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Der Neue. Naftali Bennett (li.) ist Israels neuer Premier.
© REUTERS

Netanjahus Ära endet vorerst: Das Abenteuer einer Acht-Parteien-Koalition

Ein Bündnis voller Widersprüche hat die Regierung Netanjahu abgelöst. Mit denkbar knappem Ergebnis. Was die neue Regierung für Israel bedeutet.

Die Abstimmung im israelischen Parlament fiel denkbar knapp aus: 60 Abgeordnete stimmten für die neue Koalition, 59 dagegen. Doch da eine einfache Mehrheit genügt, um eine Regierung ins Amt zu heben, hat Israel seit Sonntagabend einen neuen Ministerpräsidenten: Naftali Bennett, Vorsitzender der rechten Yemina-Partei, 49-jähriger High-Tech-Millionär, einst Verbündeter des bisherigen Regierungschefs Benjamin Netanjahus, nun sein Rivale und Nachfolger.

Dass es überhaupt zu einer Koalition ohne Netanjahu kommen könnte, hatte noch vor Wochen kaum jemand erwartet. Stattdessen waren viele Kommentatoren von Neuwahlen ausgegangen, bis Oppositionsführer Yair Lapid Anfang Juni Minuten vor Ablauf der Frist seine unwahrscheinliche Koalition präsentierte: ein Bündnis aus acht Parteien, das die größten Gegensätze der israelischen Gesellschaft in sich vereint – religiös und säkular, links und rechts, jüdisch und arabisch.

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Ursprünglich war es in erster Linie die gemeinsame Ablehnung gegen Netanjahu, die die ungleichen Partner an den Verhandlungstisch trieb. Während ihrer Ansprachen im Vorfeld der Abstimmung demonstrierten die Vorsitzenden der acht Parteien jedoch Einigkeit. Nach zwei Jahren im Amt soll Jair Lapid, bis dahin Außenminister, ihn ablösen.

Vor allem für jüngere Israelis dürfte Netanjahu auf der Oppositionsbank ein ungewohntes Bild bieten, schließlich war er seit 2009 durchgehend im Amt. Das Ende seiner Ära auszurufen, wie manche es bereits getan haben, halten Analysten jedoch für voreilig.

Netanjahu will der Machtübergabe fernbleiben

„Netanjahu wird ein aggressiver Oppositionsführer sein“, schätzt die Politikwissenschaftlerin Gayil Talshir. Er werde alles daran setzen, die neue Koalition zu Fall zu bringen – um bei Neuwahlen sein Amt zurückzuerobern.

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Auch Yohanan Plesner, Präsident des Israel Democracy Instituts, eines liberalen Think-Tanks, rechnet nicht mit Netanjahus baldigem Rückzug aus der Politik, nicht zuletzt, weil dieser sich wegen Korruptionsverdacht vor Gericht verantworten muss.

„Seine Motivation, Oppositionsführer zu bleiben, hängt größtenteils mit seinem Gerichtsprozess zusammen“, sagt Plesner. Netanjahu glaube, diese Stellung „verleiht ihm Einfluss gegenüber den Richtern und dem Staatsanwalt“.

Netanjahu will der Übergangszeremonie fernbleiben, hieß es am Abend.

Zu den drängendsten Aufgaben, die das neue Bündnis bewältigen muss, gehört die Verabschiedung eines Staatshaushalts: Seit Jahren operiert das Land ohne Budget, als Grundlage dient notgedrungen der letzte Haushalt aus dem Jahr 2018. Die letzte Regierung unter Führung Netanjahus war Ende vergangenen Jahres am Unvermögen der Partner zerbrochen, sich auf einen neuen Haushalt zu einigen.

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Wenngleich die Erwartungen an das neue Bündnis niedrig sind, enthält die Koalitionsvereinbarung ehrgeizige Ziele: So will die Regierung das Monopol der ultraorthodoxen Rabbiner über religiöse Angelegenheiten aufweichen, anderen Strömungen des Judentums mehr Raum geben und womöglich gar öffentliche Verkehrsmittel am Schabbat, dem jüdischen Ruhetag, erlauben.

Des weiteren sieht die Einigung mehr Investitionen in den arabischen Sektor vor. Zum Konflikt mit den Palästinensern bezieht das Bündnis keine Stellung; zu unterschiedlich sind die Positionen der Partner.

Viele Kommentatoren sagen der Koalition keine lange Lebensdauer voraus. Dabei haben alle Beteiligten ein Interesse am Fortbestand der Regierung, gibt der Politikwissenschaftler Guy Ben-Pora von der Ben-Gurion-Universität zu bedenken. Denn im Falle von Neuwahlen würden wohl insbesondere die rechten Parteien von Teilen ihrer Wählerbasis für das Bündnis mit Arabern und Linken bestraft.

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