Rupert Scholz über Flüchtlingspolitik: "Da liegt die Bundeskanzlerin falsch"
Angela Merkel hat gesagt, 3000 Kilometer deutscher Grenzen könne man nicht schützen. Und sie lehnt Obergrenzen für das Asylrecht ab. Bei beidem irrt sie, meint Staatsrechtler Rupert Scholz im Interview.
Herr Scholz, gibt ein Staat seine Staatlichkeit auf, wenn er seine Grenzen nicht mehr unter Kontrolle hat?
In einem gewissen Sinne ist das so. Zu einem Staat gehört wesensgemäß Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsregierung. Das sind die drei Elemente, die einen Staat ausmachen und auch auszeichnen. Staatsgebiet ist definiert durch Grenzhoheit. Wenn ein Staat seine Grenzen aufgibt, gibt er ein Stück der eigenen Staatlichkeit insgesamt auf. Ein Staat kann zwar durch völkerrechtliche Vereinbarungen zum Beispiel….
Schengen?
…. Zum Beispiel Schengen, ja, das ist das, was innerhalb der EU geschehen ist, auf die Grenzkontrolle verzichten, aber das ist auf der Grundlage der eigenen Gebietssouveränität geschehen und auf dem Wege der völkerrechtlichen Regelung gemacht worden. Das geht natürlich. Aber wenn ich einmal Grenzpartner außerhalb des Schengenraumes nehme, kann ich nicht erklären, dass ich keine Grenze mehr habe.
Wollen Sie damit sagen, dass Schengen nur so lange funktionieren kann, wie die Europäische Union die Kontrolle über ihre Außengrenzen hat….
Das ist ja die Ratio von Schengen. Heißt, dass innerhalb der Europäischen Union Freizügigkeit herrscht mit der Maßgabe, dass eine gemeinsame Außengrenze aller EU-Staaten insgesamt gesichert wird.
Nun sagt die Bundeskanzlerin, die 3000 Kilometer deutscher Grenzen, die könne man sowieso nicht schützen. Liegt sie da falsch?
Da liegt sie falsch. Rechtlich auf jeden Fall. Wie viel Kilometer Grenze ein Staat auch hat, er ist verantwortlich für die Wahrung und den Schutz dieser Grenze. Mit Kilometern kann man da nicht argumentieren. Das ist das eine. Das andere ist, dass ich selbstverständlich mit Grenzkontrollen operieren kann. Wir liegen ja nun glücklicherweise inmitten der Europäischen Union. Wir haben mit Ausnahme der Schweiz keinen Nachbarn, der nicht in der EU ist. Das ändert aber nichts daran, dass zum Beispiel unkontrollierte und unregistrierte Einwanderungswellen aus anderen EU-Ländern zu uns nicht vereinbar sind mit dem Prinzip des Schutzes der eigenen Grenze.
Nun gibt es ja Überlegungen, an den Grenzen so genannte Transitzonen einzurichten, in denen man Asylbewerber erst einmal vorläufig festhält und registriert. Der amtierende Justizminister sagt, das ginge rechtlich nicht…
Das ist falsch. Das Bundesverfassungsgericht hat solche Transitzonen für die Flughäfen bereits ausdrücklich gebilligt. Hier würde ja nichts anderes geschehen wie an den Flughäfen. Diese Transitzonen dienen ja nur der Einreisekontrolle und der Registrierung der Flüchtlinge. Wenn jemand als Flüchtling nach Deutschland kommt, und nach Artikel 16 des Grundgesetzes Asyl beantragt, muss er registriert werden. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ohne Registrierung niemand Asyl erhalten kann. Das heißt, ein solches Verfahren in den Transitzonen ist sogar im Interesse der Flüchtlinge.
Das heißt, jeder unregistrierte Asylsuchende, der bei einer Polizeikontrolle festgestellt wird, könnte sofort wieder aus Deutschland ausgewiesen werden können?
Den kann man sofort abschieben, weil er nicht asylberechtigt ist.
Nun sagt die Bundeskanzlerin auch, das Asylrecht kenne keine Obergrenze. Ist das richtig?
Auch das ist nicht richtig. Das Asylrecht muss zunächst einmal mit anderen Verfassungsnormen in Ausgleich gebracht werden, wenn Kollisionen bestehen. Das Asylrecht muss auch unter dem Vorbehalt gesehen werden, dass nur das zur Asylgewähr führen darf, was ein Land verkraften kann. Es gibt den alten römischen Rechtsgrundsatz, dass niemand für etwas haftet, was er nicht voll einlösen kann. Das gilt natürlich auch für das Asylrecht. Auch das Asylrecht anerkennt Obergrenzen, die natürlich durch politische Entscheidungen im Einzelnen definiert werden müssen. Aber der Gesetzgeber hat das Recht, Obergrenzen festzulegen.
Nun gehört der Artikel 16 Asylrecht zu den ersten 20 Grundgesetzartikeln, die unter dem so genannten Ewigkeitsvorbehalt stehen, das heißt, sie können nicht aufgehoben werden. Wie ist das mit Ihrer These zu vereinbaren?
Der Artikel 79, Absatz 3, die so genannte Ewigkeitsgarantie, gilt, wenn Sie genau lesen, für die Grundsätze in Artikel 1 und 20, nicht 1 bis 20. Das heißt, der Artikel 16a fällt nicht darunter, das hat das Bundesverfassungsgericht auch ausdrücklich so entschieden. Das Asylrecht kann auch abgeschafft werden.
Unter den Asylbeantragenden sind sehr viele junge Männer, von denen wiederum viele ihre Familien nachholen wollen, viele sagen das auch. Das heißt, aus den jetzt eine Million Asylsuchenden könnten mit Familien vier oder fünf Millionen werden… Und dann?
Das halte ich für unverantwortlich. Dazu ist unser Land nicht imstande. Dies können wir integrationsmäßig nicht verkraften. Aber dieses Nachzugsrecht für Familienangehörige folgt nicht aus Artikel 16a Grundgesetz, sondern ist einfach seinerzeit im Asylverfahrensgesetz festgelegt worden. Das bedeutet, dass man durch ein schlichtes Streichen dieser Bestimmung im Asylverfahrensgesetz den Nachzug beschränken oder sogar ausschließen kann. Ich denke, dass dies notwendig ist. Ich halte es auch politisch für richtig, weil so denjenigen, die jetzt alleine nach Deutschland kommen, sich eine Existenz schaffen und ihre Familie nachholen wollen, deutlich gemacht wird, dass das nicht mehr geht. Das wird viele davon abhalten, nach Deutschland zu kommen.
Kollidiert eine solche Einschränkung nicht mit der Genfer Flüchtlingskonvention?
Nein. Die Genfer Flüchtlingskonvention fordert ja einen Fluchtgrund, und die Familien, die nachziehen, haben ja keinen Fluchtgrund. Wenn sie freilich selbst verfolgt sind, haben sie natürlich nach Artikel 16a einen eigenen Asylgrund.
Der Berliner Staats- und Verfassungsrechtler Rupert Scholz (78) war als CDU-Politiker auch 1988 bis 1989 Verteidigungsminister und ist Co-Autor des führenden deutschen Grundgesetzkommentars.