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Der Bürgermeister von Nizza, Philippe Pradal.
© Promo/Ville de Nice

Anschlag in Berlin: Bürgermeister von Nizza: "Wir stehen bereit, um Berlin zu helfen"

Wer den Weihnachtsmarkt in Nizza besuchen will, muss erst durch eine Sicherheitsschleuse. Im Interview erklärt der Bürgermeister von Nizza: "Wir befinden uns im Krieg".

Herr Pradal, wie haben Sie als Bürgermeister von Nizza reagiert, als Sie von den zahlreichen Toten auf dem Berliner Weihnachtsmarkt gehört haben?

Ich habe sofort Mitgefühl empfunden. Mein erster Impuls war, dies die Familien der Opfer und die Behörden in Berlin auch wissen zu lassen. Angesichts der Vorgehensweise und dem Ort – einem Weihnachtsmarkt – haben wir in Nizza sofort gedacht, dass es sich hier wahrscheinlich um einen Terroranschlag handelt, der viele Gemeinsamkeiten mit dem Attentat in unserer Stadt am 14. Juli aufweist.

Am französischen Nationalfeiertag raste ein Lkw-Fahrer auf der Strandpromenade in eine Menschenmenge und tötete 86 Menschen. Wie geht eine Stadt wie Nizza oder Berlin unmittelbar nach einem Anschlag am besten mit so einem traumatischen Ereignis um?

In den ersten Stunden geht es darum, dass man sich um die Opfer kümmern muss. Die Hilfe für die Opfer ist es, die eine Gemeinschaft wahrscheinlich am besten zusammenhält. Durch die unmittelbare Hilfe für die Betroffenen lassen sich noch am ehesten unangebrachte Reaktionen wie Hass und Wut verhindern, die möglicherweise die Falschen treffen. Noch in der Nacht zum 15. Juli, also unmittelbar nach dem Anschlag auf der Promenade des Anglais, haben wir all unsere Bemühungen auf die Opfer konzentriert.

Das gilt auch für diejenigen, die nur indirekt Opfer geworden sind – entweder weil sie Zeugen waren oder weil sie darüber nachgrübelten, dass auch sie an jenem verhängnisvollen Abend auf der Promenade des Anglais hätten sein können. Es gibt zwei Dinge, die nach so einem Ereignis ganz wichtig sind: Man muss sich um die Betroffenen kümmern und gleichzeitig auf nichts verzichten, was unseren Lebensstil ausmacht. Das hilft uns, seit dem 14. Juli weiter zu bestehen.

Welche Rolle spielte damals für Sie die Welle der internationalen Solidarität, die seinerzeit nach dem Anschlag vom 14. Juli sichtbar wurde?

Wir haben damals aus der gesamten Welt Unterstützung erfahren, die uns sehr geholfen hat. Jetzt bin ich an diesem Dienstagmorgen gerade dabei, eine Botschaft an den Regierenden Bürgermeister von Berlin zu verfassen. Wir stehen bereit, um Berlin bei dieser schwierigen Prüfung zu helfen.

Auch in Nizza gibt es einen Weihnachtsmarkt. Wie wird er geschützt?

Schon im vergangenen Jahr mussten wir den Weihnachtsmarkt in Nizza verlegen, weil wir unmittelbar nach der Anschlagsserie in Paris vom 13. November erhöhte Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen hatten. Der Markt findet jetzt in einem Park statt, der mit Gittern gesichert ist. Wer auf den Markt will, muss durch eine Sicherheitsschleuse. An den Eingängen werden die Besucher durchsucht. Es gibt eine starke Präsenz der örtlichen und nationalen Polizei. Wir wollen an solchen Weihnachtsmärkten festhalten, weil sie zu unserem kulturellen Erbe gehören. Unsere Feinde wollen diese Kultur zerstören. Damit das nicht gelingt, müssen wir die Sicherheitsmaßnahmen an die bestehende Bedrohung anpassen.

Einige Tage Tage nach dem Anschlag in Nizza hat sich ein dschihadistischer Hintergrund für die Todesfahrt auf der Promenade des Anglais bestätigt. Wie haben Sie darauf reagiert?

Wir befinden uns im Krieg. Diesen Krieg haben wir nicht gewollt. Er wurde uns von Leuten erklärt, die symbolträchtige Orte treffen wollen – wie den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche in Berlin. Irgendwann muss Europa begreifen: Wir gewinnen nicht den Krieg mit den Gesetzen des Friedens. Das heißt: Die Kontrollen bei der Einreise in die Europäische Union müssen verschärft werden.

Wie lässt sich verhindern, dass sich nach Gewalttaten wie in Nizza das gesellschaftliche Klima zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen verschlechtert?

Es dauert lange, bis sich eine Stadt von einem Anschlag wieder erholt. In Nizza sind wir immer noch dabei, mit den Folgen fertig zu werden. Man darf nicht vergessen, dass die Traumabewältigung auch mit einer ganz individuellen Betreuung der betroffenen Einzelpersonen verbunden ist. Das heißt aber nicht, dass man nichts machen kann, so lange die Narben des Anschlags buchstäblich noch nicht verheilt sind.

Was die Aussöhnung zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen angeht, so muss man zunächst bedenken, dass die Religionsgemeinschaften grundsätzlich in Frankreich eine geringere Rolle spielen als in Deutschland. Der Dialog der Religionen erfordert in jedem Fall Mut zur Wahrheit: Die Mehrheit unter den Muslimen ist angewidert von den Terrorakten. Deshalb verbieten sich Pauschalurteile gegen Muslime.

Aber zur Wahrheit gehört auch, dass wir Feinde haben, die uns den Krieg erklärt haben – im Namen eines fehlgeleiteten Islam. Wir haben uns sehr intensiv mit den Religionsvertretern des Christentums, des Islam und den Judentums auseinandergesetzt, damit sie in ihren jeweiligen Gemeinschaften die Botschaft der Toleranz verbreiten. Es sind die muslimischen Religionsvertreter, die sagen müssen: Im wahren Islam steht nichts davon, andere blindwütig zu töten. All diejenigen, die den Hass predigen, sind Lügner.

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