BKA-Bericht zu Rauschgiftkriminalität: Coronakrise verstärkt Trend zum Rauschgifthandel im Internet
Die Zahl der Rauschgiftdelikte stieg 2019 erneut an – besonders im Zusammenhang mit Kokain. Trotz Pandemie scheint sich diese Entwicklung fortzusetzen.
Das Coronavirus hat die Clubkultur zum Erliegen gebracht. Den Drogenkonsum der Deutschen haben die ausgefallenen Partys der vergangenen Monate aber offenbar nicht beeinflusst. „Wir sehen keine großen Veränderungen, was Konsum und Verfügbarkeit angeht“, sagte Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), am Dienstag in Berlin.
Die internationalen Lieferketten würden auch während der Pandemie funktionieren. Die Coronakrise verstärke lediglich den Trend des Rauschgifthandels im Internet.
Münch stellte gemeinsam mit der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU), das „Bundeslagebild Rauschgiftkriminalität 2019“ vor. Die Delikte im Zusammenhang mit Drogen sind bei einem in etwa gleichen Kontrollniveau wie 2018 erneut angestiegen.
Insgesamt kam es zu 359 747 Delikten, ein Plus von 2,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr (350 662). Insbesondere allgemeine Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz nahmen zu.
Das Darknet bietet Vertriebsmöglichkeiten
Schon vor Corona hat sich der Handel von Rauschgift im Internet als fester Betriebsweg etabliert. 2019 gab es 3263 Fälle, die Ermittler gehen aber von einer hohen Dunkelziffer aus. Im Mai 2019 gelang es dem BKA, den deutschlandweit größten Drogen-Onlineshop „Chemical Revolution“ zu zerschlagen.
Insbesondere das sogenannte Darknet bietet Drogenhändlern Vertriebsmöglichkeiten. Im Gegensatz zum herkömmlichen Internet ist es nur durch spezielle Software, die der Anonymisierung dient, einsehbar.
„Kokain ist keine Elitedroge mehr“
Den mit Abstand größten Anstieg hat das BKA bei Delikten im Zusammenhang mit Kokain gemessen: 20 107 Fälle, ein Anstieg von 12,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Während die Zahlen für Heroin schwanken, seien die Zahlen für Kokain in den vergangenen Jahren beständig angestiegen, sagte Münch: seit 2017 um 75 Prozent.
„Kokain ist keine Elitedroge mehr“, sagte Münch. Die Droge sei inzwischen gesellschaftlich weit verbreitet. Wer genau und zu welchem Zweck sie konsumiert, sei derzeit aber nicht statistisch erfassbar. Im Juli stellte der Zoll im Hamburger Hafen 4,5 Tonnen Kokain auf einem Frachtschiff aus Uruguay sicher – so viel wie noch nie zuvor in Deutschland.
Kampf gegen Koks-Taxis in Berlin
Der bundesweite Trend ist auch in Berlin zu beobachten. Laut der polizeilichen Kriminalstatistik 2019 nahmen die Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz im Zusammenhang mit Kokain um 23,4 Prozent zu. Insbesondere sogenannte Koks-Taxis machen den Ermittlern in Berlin zu schaffen. Konsumenten bestellen per Smartphone Kokain, dass dann innerhalb eines kurzen Zeitraums mit einem Auto an ihren Aufenthaltsort geliefert wird.
„Kokain ist wahnsinnig gefährlich“, sagte die Drogenbeauftragte Ludwig. Man wolle diesen Trend nicht einfach hinnehmen. Sie kündigte an, verstärkt in die Prävention investieren zu wollen. Dafür gäbe es einen Konsens im Bundesgesundheitsministerium. Crystal Meth sieht Ludwig als Erfolgsbeispiel für eine solche Strategie.
Die Drogenbeauftragte setzt auch Prävention
Die Delikte im Zusammenhang mit der Droge sind 2019 um 3,9 Prozent gesunken, auf 9960 Fälle. Gezielte Präventionsmaßnahmen wie Gespräche mit konsumierenden Müttern oder Modellprojekte in Schulen hätten dazu geführt, dass man in bisherigen Crystal-Meth-Hotspots nun „achtsamer und wachsamer“ sei, sagte Ludwig.
Während Kokain hauptsächlich aus Südamerika kommt und Deutschland über Seecontainer erreicht, nahm auch die Zahl der sichergestellten Labore zur Herstellung synthetischer Drogen in Deutschland zu. 2019 hat die Polizei 31 derartige Labore sichergestellt, ein Anstieg von 63,2 Prozent (2018: 19 Labore).
Insgesamt wurden 47 173 Tatverdächtige im Zusammenhang mit Rauschgifthandelsdelikten erfasst, davon rund 65 Prozent deutsche Staatsangehörige. Während Deutsche bei synthetischen Drogen den Hauptanteil der Tatverdächtigen ausmachen (80 Prozent), sind es bei Handelsdelikten mit Kokain die Nicht-Deutschen (57 Prozent).
Soll Cannabis-Besitz entkriminalisiert werden?
Das nach wie vor mit Abstand am meisten gehandelte Betäubungsmittel in Deutschland ist Cannabis. 2019 registrierte die Polizei 217 929 Delikte, 60 Prozent der Rauschgifthandelsdelikte hängen mit Cannabis zusammen. Linke, Grüne und FDP fordern seit Langem einen liberaleren Umgang mit Cannabis.
Die im September 2019 zur Drogenbeauftragten ernannte Ludwig hat bereits signalisiert, für Modelle im Umgang mit Cannabis, wie etwa in Portugal, offen zu sein. Dort gilt der Besitz von Drogen nicht als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit.
Je nach Bundesland gelten andere Regeln
De facto sei Cannabis auch in Deutschland bereits entkriminalisiert, sagte Münch. Der Besitz führe nur sehr selten zu Urteilen. Je nach Bundesland gibt es unterschiedliche Regeln, in Berlin kann das Strafverfahren bei bis zu 15 Gramm Eigenbesitz eingestellt werden.
„Wir sind im engen Austausch mit Ländern, die alternative Strategien entwickeln“, so der BKA-Chef. Es gebe diesbezüglich „kein Dogma“. Er habe aber bisher nicht erlebt, dass eine liberalere Drogenpolitik zu weniger Konsumenten führen würde.