Bundeswehr-Einsatz gegen IS: Bundeswehrfregatte "Augsburg" jetzt unter französischem Kommando
Im Kampf gegen den IS wurde in der Nacht die Fregatte „Augsburg“ dem Einsatzkommando der Franzosen unterstellt. Erste Tornado-Jets sollen kommende Woche von Jagel starten. Sie sind bei der Nato wegen ihrer hochauflösenden Bilder begehrt. Für die deutschen Piloten ist der Einsatz nicht ungefährlich.
Manchmal stoßen die Experten der Bundeswehr auf kleine Wunder, wenn sie die schwarz-weißen Aufklärungsbilder der Tornado-Jets genauer unter die Lupe nehmen. Im Bergland bei Kundus waren es 2007 rasant wachsende Büsche, die die Auswerter stutzen ließen: Binnen zwei Tagen waren die Pflanzen aus dem Boden geschossen. Die Überprüfung ergab, dass Schmuggler mit dem Gestrüpp ein Versteck tarnten. Ab Januar werden die deutschen Tornados über dem Bürgerkriegsland Syrien unterwegs sein und hochauflösende Bilder im Kampf gegen die sogenannte Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) liefern. Die ersten Jets sollen bereits kommende Woche vom schleswig-holsteinischen Fliegerhorst Jagel aus zu ihrer Einsatz-Basis starten, dem türkischen Stützpunkt Incirlik.
Ausgerüstet sind die Maschinen mit einer Wärmebild- und einer optischen Kamera, die in einem gut zwei Meter langen und rund 200 Kilogramm schweren, zigarrenförmigen Behälter unter den Bauch der Jets montiert sind. Wonach sie suchen sollen, bestimmt das Hauptquartier der US-geführten Anti-IS-Koalition in Katar: Es weist den Piloten ein Zielgebiet und einen Auftrag zu. "Wie viele Menschen halten sich in einem Dorf auf? Sind sie bewaffnet? Ist eine Brücke noch befahrbar? Wird eine Einrichtung noch geschützt?" nennt einer der Auswerter in Jagel Aufträge, die auf die deutschen Soldaten zukommen könnten. Die Tornados könnten zudem den Auftrag erhalten, um nach dem Überflug einer Drohne detailliertere Aufnahmen von einem bestimmten Ort zu machen, Informationen aus anderen Quellen zu überprüfen oder festzustellen, ob ein Luftangriff sein Ziel zerstört habe.
"Eine Drohne alleine kann das nicht erledigen"
Der Mehrwert der deutschen Bilder für den Einsatz liegt dabei nach Aussage der Soldaten in ihrer Qualität, die derzeit kein anderer Staat liefern kann. Das Geheimnis bestehe im Zusammenspiel erfahrener Auswertungsteams mit einer sehr guten Technik. "Unsere Auswerter sind Nato-weit bekannt und begehrt, sie haben ihr Können schon damals in Jugoslawien unter Beweis gestellt", sagt einer der Soldaten. Eine Drohne könne diese Arbeit nicht so erledigen. Die unbemannten Fluggeräte hätten zwar eine lange Stehzeit in der Luft, seien aber meist nur mit Filmkameras unterwegs. Fotos lieferten dagegen eine viel bessere Auflösung.
Dies sei unter anderem deshalb wichtig, um zivile Opfer bei Luftangriffen zu vermeiden, sagt ein anderer Experte. Schließlich werden auch die deutschen Bilder die Grundlage für Bombenangriffe bilden. Drohnen seien träge, langsam und könnten leichter abgeschossen werden. Zudem erledigten Drohnen und Aufklärungsjets grundsätzlich unterschiedliche Aufgaben: Drohnen kämen oft zum Einsatz, wenn es darum gehe, rasch Informationen über ein möglicherweise auch bewegliches Ziel für einen Luftangriff zu beschaffen. Ein Ziel dagegen wenige Minuten vor dem Angriff mit einem Jet aufzuklären, mache wenig Sinn. "Das ist ungefähr so, als würde man den Einsatz eines SEKs per Post ankündigen", sagt der Experte, der nicht namentlich genannt werden möchte.
Der Auftrag der Bundeswehr dagegen laute, ein Lagebild zu erstellen und Hauptquartiere, Munitionsdepots und Waffenlager oder IS-Stellungen in Syrien und dem Nordirak zu finden. Auch über ein Jahr nach dem Beginn der Luftangriffe der Anti-IS-Koalition gebe es dabei noch genügend Ziele aufzuklären, betont der Fachmann. Schließlich müssten die Extremisten nach Treffern ihre Positionen verlegen oder neu aufbauen - und allein die Front im Nordirak sei gut 1000 Kilometer lang.
"Wir bilden eine sehr, sehr sinnvolle Ergänzung zu den bereits vorhandenen Aufklärungssystemen", sagt auch der Kommodore des Geschwaders in Jagel, Oberst Michael Krah. "Gerade mit unseren Tornados können wir wirklich hoch detaillierte Bilder von sehr großen Flächen in sehr kurzer Zeit zur Verfügung stellen. Das ist eine Fähigkeit, die so vor Ort noch nicht da ist." Wie hoch die Tornados über Syrien fliegen werden, will in Jagel niemand verraten. Die übliche Flughöhe liege aber bei 15.000 bis 20.000 Fuß, also 4500 bis 6000 Metern.
Um sicherzustellen, dass die deutschen Bilder tatsächlich nur zum Kampf gegen den IS und nicht für andere Zwecke eingesetzt werden, wird bis Januar auch ein deutscher Oberst in Katar Quartier beziehen. Er entscheidet dann zunächst darüber, ob die Aufklärungsaufträge dem Bundestagsmandat entsprechen - und später, ob die Bilder weitergegeben werden können. So soll ausgeschlossen werden, dass etwa die türkische Luftwaffe mit Hilfe deutscher Aufklärungsbilder Stellungen der Kurden bombardiert.
Die Bedrohung ist klein - aber real
Für die deutschen Piloten und ihre Waffensystemoffiziere ist der Einsatz nicht ungefährlich. "Die Bedrohung ist vorhanden, die ist real", sagt Krah. "Wir wissen, dass der Islamische Staat durchaus über Mittel verfügt, um gegen Luftfahrzeuge vorzugehen." Darauf seien die Soldaten aber vorbereitet. "Unsere Sensorik erlaubt ja gerade in Höhen zu fliegen, dass wir uns dieser Bedrohung nur minimal aussetzen."
Die größte Gefahr für die deutschen Jets geht in niedriger Flughöhe nach den Worten des Piloten Alexander S. von Kämpfern mit Maschinengewehren und sogenannten Manpads aus, Luftabwehr-Raketen, die von der Schulter aus abgefeuert werden. "Wir werden unsere Einsatzprofile so planen, dass wir dieser Bedrohung aus dem Weg gehen", erklärt er dazu. Außerdem soll der IS nach Aussage von Experten über einige erbeutete Flugabwehrkanonen verfügen. Sollte ein deutscher Tornado abgeschossen werden oder abstürzen, sind US-Soldaten der Anti-IS-Koalition für die Rettung der Besatzung zuständig.
Zur Abwehr von Angriffen werden die deutschen Tornados ihre Einsätze bewaffnet fliegen. Die Jets besitzen jeweils zwei Bordkanonen am Bug, also Maschinengewehre mit einem großen Kaliber von 27 Millimeter. Sie können gegen Angriffe vom Boden ebenso eingesetzt werden wie gegen Flugzeuge. An den Flügeln tragen die Jets zudem Luft-Luft-Raketen, wie sie die deutschen Piloten inzwischen auch bei Überwachungsflügen über dem Baltikum mitführen. Ob diese Waffen als Abschreckung für russische oder syrische Kampfjets gedacht sind, will in Jagel niemand so konkret sagen. Die Raketen würden mitgenommen "aus dem reinen Selbstverständnis, dass wir für alle Eventualitäten vorbereitet sind", sagt der Pilot Alexander S.
Von der syrischen Armee droht den Kampfflugzeugen der Anti-IS-Koalition allerdings wohl keine Gefahr. Es ist zumindest auffällig, dass die Anti-IS-Koalition dort seit einem Jahr Luftangriffe fliegt, ohne dass es zu Zwischenfällen oder gar Abschüssen kam. In Jagel herrscht auf Fragen, ob es eine wie auch immer geartete Abstimmung gebe, lautes Schweigen. "Es findet Deconflicting statt", heißt es anderswo lapidar in Militärkreisen. Details dazu gibt es nicht. Der Begriff "Deconflicting" beschreibt gewöhnlich die gegenseitige Information über Flugrouten, um Zwischenfälle zu vermeiden.
Es werden mehr Soldaten gefordert
Sorge, dass die Bundeswehr den Einsatz angesichts massiver Material-Probleme nach jahrelangen Einsparungen nicht stemmen könnte, hat der Kommodore nicht. "Die Bundeswehr schafft das, die Luftwaffe schafft das", betont Krah. Es seien ausreichend Tornados einsatzbereit, um die Mission auch über längere Zeit durchzuhalten.
Die Alarmsignale sind allerdings da - und sie werden mit jedem Einsatz lauter. So waren von den insgesamt 93 Tornado-Jets der Bundeswehr im vergangenen Jahr nach einem internen Bericht durchschnittlich nur 29 Maschinen einsatzbereit. Und auch die Marine muss inzwischen zusammenkratzen, was sie hat, um noch Schiffe in die immer neuen Einsätze schicken zu können. Die Fregatte "Augsburg" etwa, die als Geleitschutz in ein paar Tagen den französischen Flugzeugträger "Charles de Gaulle" in den Persischen Golf begleiten soll, war bisher im Mittelmeer zur Flüchtlingsrettung unterwegs. Diese Aufgabe übernimmt nun das Minenjagdboot "Weilheim". Die „Augsburg“ wurde in der Nacht zum Sonntag dem Einsatzkommando der Franzosen unterstellt worden. Wie ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in Potsdam mitteilte, traf die Fregatte mit 230 Soldaten an Bord im südöstlichen Mittelmeer ein. Dort schloss sie sich dem Verband unter Führung des französischen Flugzeugträgers „Charles de Gaulle“ an. Von der „Charles de Gaulle“ aus will Frankreich Luftangriffe gegen den IS fliegen. Dazu soll der Flugzeugträger durch den Suezkanal ins Arabische Meer verlegt werden.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist offenbar bewusst, dass die zuletzt deutlich zunehmende Zahl der Einsätze die Truppe irgendwann überstrapazieren könnte. Sie erwägt inzwischen sogar eine Aufstockung der Soldaten. Es wäre eine Trendumkehr nach Jahrzehnten des Truppenabbaus im Gefolge des Falls des Eisernen Vorhangs. Wenn weiter so hohe Anforderungen an die deutschen Streitkräfte gestellt würden, müsse man unter Umständen offen für ein Nachsteuern bei der Personalstärke sein, sagte die Ministerin erst am Donnerstag in Berlin.
Gabriel warnt Saudi-Arabien vor Finanzierung von Extremismus
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat Saudi-Arabien davor gewarnt, religiösen Extremismus in Deutschland zu unterstützen. „Aus Saudi-Arabien werden überall in der Welt wahabitische Moscheen finanziert. Aus diesen Gemeinden kommen in Deutschland viele islamistische Gefährder“, sagte der SPD-Chef der „Bild am Sonntag“. Man sei zur Lösung der regionalen Konflikte zwar auf Saudi-Arabien angewiesen. „Wir müssen den Saudis aber zugleich klarmachen, dass die Zeit des Wegschauens vorbei ist.“
Gegen radikale Moscheen in Deutschland fordert Gabriel ein hartes Vorgehen: „Dieser radikale Fundamentalismus, der sich in salafistischen Moscheen abspielt, ist nicht minder gefährlich als der Rechtsradikalismus“, sagte er. Der Staat müsse eingreifen, sobald zu Gewalt und Menschenhass aufgerufen werde. „Wir müssen bei den Salafisten den gleichen Maßstab anlegen wie bei rechtsradikalen Gewalttätern.“
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann warnte vor der Ausbreitung des Wahabismus in Deutschland. Mit Blick auf eine mögliche Finanzierung von Moscheen durch Saudi-Arabien sagte er der „Welt am Sonntag“, er halte „eine genaue Beobachtung dieser Bestrebungen durch den Verfassungsschutz“ für notwendig.
Der Wahabismus liefere unter anderem die „komplette Ideologie“ für die Terrormiliz IS und trage auch in anderen Ländern zur Radikalisierung moderater Muslime bei, so der SPD-Politiker. „So etwas brauchen und wollen wir in Deutschland nicht.“ In Saudi-Arabien ist der sunnitische Wahabismus Staatsreligion.
Bundespräsident Joachim Gauck hat seine zweitägige Israelreise am Sonntag mit einem Arbeitsfrühstück bei Premier Benjamin Netanjahu fortgesetzt. Dabei dürften beide Politiker in Jerusalem auch über die Bedrohung durch die Terrormiliz und den Nahost-Friedensprozess sprechen. (Sabine Siebold/Reuters sowie dpa)