„Greenwashing“, „Hochrisikotechnologie“, „Irrweg“: Brüssel-Plan zu Akw und Gaswerken sorgt für Entsetzen
Braucht es in der EU neue Atomkraftwerke, um die Klimaziele zu erreichen? Deutsche Nachbarländer sagen „Ja“. In Deutschland sieht das ganz anders aus.
Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen hat mit Plänen zur indirekten Förderung moderner Atom- und Gaskraftwerke für Entsetzen bei Umweltschützern und Kernkraftgegnern gesorgt. Organisationen wie Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe warfen der Brüsseler Behörde am Wochenende vor, ein vollkommen falsches Signal zu setzen und ihre eigenen Klimaziele zu untergraben.
In Deutschland, das aus der Atomkraft aussteigt, gab es Aufregung vor allem wegen der Kommissionspläne, Investitionen für neue Atomkraftwerke oder Laufzeitverlängerungen unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich einzustufen. Die „Hochrisikotechnologie“ Atomenergie als nachhaltig zu etikettieren, sei falsch, kommentierte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Der Atommüll werde die EU über Jahrhunderte belasten.
Er nannte die Einstufung von Atomenergie ein „Greenwashing“ fügte aber hinzu: „Fraglich ist auch, fossiles Gas mit in die Taxonomie aufzunehmen.“
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Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) sagte: „Atomkraft ist zu riskant, zu teuer und zu langsam, um der Welt beim Klimaschutz zu helfen.“ Baden-Württembergs Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) nannte den Vorstoß der EU-Kommission energie- und klimapolitisch einen „absoluten Irrweg“. In Deutschland wurden zum Jahreswechsel die drei Atomkraftwerke in Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen stillgelegt. Die drei allerletzten deutschen Akw bei Landshut, im Emsland und bei Heilbronn sollen zum Jahresende folgen.
Das sehen die konkreten Pläne der EU-Kommission vor:
- Geplante Investitionen in neue Akw in Ländern wie Frankreich, Polen und den Niederlanden können als nachhaltig klassifiziert werden.
- Dafür müssen die Anlagen neuesten Technik-Standards entsprechen und ein konkreter Plan für eine Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle spätestens 2050 vorgelegt werden.
- Zudem soll Bedingung sein, dass die neuen Anlagen bis 2045 eine Baugenehmigung erhalten.
- Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen insbesondere auf Wunsch Deutschlands ebenfalls als nachhaltig eingestuft werden können.
- Dabei würde zum Beispiel relevant sein, wie viel Treibhausgase ausgestoßen werden und ob sich die Anlagen spätestens 2035 auch mit grünem Wasserstoff oder kohlenstoffarmem Gas betreiben lassen können.
- Die Einstufung von Wirtschaftstätigkeiten durch die EU-Kommission im Rahmen der sogenannten Taxonomie soll Anleger in die Lage versetzen, ihre Investitionen auf nachhaltigere Technologien und Unternehmen umzustellen.
Es wird damit gerechnet, dass die EU-Taxonomie weitreichende Auswirkungen hat, da sich als nachhaltig eingestufte Projekte deutlich leichter und günstiger finanzieren lassen dürften. Über den Umgang mit Atom- und Gaskraft wird bereits seit Monaten gestritten.
„Deutschland benötigt realistischerweise moderne Gaskraftwerke als Übergangstechnologie, weil wir auf Kohle und Kernkraft verzichten“, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner der „Süddeutschen Zeitung“. „Ich bin dankbar dafür, dass von der Kommission offenbar Argumente aufgegriffen wurden“, so der FDP-Chef. „Weitere Verbesserungen wären aus unserer Sicht denkbar.“ Zu den Plänen hinsichtlich der Atomenergie sagte er: Dass die Bundesregierung zum Thema Kernenergie eine andere Auffassung vertrete als die Kommission, sei bekannt.
Die EU-Mitgliedstaaten haben nun bis zum 12. Januar Zeit, den Entwurf zu kommentieren. Seine Umsetzung kann nach Angaben der EU-Kommission nur verhindert werden, wenn sich mindestens 20 EU-Staaten zusammenschließen, die mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten, oder mindestens 353 Abgeordnete im EU-Parlament.
Dies gilt allerdings als unwahrscheinlich, da sich neben Deutschland lediglich Länder wie Österreich, Luxemburg, Dänemark und Portugal klar gegen eine Aufnahme der Atomkraft aussprechen und auch eine ausreichend große Mehrheit gegen die geplanten Gasregeln nicht in Sicht ist.
Zumindest Österreich will allerdings nichts unversucht lassen, um den Vorstoß doch noch zu stoppen, und droht mit einem Gang vor den Europäischen Gerichtshof. „Sollten diese Pläne so umgesetzt werden, werden wir klagen“, kündigte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler an. Ausgangspunkt könnte dabei ein Rechtsgutachten sein, wonach Atomkraft laut der Taxonomie-Verordnung nicht den Anforderungen an eine nachhaltige Investition entspricht.
Ob sich Deutschland einer Klage anschließen würde, ist unterdessen fraglich. Habeck teilte am Wochenende lediglich mit: „Eine Zustimmung zu den neuen Vorschlägen der EU-Kommission sehen wir nicht.“ Von einem Engagement gegen den Kommissionsvorschlag war nicht die Rede. (dpa)