Wahlfernsehen in der Kritik: Hauptsache, die Redezeit stimmt
Mehr als 20 Millionen verfolgen die drei TV-Trielle – dabei ist der Dreikampf nicht das beste Wahlformat.
Geschafft. Das dritte und letzte Triell vor der Bundestagswahl am 26. September ist absolviert, von den Machern bei ProSieben, Sat 1 und Kabel 1, von Annalena Baerbock (Die Grünen), Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD), von den Zuschauerinnen und Zuschauern.
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Die drei Veranstaltungen waren gedacht als das Herzstück dieses Fernsehwahlkampfes, den die öffentlich-rechtlichen Sender wie gewohnt und die kommerziellen Anbietern erstmals zum relevanten Programm gekürt hatten. Deswegen hat RTL – und nicht nur RTL – das Infotainment gleichberechtigt neben das Entertainment gesetzt. Ja, das Fernsehen hat wie Print, Online und das Radio seinen Job gemacht. Einen guten Job?
Mehr noch als die Online- und die gedruckten Medien ist das Fernsehen ein Bild- und Ton-Medium. Das fordert alle Sinne heraus und erzeugt die Gefahr, dass die Konzentration auf das Wesentliche leidet. Weiß ein Fernsehzuschauer nach einem Politikerauftritt noch, was er gesagt hat, oder kann er sich besser an die Farbe der Krawatte erinnern? Fernsehauftritte sind immer auch Werbeauftritte, was die Moderation umso stärker darauf verpflichten muss, dass eine politische Diskussion als politische Teilhabe stattfindet.
Fernsehen Infoquelle Nummer eins
Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass das Fernsehen die erste Informationsquelle war und ist: Jeder Zweite informiert sich nach Angaben der Deutschen TV-Plattform mittels TV über die Wahl. Auf diese 49 Prozent Nutzung folgt das Radio mit 43 Prozent, gedruckte Zeitung/Zeitschrift halten bei 34 Prozent, Social Media (Facebook, Instagram, Facebook) kommen auf 32 Prozent, nur einen Prozentpunkt weniger erreichen die Homepages von Zeitungen/Zeitschriften. Auch der Wahl-O-Mat meldet 31 Prozent Nutzung. Mit Werten von jeweils über 60 Prozent halten die Bürgerinnen und Bürger Radio, Zeitungen und Zeitschriften und das Fernsehen für die glaubwürdigsten Quellen.
Trielle als Novität
Natürlich ragen die Trielle heraus, eine Novität in der kombinierten Fernseh- und Politikgeschichte Deutschlands. Seit Einführung der TV-Duelle 2002 stellte sich der Amtsinhaber zur Wiederwahl – bis Kanzlerin Angela Merkel ihren Abschied ankündigte. Ein offenes Bewerberfeld tat sich auf, drei haben es betreten, und wer dachte, CDU-Kandidat Laschet würde wie selbstverständlich nächster Bundeskanzler, der sah sich rasch getäuscht, als Olaf Scholz die Poleposition übernahm. Zu dieser Überraschung kam eine zweite hinzu: Noch bei keiner Bundestagswahl traten derart viele Parteien und Gruppierungen an, 53 hat der Bundeswahlleiter zugelassen, was beim Endergebnis bedeutet, dass eine Partei mit so niedrigen Prozentwerten wie noch nie als erste durchs Ziel gehen wird.
Es lässt sich nicht bestimmen, wie viel Zeit die Wahlberechtigten für die Information zum Wahltag investieren. Was sich mit Bestimmtheit sagen lässt: Die drei Trielle über beinahe fünf Stunden interessierten insgesamt mehr als 20 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer. Trotz aller Mehrfachnutzung ist das eine beeindruckende Zahl.
Identische Sendungen
Eine Zahl, aus der eine große Verantwortung erwächst. Infotainment, Entertainment, Entscheidungshilfe, Orientierung, alles sollte in diesen drei Sendungen drin sein. Das Setting bei RTL, ARD/ZDF und ProSieben/Sat1/Kabel1 war weitgehend identisch. Ein Moderatorenduo steht dem Politikertrio gegenüber, schon merkwürdig und überflüssig, dass sich die drei Sendersysteme unterschiedliche Studiodekors gönnten.
Ist es eine Sensation, dass die Trielle der Privatsender mit dem Triell der öffentlich-rechtlichen mithalten konnten? Nein, ist es nicht, RTL-Anchor Peter Kloeppel moderiert diese Veranstaltung „Journalisten fragen, Politiker antworten“ seit 2002, kein Sender musste sich über seine Form der Inszenierung vertiefte Gedanken machen, sie war vorgegeben.
Also nahm das Fernsehformat des Triells währenddessen und in der jeweiligen Nachbereitung die Form eines Pferderennens an, nicht zuletzt wegen der angeschlossenen Blitzumfragen. Journalisten klangen wie Sportreporter, wenn Scholz schon wieder Bella Figura gemacht hatte.
Quotenrennen
War das Quotenrennen wichtiger als die Inhalte, erlebte das Publikum die Suggestion von Inhalten, nicht aber deren Substanz? Weil insbesondere in der ARD/ZDF-Veranstaltung die Moderatorin Maybrit Illner (ZDF) und der Moderator Oliver Köhr (ARD) ein Duell ins Triell implantierten. Im Feinen wie im Groben war die Abstimmung mangelhaft. Die Trielle bei RTL und ProSieben waren deutlich themenorientierter, auch weil sie weniger Schaulaufen auf beiden Seiten der Stehpulte boten und Linda Zervakis demonstrieren konnte, was für eine Journalistin in einer Ex-„Tagesschau“-Sprecherin steckt.
Ob sich die Oppositionsparteien des Bundestages, aber auch die zahlreichen Kleinparteien und Interessensgruppen, die zu dieser Wahl antreten, sehr geärgert haben? FDP, AfD, Die Linke, sie alle haben keine Kanzlerkandidatin und keinen Kanzlerkandidaten bestimmt. Nach der Logik des Wahlfernsehens haben sie sich damit um Sendezeit und Präsenz gebracht. Natürlich wird aus ihren Reihen nicht die nächste Bundeskanzlerin / der nächste Bundeskanzler hervorgehen, zugleich sind ihre Programme und Positionen von dem als überragend erachteten Dreikampf verdeckt, versteckt worden.
Wo bleiben die Sonstigen?
Außerdem: Die nicht im Parlament bisher vertretenen Parteien kommen nach jetziger Erhebungslage auf neun Prozent der Stimmen, eine erkleckliche Ziffer, die sich in den Wahlsendungen nicht abbildet. Da darf für die nächste Bundestagswahl scharf nachgedacht werden, wie im linearen und/oder nonlinearen Fernsehen plus bei Social Media Sichtbarkeit, sprich Gerechtigkeit hergestellt werden kann.
Einzell, Duell, Triell, Quatrell, Septell – was hätten’s denn gerne? „Wahlarena“, „Am Tisch mit …“, „Klartext“!, sprich Sendungen, in denen Bürgerinnen und Bürger die Politikerinnen und Politiker live befragen konnten. In den Townhall-Sendungen mussten die Kandidatinnen und Kandidaten Farbe bekennen. Manche Frage war ungelenk, nicht im geschliffenen Journalistenduktus gestellt, und doch offerierten sie, da von der Lebenswirklichkeit geprägt, mehr Überraschung, Überraschtsein und überraschende Antworten als der Blasen-Talk im Triell. Die Hauptsache dort: dass die Redezeit stimmte.
Was entscheidet die Wahl?
Was die Wahl entscheidet? Der Einzelne, die Einzelne und sehr wahrscheinlich mehr sein Umfeld als der mediale Wahlkampf. Olaf Scholz wird bei uebermedien.de mit dem Satz zitiert: „Die Medien überschätzen regelmäßig das Vorwissen der Leute und unterschätzen dabei genauso regelmäßig deren Fähigkeit, auch auf der Grundlage von wenig Information vernünftige Entscheidungen zu treffen.“ So hat er Wahlkampf gemacht, so wird er gewinnen.
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