Entwicklung in Asien: "China ähnelt Nordkorea immer mehr"
Die USA als sinkende Weltmacht, China als aufsteigende. So sehen es viele Chinesen, vor allem die Parteiführung. Ein Interview.
China preist sein Staatsmodell immer selbstbewusster an. Die Zeitschrift „Qiushi“ bezeichnet China als „größte Demokratie der Welt“. Wie kommt sie darauf?
Sehen Sie sich nur das Land neben China an, das führt den Begriff Demokratie sogar im Staatsnamen. Es nennt sich: Demokratische Volksrepublik Korea. Tatsächlich ähnelt China Nordkorea immer mehr, und die Chinesen wissen das auch. Deshalb sagen einige zum Spaß: Wir sind zu einem Westkorea geworden.
Warum sagen sie das?
Ich war Anfang November in China und habe Fernsehen geguckt. Dort sieht der Staats- und Parteichef Xi Jinping inzwischen aus wie Kim Jong Un: Wie er mit der Hand ins Volk winkt, wie er Anweisungen an seine Leute gibt. Das ist die Demokratie, die man in China hat, es ist eine Demokratie der anderen Art. Man kann in China über Demokratie sprechen, man darf auch über Demokratie sprechen, aber es ist eine ganz andere als in Deutschland. Und auch eine andere Demokratie, als das chinesische Volk haben will.
Woher wissen Sie, dass das chinesische Volk eine andere Demokratie will?
Ich spreche viel mit Chinesen. Die chinesischen Intellektuellen bewundern natürlich die westliche Demokratie, sie wollen auch so eine Demokratie bekommen. Vielleicht verstehen die normalen Leute in China nicht, was Demokratie bedeutet. Aber was sie wollen, ist Rechtsstaatlichkeit. Definitiv. Sie haben den Machtmissbrauch satt.
Die Kommunistische Partei sagt, China habe eine andere Kultur als der Westen und eine 5000-jährige Geschichte. Deshalb könne die westliche Demokratie in China nicht funktionieren. Können Sie das nachvollziehen?
Auf eine Art ja. Sehen Sie sich die japanische Demokratie an, ist sie dieselbe wie die westliche? Natürlich nicht. Es ist eine Demokratie mit japanischen Kennzeichen. Aber die Werte, die wir verfolgen, sind die grundlegenden Werte der Demokratie: Menschenrechte, Freiheitsrechte, Gleichberechtigung, Brüderlichkeit – alle diese Werte werden von der japanischen Demokratie geteilt.
Welche Rolle spielen diese Werte in China?
Sie stehen auch in der chinesischen Verfassung. In der Vergangenheit sagte China immer: Wir schätzen diese Werte, wir haben die UN-Menschenrechtsabkommen unterzeichnet. Wir werden alle diese Rechte erreichen, aber wartet bitte noch ein bisschen, dafür benötigen wir Zeit, wir sind ein Entwicklungsland. Das war die übliche Position der KP Chinas. Was mir aktuell große Sorgen bereitet: Seit einigen Jahren mehren sich die Stimmen, die sagen, wir akzeptieren die Idee universeller Werte nicht, wir akzeptieren die Menschenrechte nicht als unsere Werte. Weil sie westliche Werte sind. Der Westen nennt sie universelle Rechte, weil er sie uns aufbürden will. Staatspräsident Xi Jinping gehört auch zu den Menschen, die das sagen.
Ist es auch deshalb so besorgniserregend, weil viele China schon jetzt als die führende Weltmacht ansehen?
Viele Chinesen sind zurzeit sehr angriffslustig, sie sind selbstbewusst, sie sagen, die USA seien eine sinkende Macht, wir eine aufsteigende Macht. Sie behaupten, dass ihr Modell der Entwicklung ein Muster für die Welt sein könnte.
Viele westliche Zeitungen schreiben das angesichts der Präsidentschaft Donald Trumps in den USA ebenfalls.
Ich denke, dass die westlichen Zeitungen nicht ernsthaft daran glauben. Sehen Sie sich doch nur den Fakt an, dass diejenigen Chinesen, die die Möglichkeiten dazu haben, aus ihrem Heimatland abwandern. Wenn China die führende Weltmacht wäre, warum bleiben sie nicht? Und warum wandern die Menschen anderer Nationen nicht nach China ein? Gibt es denn viele US-Amerikaner, die nach China ziehen? Nein, es ist andersherum. Weil die Menschen verstehen, dass ihre Zukunft in China nicht gesichert und mit vielen Risiken verbunden ist.
Wie wirkt sich der Rückzug der USA unter Donald Trump in Ostasien aus?
Unterschiedlich. Während Donald Trumps Asientour waren viele südostasiatische Staaten enttäuscht von Trumps Desinteresse an ihren Problemen. Insbesondere angesichts der chinesischen Fortschritte. Allerdings haben unter Trump auch die Übungen und Aktionen der USA im Südchinesischen Meer zugenommen.
Das Südchinesische Meer war bei Trumps Asienreise überhaupt kein Thema.
Ja, aber ich sehe trotzdem nicht, dass sich die USA aus dieser Gegend zurückziehen würden. Die Seeoperationen der USA in den Gebieten nehmen zu. Ich sehe keine US-Firma, die ihr Investment aus Südostasien zurückzieht. Weil Südostasien weiter wachsen wird, es ist eine vielversprechende Gegend.
Mit Nordkorea aber auch eine sehr instabile. Unlängst empfing Kim Jong Un nicht einmal den Sondergesandten seines engen Verbündeten China. Wie gefährlich ist das?
Natürlich wäre es gut, wenn Chinas Sondergesandter empfangen worden wäre. Aber er war diesmal kein Mitglied des Politbüros. Das bedeutet, dass Xi Jinping Kim Jong Un nicht mag. Er findet nicht gut, was Kim Jong Un macht, und er hat das damit auch gezeigt.
Wie groß ist denn überhaupt der Einfluss Chinas auf Nordkorea?
Das Verhältnis von China zu Nordkorea ist wie das einer Mutter zu einem Sohn, der nicht auf seine Mutter hört. Die Mutter hält ihn am Leben, füttert ihn und so weiter.
Wo führt diese Beziehung hin, wird die Mutter den Sohn aus dem Haus werfen?
Es kommt darauf an, was der Sohn als Nächstes macht. Nicht nur China, auch die USA, Japan, Südkorea und die anderen müssen beurteilen, wie sie auf einen weiteren nuklearen Test oder den Test einer weiteren Langstreckenrakete von Nordkorea reagieren. Ich weiß die Antwort nicht. Ich hoffe aber, dass Washington und Peking eine gute Kommunikation darüber haben, was sie als Nächstes unternehmen.
Im Moment sieht es nicht danach aus.
Wir wissen nicht, was Donald Trump und Xi Jinping in Peking diskutiert haben. Wenn die eine Seite handelt ohne die Zustimmung der anderen, gibt es ein großes Durcheinander. Ich hoffe natürlich, dass beide mit einer friedlichen Lösung kommen, aber es gibt auch eine kleine Möglichkeit, dass sich die Dinge anders entwickeln. Wenn sie Gewalt anwenden – sei es ein militärischer Erstschlag, ein Mordkommando, oder einen Aufstand organisieren –, müssen Chinesen und Amerikaner wirklich sehr gut kooperieren.
Das Gespräch führte Benedikt Voigt.