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Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Stimmkarte in der Hand bei der namentlichen Abstimmung zum neunen Infektionsschutzgesetz und Bevölkerungsschutzgesetz.
© imago images/Political-Moments

Proteste und Ausschreitungen vor dem Parlament: Bundestag stimmt für Bundes-Notbremse gegen Corona

Die dritte Corona-Welle rollt über Deutschland. Neue Regelungen sollen sie nun bremsen. Während der Parlamentsdebatte kommt es draußen zu Ausschreitungen.

Der Bundestag hat am Mittwoch eine bundeseinheitliche Notbremse gegen die dritte Corona-Welle beschlossen. Mit der entsprechenden Änderung des Infektionsschutzgesetzes rücken Ausgangsbeschränkungen ab 22 Uhr und weitere Schritte zur Vermeidung von Kontakten näher.

In namentlicher Abstimmung votierten 342 Abgeordnete für das Gesetz. Es gab 250 Nein-Stimmen und 64 Enthaltungen. Zuvor hatten in zweiter Lesung die Fraktionen von Union und SPD dafür gestimmt. AfD, FDP und Linke stimmten gegen das Gesetz. Die Grünen hatten sich enthalten.

Die Notbremse soll bundesweit verbindliche Regeln für schärfere Corona-Gegenmaßnahmen festlegen. In Kreisen oder Städten mit hohen Infektionszahlen sollen weitgehende Ausgangsbeschränkungen in der Nacht greifen. Auch ein Stopp von Präsenzunterricht und strengere Bestimmungen für Geschäfte sollen dem Eindämmen der Neuinfektionen dienen.

Die Vorschriften könnten frühestens ab Samstag greifen. Bevor das geschehen kann, müssen sie am Donnerstag noch den Bundesrat passieren. Zudem muss Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Gesetz noch unterzeichnen, und es muss noch verkündet werden.

Die Maßnahmen sind bis 30. Juni befristet. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass spätestens dann die Pandemie durch die Impfungen stark zurückgedrängt ist. Dem Beschluss ging ein verbaler Schlagabtausch im Plenum voraus.

FDP-Chef Lindner kündigt Verfassungsbeschwerde an

FDP-Partei- und Fraktionschef Christian Lindner hat eine Verfassungsbeschwerde gegen die Novelle des Infektionsschutzgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt. „Wir sehen die Regeln zur Ausgangssperre verfassungsrechtlich unverändert als hoch problematisch an“, sagte er am Mittwoch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Die Regelung zur Ausgangssperre sei „nicht notwendig zur Bekämpfung der Pandemie, aber dennoch ein Grundrechtseingriff“, sagte Lindner. Außerdem fehle im Gesetz die Unterscheidung zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften.

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Der FDP-Chef fügte hinzu, dass seine Fraktion auch politische Bedenken gegen das Gesetz habe. Dazu zählten die aus Sicht der Liberalen „falschen Schulschließungen ab einer Corona-Inzidenz von 165 und die alleinige Abstützung der Maßnahmen auf den Wert der Neuinfektionen“. Diese Einwände seien jedoch rein politischer Natur und nicht justiziabel.

Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, sagte den RND-Zeitungen, eine große Zahl von FDP-Abgeordneten werde jeweils für sich „in den nächsten Wochen Verfassungsbeschwerde“ einlegen. Die Fraktion insgesamt dürfe dies nicht, weil für eine Normenkontrollklage ein Viertel der Abgeordneten erforderlich sei. Das Quorum verfehle die FDP.

Die FDP-Bundestagsfraktion erklärte auf Twitter: „Unsere Abgeordneten werden gegen die pauschalen Ausgangsperren in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde einreichen.“

Deutsche Gewerkschaftsbund begrüßt Aufforderung der Arbeitgeber

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßt, dass mit dem neuen Infektionsschutzgesetz Arbeitnehmer künftig aufgefordert sind, ein Angebot ihres Arbeitgebers für Arbeiten von zu Hause auch anzunehmen. „Klar muss allerdings sein: Niemand darf gezwungen werden, im Homeoffice zu arbeiten“, sagt DGB-Chef Reiner Hoffmann. „Dass das Arbeiten von zu Hause aus nicht möglich ist, muss als Zuruf ausreichen. Es dürfen keine Sanktionen drohen, wenn die Gründe von den Beschäftigten nicht genannt werden.“

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) kritisiert die beschlossene Bundes-Notbremse als „unzulänglich“. Eine Verständigung auf bundesweit einheitliche Kriterien sei zwar richtig – aber es bleibe problematisch, dass einzig die Inzidenz im betreffenden Landkreis entscheidend sei, erklärt Verbands-Präsident Hans Peter Wollseifer.

Einige Regelungen müssten per Bundesverordnung „unbedingt korrigiert“ werden: Auch Kosmetiksalons müssten wie Friseure und Fußpflege von den Schließungsvorgaben ausgenommen werden. Dem Kfz-Handwerk müsse die Öffnung der großflächigen Autohäuser erlaubt werden. Geöffnet bleiben müssten zudem Ladenlokale aller Handwerksbetriebe, die ihre Leistung nur bei geöffneten Geschäften erbringen könnten.

Zuvor hatten sich bereits Staats- und Verfassungsrechtler kritisch zum neuen Infektionsschutzgesetz und der darin verankerten Ausgangssperre geäußert. Nach ihrer Ansicht verstößt das Instrument der Ausgangssperre gegen das Grundgesetz.

8000 Menschen protestieren gegen Corona-Beschränkungen

Mehrere Tausend Menschen haben am Mittwoch im Berliner Regierungsviertel gegen die Corona-Beschränkungen demonstriert. Nach Angaben eines Polizeisprechers versammelten sich auf der Straße des 17. Juni in Spitzenzeiten rund 8000 Demonstranten.

Die Mehrzahl der Teilnehmer trug weder Mundschutz, noch hielten sich die Teilnehmer an den Mindestabstand. Deshalb wurde die bis 22 Uhr angemeldete Versammlung bereits gegen Mittag aufgelöst.

[Mehr zum Thema: Wolfgang Schäuble über die Corona-Demokratie (T+)]. 

Zur Begründung hieß es, ausschlaggebend seien die negativen Erfahrungen mit „Querdenker“-Versammlungen seit Oktober 2020. Deren „behauptete Rechtstreue sei ein bloßes Lippenbekenntnis“. Deshalb sei zu erwarten, dass die Antragsteller aufgrund ihrer offen gezeigten ablehnenden Haltung sowohl gegenüber staatlichen Infektionsschutzmaßnahmen und als auch versammlungsrechtlichen Beschränkungen gegenüber gerade nicht zuverlässig die Gewähr bieten würden, auf die Einhaltung der infektionsschutzrechtlichen Anforderungen effektiv hinzuwirken.

Nach Auflösung der Kundgebung drängte die Polizei die Demonstranten in den angrenzenden Tiergarten ab, wo sie sich erneut in großen Gruppen versammelten. Vereinzelt mussten Menschen weggetragen werden. Viele der Demonstranten blieben weitgehend friedlich, es kam aber auch zu massiven Widerstand und Gewalttaten gegen Polizisten.

Im Parkbereich vor dem Brandenburger Tor wurden Polizisten angegriffen, es flogen Steine, Flaschen und Äste. Einige der Gewalttäter hatten sich mit Taucherbrillen, Handschuhen und Gasmasken ausgerüstet. Die Polizei setzte Pfefferspray ein und nahm nach Angaben einer Sprecherin mehr als 100 Menschen fest. Drei Beamte wurden verletzt, es kam zudem laut Polizei zu einer versuchten Gefangenenbefreiung. (mit Agenturen)

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