Gegen den Willen von Angela Merkel: CDU-Politiker wollen Kalte Progression abschaffen
Die Kanzlerin ist dagegen - dennoch wollen Wirtschafts- und Sozialpolitiker der Union die Kalte Progression abschaffen. Dafür möchten sie eine Mehrheit auf dem nächsten Parteitag gewinnen. Ob das klappt?
"Wir sind immer in einem guten Austausch mit unserer Parteivorsitzenden", sagt Karl-Josef Laumann. "Aber wir sind nicht so weit, dass wir unsere Anträge genehmigen lassen müssen!" Das dürfte im vorliegenden Fall auch schwierig werden. Sozial- und Wirtschaftsflügel der CDU wollen beim Parteitag im Dezember gemeinsam ein Projekt durchdrücken, das in Angela Merkel derzeit so gar keine Anhängerin findet.
Es geht um die Abschaffung der Kalten Progression. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann, verfolgt das Ziel seit Monaten, jetzt hat er sich Laumanns Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) als Unterstützer zur Seite geholt. Doch obwohl die Verbündeten beim Parteitag theoretisch eine Mehrheit aus ihren Mitgliedern organisieren könnten, ist der Erfolg alles andere als ausgemacht.
Laumann ist erfahren genug, um das zu ahnen. Linnemann ist jung und stürmisch genug, um es zu ignorieren. Der Chef- Mittelständler findet, dass der CDU eine Debatte auf dem Parteitag nur guttun könnte, nicht zuletzt um der Unterscheidbarkeit als Partei wegen. Er macht sein Projekt auch sonst zur Prinzipienfrage: "Da geht es auch um die Frage: Sind wir in Deutschland noch in der Lage, Strukturreformen umzusetzen?"
Noch in dieser Wahlperiode
Der gemeinsame Antrag für den Parteitag, den beide am Mittwoch in Berlin präsentieren, liest sich freilich eine Nummer kleiner. CDA und MIT fordern die Abschaffung der Kalten Progression noch in dieser Wahlperiode, spätestens ab 2017. Ein "Tarif auf Rädern" soll dafür sorgen, dass die Geldentwertung automatisch im Steuerrecht berücksichtigt wird.
Denn die Inflation ist der Dreh- und Angelpunkt der Kalten Progression. Der Effekt entsteht dadurch, dass der Arbeitnehmer auf dem Papier mehr Geld bekommt, sich davon aber je nach Inflation nicht unbedingt mehr kaufen kann. Höhere Steuern zahlen muss er auf das höhere Einkommen trotzdem. Je höher die Inflation und je niedriger der Lohnanstieg, desto größer ist der "kalte" Anteil an der – im Prinzip erwünschten – Progression.
Den will das Duo komplett abschaffen. Die Kosten für die Finanzminister von Bund und Ländern, sagt Linnemann, hielten sich in Grenzen – eine gute Milliarde Euro im Jahr 2017. Das stimmt freilich nur, wenn die Inflation niedrig bleibt; außerdem würde sich diese "Steuerbremse" über die Jahre kräftig aufsummieren.
Viele Wenns und Abers
Eine Gegenfinanzierung an anderer Stelle lehnt der Antrag trotzdem ab. Auch sonst enthält er etliche Wenns und Abers. Laumann hat dafür gesorgt, dass ein Bekenntnis zur Schuldenbremse ganz weit oben in dem Antragstext gelandet ist. Und wenn in dem Text von der Möglichkeit die Rede ist, die Steuerbremse in "besonderen Haushaltsnotlagen" auszusetzen, dann sei damit ausdrücklich gemeint, dass die "schwarze Null" im Bundeshaushalt in Gefahr gerät. Der gemeinsame Antrag sei also ein "sehr verantwortungsvolles Papier".
Auch sonst will der CDA-Chef erkennbar vermeiden, in Gegensatz zu Merkel und ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble zu geraten. "Jetzt isses ja nicht so, dass wir die Parteiführung zum Jagen tragen müssen", sagt der Westfale. Schließlich habe Schäuble in der schwarz-gelben Koalition einen Vorstoß gegen die Kalte Progression unternommen, der an rot und grün regierten Ländern scheiterte.
Schäuble hat gerade erst darauf hingewiesen, dass einem neuen Anlauf das gleiche Schicksal droht. Darauf allerdings, findet das Duo, sollte man es ankommen lassen. Laumann, bis vor kurzem CDU-Fraktionschef in Düsseldorf, malt aus, wie dann die SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft den "fleißigen Leuten" im Ruhrgebiet erklären müsse, dass sie ihnen die Entlastung nicht gönne.
Linnemann greift wieder ins Prinzipielle: "Wir lassen uns doch vom Bundesrat nicht die Politik diktieren!" Der Kampf gegen die Kalte Progression gehöre "zur DNA der Union". Laumann formuliert lieber nicht ganz so wuchtig. "Ich glaube, dass es auch wichtig ist, dass die CDU Vereinigungen hat, die Themen setzen", sagt der CDA-Vorsitzende. "Sonst brauchen wir sie nicht."