Europa und die Bundestagswahl: „Da kommt nichts“
Der EU-Stabilitätspakt soll erneuert werden. Dies fordern die Grünen - und kritisieren den potenziellen Koalitionspartner FDP sowie SPD-Kanzlerkandidat Scholz.
Es ist ein Regelwerk, das immer wieder Diskussionen in der EU auslöst: Der EU-Stabilitätspakt sieht vor, dass Länder in der Euro-Zone höchstens eine Neuverschuldung von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts und einen maximalen Schuldenstand von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung aufweisen sollen. Wegen der Pandemie ist die Defizitregel bis Ende 2022 ausgesetzt. Aber für die Zeit danach hat bereits die Diskussion über eine Neufassung des Paktes eingesetzt, der mehr Spielraum zum Schuldenmachen ermöglicht. Frankreich und Italien gehören zu den EU-Ländern, die dies fordern. Auch die Grünen sind dafür, wie die europapolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Franziska Brantner, im Interview erläutert.
Frau Brantner, Europa spielt im Wahlkampf kaum eine Rolle. Woran liegt das?
Ich hätte mir gewünscht, dass die künftige Europapolitik Deutschlands stärker im Fokus steht. Die anderen EU-Mitglieder schauen auf uns. Deshalb ist es bedauerlich, dass auch im jüngsten Triell die EU als Thema nicht vorkam.
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Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich Grüne und Liberale in einer gemeinsamen Regierung wiederfinden. Die Grünen wollen eine Reform des EU-Stabilitätspakts, die FDP nicht. Ein unüberwindbares Koalitionshindernis?
Wir Grüne wollen, dass Europa gut aus der Corona-Krise herauskommt. Dabei muss es uns gelingen, Digitalisierung, Klimaschutz und Wohlstand zusammenzubringen. Das diskutieren wir in Deutschland, aber natürlich auch auf europäischer Ebene. Unsere EU-Partner dürfen am Ende der Corona-Krise nicht damit anfangen, sich in Rezessionen hineinzusparen. Vor allem haben wir als Kontinent ein Interesse, Zukunftstechnologien zu entwickeln. Das zeigen auch die Billionen-Investitionen, die US-Präsident Biden bei Infrastrukturmaßnahmen, Digitalisierung und Klimaschutz plant. Für unsere Zukunft ist nichts teurer als das Nichtstun der großen Koalition.
Die FDP verlangt, dass die Maastricht-Regeln wieder komplett eingehalten werden. Das bedeutet: eine Neuverschuldung von höchstens drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes und ein Schuldenstand von maximal 60 Prozent. Wie sehen Ihre Vorschläge zur Reform des EU-Stabilitätspakts aus?
Wir wollen solide Finanzen, um Wohlstand und Klimaschutz zu ermöglichen. Überall wird der Einsatz von Grünem Wasserstoff und der Aufbau neuer europäischer Energienetze gefordert. Das gibt es aber nicht umsonst. Dasselbe gilt für transeuropäische Schnellzugverbindungen und den Aufbau einer stärkeren Unabhängigkeit Europas mit Blick auf unsere Gesundheit, die sich angesichts der Pandemie als zwingend erweist. Auch wenn wir in der Digitalisierung weltweit führend und unabhängiger werden wollen, braucht es hier staatliche Unterstützung. Der Stabilitätspakt muss solchen notwendigen Investitionen Rechnung tragen.
Vor der letzten Bundestagswahl soll Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gesagt haben, er sei „tot“, wenn Kanzlerin Angela Merkel eine Koalition mit den Liberalen eingehe. Mittlerweile sitzen FDP-Abgeordnete im Europaparlament neben den Parlamentariern der französischen Präsidentenpartei LREM. Ganz so groß scheint in Paris der Schrecken angesichts der Liberalen nun also nicht mehr zu sein.
Man sollte nicht unterschätzen, dass die Abgeordneten von „La République en Marche“ und FDP-Abgeordnete im EU-Parlament häufig unterschiedlich abstimmen, wenn es etwa um den Klimaschutz und gemeinsame Investitionen in den EU-Haushalt geht. Gerade im Klimaschutz fällt auf, dass die FDP ausschließlich auf den CO2-Preis setzt, während Macron stattdessen auf weitergehende Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen setzt.
Auch der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat bereits betont, dass der EU-Stabilitätspakt nicht grundlegend erneuert werden müsse. Scholz schlägt sich damit auf die Seite der FDP.
Scholz ist in seinen Ankündigungen zum Stabilitätspakt sehr vage geblieben. Das ist sein Wahlkampfstil. Man kann seine Äußerungen so verstehen, dass die EU-Verträge als Grundlage des Stabilitätspakts nicht ohne weiteres geändert werden können. Aber von einem Finanzminister erwarte ich, dass er sich mit konkreten Vorschlägen in die laufende EU-Debatte um die Reform des Stabilitätspaktes einbringt. Da kommt nichts.
Bulgarien möchte 2024 den Euro einführen. Halst sich die EU hier das nächste Problem à la Griechenland auf?
Es gibt klare Kriterien für die Aufnahme in die Euro-Zone, und die müssen eingehalten werden. Wir wissen genau, dass Bulgarien bei der Korruptionsbekämpfung Nachholbedarf hat. Die US-Regierung hat gegen einzelne Bürger des Landes wegen der Korruption Sanktionen verhängt. Deshalb sind wir der festen Überzeugung, dass sich die nächste Bundesregierung wesentlich stärker für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Korruptionsbekämpfung in der EU einsetzen muss.