Nach dem Fall Sami A.: Bund oder Länder: Wer soll Gefährder abschieben?
Nach dem Chaos im Fall Sami A. wird diskutiert, wie bei der Abschiebung von Gefährdern verfahren werden soll. Koalitionspolitiker fordern, dass der Bund mehr Verantwortung trägt.
Der Flieger mit dem Gefährder Sami A. war schon in der Luft, als bei der Ausländerbehörde am frühen Morgen ein Fax einging: Ein Gericht hatte am Vorabend verfügt, der mutmaßliche Ex-Leibwächter Osama bin Ladens dürfe gar nicht nach Tunesien abgeschoben werden. Doch die Information kam zu spät, die Abschiebung wurde nicht mehr abgebrochen, obwohl das Gericht das verlangte.
Der chaotische Fall führt in Deutschland zu einer erneuten Diskussion über den Umgang mit islamistischen Gefährdern – also mit Menschen, denen die Behörden schwere Straftaten bis hin zu Terroranschlägen zutrauen. Mehrere Innenpolitiker der Koalition fordern, die Zuständigkeit für deren Abschiebung solle Bundesangelegenheit werden.
Von den 776 von deutschen Sicherheitsbehörden erfassten Gefährdern sind etwa 100 ausreisepflichtig. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) müsse die Zuständigkeit für diese „nach Rücksprache mit den Bundesländern“ an sich ziehen, sagte der SPD-Politiker Burkhardt Lischka der „Welt“. „Dann hätten wir klare Verhältnisse und Verantwortlichkeiten.“ Der Bund habe „sicherlich mehr Gewicht als einzelne Bundesländer, wenn es um zügige Absprachen mit den betroffenen Herkunftsländern geht, in die Gefährder abgeschoben werden sollen.“ Ähnlich äußerte sich Armin Schuster von der CDU. „Viele Stellen an zu vielen Orten“ hätten mit dem Fall zu tun gehabt. Seehofer ist grundsätzlich offen für die Idee.
Welche Probleme gibt es derzeit bei der Abschiebung von Gefährdern?
Das Hauptproblem ist, dass oft keine gültigen Papiere vorliegen – und daher Alter, Identität und zuweilen nicht einmal die Nationalität sicher sind. Die Behörden müssen sich erst um die Klärung dieser Fragen kümmern. Denn solange das Herkunftsland ungeklärt ist, bleibt auch bei abgelehnten Asylbewerbern die Abschiebung ausgesetzt.
Um Passersatzpapiere aus den jeweiligen Herkunftsländern zu bekommen, müssen Mitarbeiter der Ausländerbehörden zur Botschaft des Landes nach Berlin oder in ein Konsulat fahren. Wenn auch die Identität geklärt ist, können Passersatzpapiere ausgestellt werden. Für die Mitarbeiter der Ausländerbehörden bedeutet das einen enormen Aufwand. Insgesamt gab es in Deutschland Ende 2017 rund 65.000 Migranten, die nicht abgeschoben werden konnten, weil keine Reisedokumente oder Passersatzpapiere vorlagen.
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Oft mangelt es aber auch an der Mitwirkungsbereitschaft der Herkunftsstaaten. Viele Algerier, Marokkaner, Tunesier und Libyer werden wegen fehlender Passersatzpapiere nicht zurückgeführt. Zum Teil gibt es nur wenige Termine bei der Botschaft, teilweise nehmen die Staaten keine oder nur eine begrenzte Anzahl von Menschen zurück. Besonders schlecht ist die Bereitschaft, Straftäter zurückzunehmen oder Gefährder.
Doch auch, wenn das Herkunftsland mit der Rücknahme einverstanden ist, scheitern viele Abschiebungen. Schätzungen zufolge kommt etwa die Hälfte der Abschiebungen nicht zustande, weil der abgelehnte Asylbewerber nicht anzutreffen oder untergetaucht ist.
Welche Erfahrungen hat Berlin mit der Abschiebung von Gefährdern gemacht?
Seit 2015 hat Berlin kein eigenes Abschiebegefängnis mehr: Aus Sicherheitsgründen wurde die Haftanstalt in Grünau geschlossen. Nun soll in Lichtenrade ein altes Jugendgefängnis als Abschiebehaftanstalt für Gefährder umgebaut werden. Ab 2019 sollen dort bis zu zehn Gefährder auf ihre Abschiebung warten. 2017 waren unter den 1638 zurückgeführten Menschen fünf als islamistische Gefährder eingestufte Personen.
In Berlin werden der Innenverwaltung zufolge derzeit islamistische Gefährder im oberen zweistelligen Bereich gezählt. Die Zahl unterliegt aber Schwankungen. Etwa die Hälfte dieser Personen verfügt ausschließlich über die deutsche Staatsangehörigkeit. Die übrigen haben teils neben der deutschen die Staatsangehörigkeit Syriens, der Türkei, des Iraks oder eine von fünf weiteren Staaten. Bei anderen ist die Staatsangehörigkeit ungeklärt.
Wie wird in Berlin die Verantwortungsverschiebung auf den Bund gesehen?
Die Debatte wird vor allem im Amri-Untersuchungsausschuss geführt. Der Attentäter Anis Amri reiste mit 14 Identitäten quer durch Deutschland. Die Sicherheitsbehörden hatten ihn schon Ende 2015 im Visier, besonders in NRW hielt man ihn für sehr gefährlich. Das Bundeskriminalamt (BKA) zog aber die Zuständigkeit nicht an sich, weil es bei Einzelpersonen das jeweilige Landeskriminalamt in der Pflicht sieht, wie ein BKA-Beamter im Ausschuss berichtete.
Der SPD-Innenpolitiker Frank Zimmermann fordert eine rechtliche Überprüfung, „ob der Bund nicht stärker in die Verantwortung gehen muss“. Auch der Berliner Innensenator Andreas Geisel ist dafür. CDU-Fraktionschef Burkard Dregger kann sich „bei reisenden Gefährdern“ eine Übernahme durch den Bund“ bei der Abschiebung vorstellen. Der frühere Untersuchungsausschuss-Vorsitzende warnte aber vor Schnellschüssen.
Auch der Berliner Grünen-Politiker Benedikt Lux will den Bund stärker beim Umgang mit Gefährdern einbeziehen. „Er ist professioneller aufgestellt und hat bessere Kontakte zu ausländischen Diensten.“ Und gerade diese seien bei Abschiebungen wichtig. FDP-Innenpolitiker Marcel Luthe lehnt die Forderung dagegen ab. „Abschiebung ist Ländersache. Das geht den Bund nichts an.“ Die Verantwortung dafür trage der jeweilige Innenminister.
Wie sieht das die Opposition im Bundestag?
Während die AfD den Vorstoß grundsätzlich begrüßt, halten Grüne und Linke wenig davon. Die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic glaubt, die Zuständigkeit für die Abschiebung von Gefährdern auf den Bund zu verschieben, wird in der Praxis wenig Wirkung zeigen. „Es ist vielmehr fragwürdig, ob rechtsstaatliche und sachgerechte Verfahren gewährleistet bleiben, wenn nicht mehr die Ausländerbehörden vor Ort die Fälle prüfen“, sagte sie dem Tagesspiegel. Es brauche vor allem Rücknahmeabkommen mit den Herkunftsländern. „Das ist eine Bringschuld und die hat der Bund noch nicht eingelöst.“
Mihalic ist auch wegen der Rolle von Bundesinnenminister Seehofer skeptisch. „Wenn Seehofer die Hoheit für die Abschiebung von Gefährdern hat, wird er sie nutzen, um politische Exempel zu statuieren. Damit wird er dem Rechtsstaat einen Bärendienst erweisen.“ Damit spielt sie auf den Fall Sami A. an.
Wie geht es im Fall Sami A. weiter?
Ob im Fall Sami A. eine Zuständigkeit des Bundes geholfen hätte, ist unklar. Der Knackpunkt war, dass er abgeschoben wurde, als noch ein Gerichtsverfahren anhängig war. Das Oberverwaltungsgericht Münster muss sich nun mit der Frage beschäftigen, ob er zurückgeholt werden muss. Am morgigen Freitag wird außerdem der Rechtsausschuss im Landtag in Nordrhein-Westfalen zu einer Sondersitzung zu dem Fall zusammenkommen.
Auch die Opposition im Bundestag sieht Aufklärungsbedarf. „Wir müssen zwingend klären, ob Seehofer direkt oder indirekt politischen Druck auf die Behörden ausgeübt hat, Sami A. trotz der ausstehenden Gerichtsentscheidung abzuschieben“, sagt Mihalic. Fraglich sei auch, ob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) von dem geplanten Abschiebetermin wusste und ihn dem Gericht nicht mitgeteilt habe.
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