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Qualität oder minderwertige Ware? Ohne Atemschutzmasken geht in den Arztpraxen nichts.
© Fred Dufour/AFP

Ärger bei Kassenärztlichen Vereinigungen: Bund lieferte defekte Atemmasken für Arztpraxen

Der Bund hat den Kassenärztlichen Vereinigungen Hunderttausende defekter Atemmasken geliefert. Wie viele davon in Arztpraxen landeten, weiß keiner.

Die Lieferung war heiß ersehnt, es musste schnell gehen. Und weil die Atemschutzmasken nicht von dubiosen Zwischenhändlern, sondern direkt vom Bund kamen, leitete man sie gleich weiter an die niedergelassenen Ärzte. 

„Wir haben angenommen“, sagt Kai Sonntag, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Baden-Württemberg, „dass vonseiten des Bundes bereits eine Qualitätsprüfung erfolgt ist und haben keine weiteren Prüfungen veranlasst.“

Ein Fehler, wie sich im Nachhinein herausstellte. Denn möglicherweise erhielten die niedergelassenen Mediziner in Baden-Württemberg auf diese Weise auch schadhafte Masken, die gefährlich für sie und ihre Patienten sein können. 

Aktuell lagern bei der KV im Südwesten jedenfalls noch rund 48.000 Atemschutzmasken, für die es eine Produktwarnung der EU-Behörde für Verbraucherschutz gibt. Sie alle wurden vom Bund geliefert. Und bei der KV weiß bis heute keiner, ob und wie viele solcher fehlerhaften Masken in die Arztpraxen gegangen sind. Dokumentiert worden sei das damals leider „nicht im Einzelnen“, bedauert der Sprecher.

Rückrufaktion in Nordrhein-Westfalen

Etwas weiter nördlich das gleiche Problem. Bei rund 50.000 der vom Bund gelieferten Atemschutzmasken habe sich „im Nachhinein ein Qualitätsdefizit gezeigt“, berichtet Christopher Schneider von der KV Nordrhein. Zwar habe man die fehlerhafte Ware „zügig aussortieren“ können. 

Doch „in Teilen“ seien solche Masken chinesischer Hersteller, die nicht die Anforderungen der europäischen Norm EN 149 erfüllten, an Praxen, etwa in der Städteregion Aachen, ausgehändigt worden. Es gab einen Rückruf der Behörden mit der Aufforderung, die betroffenen Modelle der Hersteller Xin Neng Dian, Hong Quing und Daddybaby zu entsorgen. 

Die KV entschuldigte sich bei den Ärzten, teilte ihnen mit, über diese Panne „not amused“ zu sein – und versicherte, dass für alle von ihr selbst besorgten Masken Zertifizierungen vorlägen.

Ähnliche Berichte seien ihm auch aus anderen KVen bekannt, sagt der Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Roland Stahl, auf Anfrage. In den ersten Märzwochen habe sich China häufig als „Raubrittermarkt“ dargestellt. 

Die starke Nachfrage nach Masken habe „zu ziemlich abenteuerlichen Zuständen mit gefälschten Markennamen, Prüfzertifikaten, CE-Zeichen“ geführt, bestätigt Sonntag. Die KV Baden-Württemberg habe seit Beginn der Pandemie bereits „etwa eine halbe Million Masken wieder zurückgehen lassen, weil sie entweder keine oder nur eine eingeschränkte Schutzwirkung entfalten“. Man wisse aber nicht, wie viele Millionen dieser Masken im Umlauf seien.

Vier Auslieferungen mit schadhaften Masken

Auf Anfrage von Tagesspiegel Background bestätigt das Bundesgesundheitsministerium (BMG), dass man „trotz engmaschiger Qualitätsprüfung“ von vier Auslieferungen mit schadhaften Atemschutzmasken Kenntnis habe. Es handle sich bei den minderwertigen Produkten um eine „niedrige sechsstellige Zahl“. 

Angesichts von rund 400 Millionen verteilten Masken keine wirklich gewaltige Dimension. Und in den meisten Fällen habe sich herausgestellt, dass sich die betroffenen Produkte noch in den Lagern befanden und nicht an Ärzte und anderes medizinisches Personal geliefert worden seien. 

Die Höhe des entstandenen Schadens könne bislang nicht abgeschätzt werden, die Überprüfung möglicher Regressansprüche gegenüber den Lieferanten sei noch nicht abgeschlossen.

Doch wie konnte es überhaupt zur Weiterverteilung der schadhaften Masken durch den Bund kommen? Wurde nicht genügend kontrolliert, aus Zeitdruck heraus oder wegen Überforderung durch übergroße Liefermengen? Die Atemschutzmasken, die ein Logistikunternehmen im Auftrag des BMG an KVen und Bundesländer ausliefere, würden gleich „mehrfach auf Qualität überprüft“, versicherte ein Ministeriumssprecher. 

Gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und dem TÜV Nord habe man ein zweistufiges Verfahren zur Qualitätssicherung etabliert. Stufe 1 sehe die Vorort-Prüfung der Ware durch TÜV-Mitarbeiter vor der Verfrachtung an Flughäfen in China und in den Logistik-Lagern in Deutschland per Checkliste vor. Dabei erfolgten etwa Sicht- und Geruchstests.

Auch die Passform und das Vorhandensein der Filtervliese würden überprüft. Zudem gleiche man die Lieferanten mit einer Liste der in China lizenzierten Exporteure („Whitelist“) ab. Bis dato seien bereits etwa 1.800 solcher Prüfverfahren durchgeführt worden. In einer zweiten Stufe erfolgten dann noch Labortests, im Wesentlichen hinsichtlich der Filterleistung und des Atemwiderstandes. Auch davon habe es bereits etwa 1.000 gegeben.

Zusatzprüfungen auf Kosten des Bundes

Nach Bekanntwerden der Vorfälle habe man aus Sicherheitsgründen erneut eine Inventur der Produktprüfverfahren veranlasst, berichtet der Sprecher. „Um Fehler bei dem Auslieferungsprozess sehr großer Warenmengen auf ein Minimum zu beschränken, wurde zudem der Prozess vollständig überarbeitet.“ 

Im Auftrag des BMG überprüfe der TÜV Nord nun stichprobenartig die korrekte Auslieferung. Und das Ministerium habe den Kassenärztlichen Vereinigungen auch angeboten, auf Kosten des Bundes ergänzende Warenprüfungen zu veranlassen. Den Ländern stünden solche Zweitkontrollen ohnehin frei. Einzelne Länder führten diese Prüfungen auch durch.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

China habe ebenfalls die Ausfuhrregularien im April 2020 verschärft, um höhere Qualität der exportierten Schutzausrüstung sicherzustellen. Allerdings sei bekannt, dass „in relativ gleichbleibendem Maße“ etwa 20 Prozent der gelieferten Schutzmasken nicht den Norm-Anforderungen entspreche, die insbesondere bei FFP2-Masken sehr hoch seien. Solche Masken wären dann zwar oft dennoch als Mund-Nasen-Schutz für medizinisches Personal oder andere Nutzer verwendbar. Dennoch würden sie vom TÜV für die Auslieferung gesperrt.

Inzwischen habe sich aber die aktuelle Versorgungslage mit medizinischer Schutzausrüstung deutlich entspannt, berichtet das BMG. Sechs Kassenärztliche Vereinigungen und acht Länder hätten „zwischenzeitlich auf Lieferungen des Bundes ganz oder teilweise verzichtet und dies mit gedecktem Bedarf oder fehlender Lagerkapazität begründet“. Die Länder hätten in den meisten Fällen auch parallel Atemschutzmasken beschafft.

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