministerpräsident aus Nordrhein-Westfalen Kanzlerkandidat wird oder ein CSU-Mann, der lange Zeit nördlich der Mainlinie nicht wirklich beliebt war. Alles ist offen.
„Ich finde es lustig, wenn Sozialdemokraten uns warnen, mit dem 'Klassenfeind zu kollaborieren'“
Leidet die Glaubwürdigkeit der Grünen nicht, wenn die Partei sich alles offenhält?
Ich finde es lustig, wenn Sozialdemokraten uns warnen, mit dem „Klassenfeind zu kollaborieren“. Die SPD regiert in der dritten großen Koalition mit der Union – mehr als ein Jahrzehnt. Und in Brandenburg hat die SPD lieber die CDU ins Boot geholt und die Linke aus der Regierung gejagt. Da sollten sie jetzt mal die Füße still halten. Demokraten müssen untereinander koalitionsfähig sein.
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Ihnen ist egal, mit wem Sie regieren?
Nein. Natürlich gibt es mehr Schnittmengen mit der SPD als mit der Union, auch kulturell. Der Unterschied zwischen links und rechts verschwindet nicht. Aber wir stehen alle vor einer neuen Herausforderung, seit die völkisch-nationalistische AfD in die Parlamente eingezogen ist. Es braucht belastbare Mehrheiten. Die Art und Weise, wie in Deutschland Regierungen gebildet werden, hat sich verändert. Ich bin ehrlich gesagt sogar ganz froh darüber.
Warum?
In Spanien kann man beobachten, wohin demokratische Gesellschaften steuern, wenn es unüberbrückbare Auseinandersetzungen zwischen den Lagern gibt. Dort scheitert ein Teil der notwendigen Corona-Politik auch daran, dass sich immer noch die alten Bürgerkriegsparteien unversöhnlich gegenüberstehen. Oder nehmen Sie die USA. Republikaner und Demokraten sind nicht mehr in der Lage, in entscheidenden Fragen Kompromisse zu finden. Das blockiert die gesamte Gesellschaft. In Deutschland ist das anders, auch wenn noch nicht alle Parteien das begriffen haben.
„Die FDP ist nicht regierungsfähig“
Wen meinen Sie?
Mit Christian Lindner ist die FDP zur letzten fundamentaloppositionellen Kraft in Deutschland geworden. Die Partei ist nicht regierungsfähig – und blinkt lieber nach rechts wie in Thüringen.
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SPD-Chefin Saskia Esken will den Grünen ein Linksbündnis schmackhaft machen, indem sie auch über einen grünen Kanzler oder eine Kanzlerin nachdenkt. Ein verlockendes Angebot?
Ein gesundes sozialdemokratisches Selbstbewusstsein hätte es Frau Esken eigentlich verboten, über diese Frage zu spekulieren.
Wäre ein Linksbündnis, egal unter welcher Führung, für Sie denkbar?
Wenn es solche Mehrheiten gäbe, wäre das Abo der Union aufs Kanzleramt beendet. Ich finde das keinen schrecklichen Gedanken.
Halten Sie eine Zusammenarbeit mit der Union für einfacher als früher?
Die CDU hat angesichts der Pandemie eine ideologische Grundposition über Bord geworfen, an der sie noch 2013 die Sondierungen mit den Grünen scheitern ließ. Damals hat die CDU darauf bestanden, in der europäischen Krise weiter auf Austerität und Sparpolitik zu setzen. Corona hat erzwungen, das Dogma der Schwarzen Null abzuräumen. Das macht Verhandlungen nach der Bundestagswahl etwas leichter.
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Leichter als Gespräche mit der Linken?
Koalitionsverhandlungen sind nie einfach. Gelegentlich ist man überrascht, auf welche Hartnäckigkeit man trifft. Das war mit Gerhard Schröder so, der sich bei der Frage vernünftiger Bepreisung von fossilen Brennstoffen als hartleibig erwiesen hat. Und das war 2013 so, als wir Grüne glaubten, wir könnten uns mit der CDU in der Europapolitik relativ leicht einigen, wenn wir schon einen riesigen Konflikt beim Klimaschutz haben. Das war aber ein Irrtum. Ähnlich würde es sein, wenn man mit Sozialdemokraten und Linken verhandelt. Es ist immer anders, es ist immer schwer.
Sollten die Grünen mit einem eigenen Kanzlerkandidaten oder einer -kandidatin in den Wahlkampf ziehen?
Die Grünen werden sich im Herbst erstmal ein neues Grundsatzprogramm verpassen. Im Frühjahr verabschieden wir ein Wahlprogramm und beschließen, in welcher personellen Aufstellung wir dieses Programm vertreten. Wir lassen uns von niemandem unter Zeitdruck setzen. Ich bin sehr sicher, dass der Vorschlag, den unsere Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck machen werden, breit getragen wird.