Vor dem Flüchtlingsgipfel: Menschenrechtler: Asylbürokratie abbauen
Die Abschreckung von Flüchtlingen ist nicht nur ungerecht. Sie ist auch teuer - und funktioniert nicht. Menschenrechtsorganisationen rufen zur Wende in der Asylpolitik auf.
Einen Tag vor dem neuen Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern haben Menschenrechtsorganisationen und Paritätischer Wohlfahrtsverband zu einem radikalen Systemwechsel in der deutschen und europäischen Asylpolitik aufgerufen. Deren Abschreckungsstrategie sei weder humanitär vertretbar, noch führe sie zum angestrebten Ziel, erklärten Amnesty International, Pro Asyl und der Paritätische Gesamtverband in einer gemeinsamen Pressekonferenz. Sie forderten die von den Grünen mitregierten Länder auf, dem im Innenministerium geplanten Gesetz mit weiteren Verschärfungen die Zustimmung im Bundesrat zu verweigern.
Lieber unsichere Herkunftsländer feststellen als sichere
Deutschland baue durch administrative „Schikanen“ gegen Asylsuchende „Bürokratie auf statt ab“, sagte der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt. Zehn bis 20 Prozent von ihnen wären etwa viel kostengünstiger versorgt, wenn man sie nicht lange in Erstaufnahmeeinrichtungen kaserniere, sondern sie zu ihren Verwandten und Freunden lasse. Selbst die geplante Gesundheitskarte, die Verwaltungsaufwand einspare, weil nicht mehr jeder Arztbesuch vom Ja einer Behörde abhängig sei, wollten einige Länder nicht einführen. Wiebke Judith von Amnesty International nannte als Beispiel den Stau unbearbeiteter Asylanträge im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: „Wer hier entschlacken will, sollte nicht auf sogenannte sichere Herkunftsländer setzen, sondern besser Länder mit klar kritischer Lage definieren.“ So könne man, ergänzte Burkhardt, etwa Eritreern und Flüchtlingen aus Syrien ohne lange Verfahren rasch einen Aufenthaltstitel gewähren. Judith sagte, die als sicher geltenden Balkanstaaten hätten „im August gar keine Rolle mehr“ gespielt, dennoch sei der Stau geblieben.
"Bürokratie und Abschreckung hängen zusammen"
Harald Löhlein, Leiter der Migrationsabteilung des Paritätischen Gesamtverbands, verwies auf die Aussperrung von Flüchtlingen vom Arbeitsmarkt. Deshalb sei es positiv, dass die Regierung jetzt Möglichkeiten dafür schaffe, dass die Bundesagentur für Arbeit sich früher um sie kümmere. Es bleibe aber beim Arbeitsverbot, solange Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen wohnten, und für Geduldete gelte es weiter unbegrenzt. Die Regierung habe auch die Chance vertan, die Vorrangprüfung ganz abzuschaffen. Sie besagt, dass eine Asylbewerberin oder ein -bewerber erst eingestellt werden darf, wenn es keine Kandidaten mit EU-Pass gibt.
Auch das Deutsche Institut für Menschenrechte sieht Deutschlands Migrationspolitik nach wie vor durch selbst gemachte Bürokratie gelähmt. Der Asylexperte des Instituts Hendrik Cremer nannte im Gespräch mit dem Tagesspiegel ein Berliner Beispiel. Wenn abends und an Wochenenden das Lageso geschlossen sei, müsse die Polizei sich um Asylsuchende kümmern. Sie bleibe dabei aber Polizei und leite aufwendig Verfahren wegen illegalen Grenzübertritts ein die dann im Sande verliefen: „Es gibt einen Zusammenhang zwischen Restriktionen für Flüchtlinge und bürokratischem Mehraufwand.“
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