Europawahl 2019: CSU-Vize Manfred Weber liebäugelt mit Spitzenkandidatur
Will Weber bei der nächsten Europawahl als Spitzenkandidat der Konservativen ins Rennen gehen? Allein schon das Format der EVP-Fraktionsklausur unterstreicht seine Ambitionen.
Manfred Weber kennt die Frage schon. Bei der dreitägigen Klausur der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, die diesmal in Webers bayerischer Heimat stattfindet, kommt die Frage immer wieder. Will er als Spitzenkandidat der konservativen Parteienfamilie bei der Europawahl im kommenden Jahr ins Rennen gehen? Weber lächelt. Er sagt, dass er sich freue, "dass wir eine lebendige Debatte darüber haben", wer Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) wird. Aber dann wiegelt er ab: "Meine Partei wird die Entscheidung im November fällen, deshalb ist es jetzt viel zu früh, um über Personal zu spekulieren."
Allerdings ist der 45-jährige Weber, CSU-Vizechef und seit 2014 EVP-Fraktionsvorsitzender im Europaparlament, Polit-Profi genug, um zu wissen, dass Spekulationen das Geschäft beleben - in diesem Fall das europäische Geschäft. Es dürfe nicht "mehr hinter verschlossenen Türen von einigen wenigen ausgemauschelt" werden, wer die Führung in Europa übernimmt, sagt er. Weber nutzt also die Gelegenheit der Klausurtagung in München, um noch einmal kräftig die Trommel für das Spitzenkandidaten-Verfahren zu rühren, das bei der letzten Europawahl 2014 zum ersten Mal praktiziert worden war. Der Luxemburger Jean-Claude Juncker war damals Spitzenkandidat der EVP, und nach deren Wahlsieg wurde er zum Kommissionschef ernannt.
Dass sich Weber, der die größte Fraktion im Europaparlament anführt, mit Blick auf die kommende Europawahl gewisse Chancen ausrechnen kann, wird an zwei Dingen sichtbar: Zum einen ist es kein Zufall, dass die Klausur der EVP-Fraktion in München stattfindet, wo Weber seine Fraktionskollegen nicht nur von der Schönheit der bayerischen Heimat überzeugen, sondern auch die politischen Truppen sammeln kann: Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz kommt zu den Studientagen ebenso wie der kroatische Premier Andrej Plenkovic. Wenn Weber tatsächlich als Frontmann der Europäischen Konservativen anträte, müsste er schließlich auch in Österreich und Kroatien Wahlkampf machen.
Merkel hat sich mit Spitzenkandidaten-Verfahren "abgefunden"
Zum zweiten hat es auch eine gewisse Signalwirkung, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der EVP-Klausur eine Rede hält. Man weiß ja von ihr, dass sie dem Automatismus, dem zufolge der siegreiche Spitzenkandidat einer Parteienfamilie automatisch Kommissionspräsident wird, eher skeptisch gegenübersteht. Vor vier Jahren, als das Verfahren seine Premiere hatte, wollte sie der Nominierung Junckers zunächst nicht zustimmen. Dann änderte sie aber doch ihre Meinung, als Kritiker ihr vorhielten, die Demokratisierung der EU zu bremsen. Wie sie heute auf die Sache schaut, formuliert Merkel vor den EVP-Abgeordneten in München leicht flapsig so: „Ich habe mich damit abgefunden, okay.“ Sie gibt allerdings zu bedenken, dass langfristig die Spitzenkandidaten-Prozedur an transnationale Listen gekoppelt werden müsste, wie sie Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron fordert.
Sollten Europas Konservative den Bayern Weber bei ihrem Kongress im kommenden November in Helsinki tatsächlich auf den Schild heben und zum Kandidaten küren, dann könnte sich das Europaparlament damit rühmen, einen Mann aus den eigenen Reihen an die Spitze der europäischen Exekutive zu schicken. Bislang gehört es zum Eignungsprofil von Kommissionspräsidenten, dass sie über eine Erfahrung in Regierungsämtern verfügen. Der gegenwärtige Amtsinhaber Jean-Claude Juncker aus Luxemburg, seine Vorgänger José Manuel Barroso aus Portugal und Romano Prodi aus Italien - sie alle hatten Erfahrung als Regierungschefs gesammelt, bevor sie nach Brüssel gingen. Weber, der nicht mit einem vergleichbaren Amt aufwarten kann, versucht indes mit seiner Erfahrung als Europäer zu punkten.
Kontroverse um Fidesz-Mitgliedschaft
Tatsächlich hat Weber in seiner vierjährigen Amtszeit als EVP-Fraktionschef schon einiges unternommen, um die vielfältige Truppe der 219 EVP-Abgeordneten zusammenzuhalten. Gelegentlich muss er dabei bis an die Schmerzgrenze gehen - wie gegenwärtig im Fall der ungarischen Fidesz-Abgeordneten, die ebenfalls seiner Fraktion angehören. Wegen der Gefährdung der Grundrechte in Ungarn haben die niederländischen Christdemokraten einen Ausschluss der Parlamentarier der Regierungspartei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban aus der EVP-Fraktion ins Auge gefasst, und auch aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion kommen inzwischen kritische Töne. Jüngst kam es zu einem offenen Meinungsaustausch zwischen Weber und Orban. Weber hält indes nichts von einem Ausschluss der Fidesz-Leute aus der EVP-Fraktion. Er hält es für klüger, die Fidesz-Parlamentarier mit an Bord zu halten und so im Dialog mit der ungarischen Regierungspartei zu bleiben, statt den Einfluss auf die Fidesz komplett zu verlieren.
Orban war auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise wegen seiner Abschottungspolitik zu Merkels Gegenspieler geworden. Die Migrationspolitik ist bis heute ein Spaltpilz in der EU geblieben. Österreichs Regierungschef Kurz plädiert in seiner Rede vor den EVP-Abgeordneten dafür, dass die EU den Streit um die Verteilung der Flüchtlinge hinter sich lassen solle. Der Streit um die Verteilung der Migranten solle nicht in den Mittelpunkt gerückt werden, sagte Kurz, dessen Land am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Kurz dürfte an osteuropäische Staaten wie Ungarn und Polen, welche die Flüchtlingsverteilung ablehnen, gedacht haben, als er sagt: „Wir brauchen eine neue Kultur im Umgang miteinander.“
Kurz fordert neues Mandat für EU-Grenzschutzagentur Frontex
Was Kurz anschließend fordert, ist inzwischen zum Mantra unter den EU-Mitgliedstaaten in der Flüchtlingspolitik geworden - ein verstärkter Schutz der EU-Außengrenzen. Die EU solle die Außengrenzen „ordentlich sichern, Griechenland und Italien nicht allein lassen“ und vor allem das politische Mandat für die EU-Grenzschutzagentur Frontex erweitern, fordert Kurz. Es müsse Frontex künftig gestattet werden, in Drittstaaten außerhalb der EU Kooperationen einzugehen. Damit solle sichergestellt werden, dass Flüchtlingsboote in Nordafrika nicht mehr ablegen könnten, „damit die Menschen erst gar nicht ihr Leben im Mittelmeer riskieren“.
Falls eine Rückführung der Flüchtlinge vom südlichen Rand des Mittelmeers in die Transit- oder Herkunftsstaaten nicht möglich sei, müssten die Migranten „in sicheren Zonen außerhalb der Europäischen Union“ untergebracht werden. Das Fazit des österreichischen Regierungschefs: Wenn man Frontex nicht mit einem anderen politischen Mandat ausstatte, nutze eine personelle und finanzielle Stärkung der EU-Grenzschutzagentur nichts.