zum Hauptinhalt
Die Rekonstruktion von Schnipseln der Akten, die in tausensden Säcken lagern, kann jetzt starten.
© dpa
Exklusiv

Computerprogramm setzt Schnipsel zusammen: Brisante Stasi-Akten erstmals per Computer rekonstruiert

Zum ersten Mal sind geschredderte Unterlagen der Stasi per Computer wieder zusammengesetzt worden. Daraus geht hervor, welche Maßnahmen das Regime der DDR plante, um im Krisenfall an der Macht zu blieben. So war zum Beispiel vorgesehen, 2000 Oppositionelle sofort zu internieren.

Die Regierung in Ost-Berlin plante in den 1980er Jahren, als Polen von den Solidarnosc-Protesten erschüttert wurde, für den Krisenfall in der DDR drakonische Repressionsmaßnahmen. Prominente Oppositionelle wie das Ehepaar Poppe, Bärbel Bohley oder Wolfgang Templin sollten festgenommen und in Lager gesteckt werden. Das geht aus aufgefundenen Stasi-Notstandsplänen hervor.

Dem Fraunhofer Institut gelang nach jahrelanger Entwicklung der Durchbruch

Die von einem in jahrelanger Entwicklungsarbeit des Fraunhofer-Institut in Berlin von der Stasi nach dem Mauerfall zerrissenen Akten konnten nun erstmalig mit einem weltweit einmaligen Computerprogramm zusammengesetzt werden. Damit gelang dem Fraunhofer Institut nach jahrelanger Entwicklung ein Durchbruch.

Gleich die ersten Akten offenbaren Erstaunliches darüber, mit welchen drakonischen Mitteln die Stasi ihre schärfsten Gegner malträtieren wollte, um im Ernstfall ihre Macht zu retten: Sie dichtete den Intellektuellen Terrorplanungen an. Die Stasi-Mitarbeiter wollten nach dem Mauerfall diese Akten vernichten, doch die DDR-Reißwölfe machten schlapp. Die Akten konnten nur noch zerrissen werden. Nun rückt die schnelle Rekonstruktion der zerrissenen Geheimakten näher, die seit 1990 in tausenden Säcken lagern.

Jetzt gibt es Anfragen aus aller Welt

Aus aller Welt gibt es schon Anfragen. Nicht nur von Archiven, sondern auch von Polizei- und Finanzbehörden, die hoffen auf diese Weise mit der neuen Technologie geschreddertes Beweismaterial rekonstruieren zu können. Der Durchbruch ist überraschend, weil es lange nicht gut stand um das Pilotprojekt. Mal hakte das Programm und erkannte die Puzzleteile nicht richtig, mal war das Papier zu wellig, dann mangelte es an einem Hochleistungsscanner, der die Scans genügend auflöst. Der Bundestag musste zusätzliches Geld bewilligen, um das Projekt fortführen zu können. Mancher Abgeordnete zweifelte schon an der Seriosität des Projektes. Jetzt kommen die Geheimnisse an den Tag. Ein Projektteam am Fraunhofer Institut Berlin (IPK) hat Hard- und Software entwickelt und die Aktenteile elektronisch zusammensetzt. Das Ergebnis aus dem ersten Sack haben Archivare der Stasiunterlagenbehörde aufbereitet.

Die Funde zeigen die detaillierten Pläne für die Sicherheitsbehörden

Die Funde bestätigen nun, dass es für den Kriegs- und Spannungsfall detaillierte Pläne für Armee, Polizei und Arbeiterkampfgruppen gab. Das Ministerium für Staatssicherheit sollte die Staatsfeinde unschädlich machen. Das Rezept: Vorgesehen war eine verschärfte Überwachung von 10.000 Menschen und die sofortige Inhaftierung von knapp 2000 Oppositionellen. Der aktuelle Berliner Fund stammt von der Hauptabteilung XX/2, die im Ministerium für Staatssicherheit für Top-Oppositionelle in der DDR zuständig war. Mit riesigem Aufwand wurden sie unter den Codenamen "Ableger", "Zirkel", "Korn", "Ketzer"‚ "Pneumant", "Verräter" und "Wespen" überwacht – und schikaniert. Die Akten wurden jährlich aktualisiert.

Vor allem Gerd Poppe und Wolfgang Templin waren im Visier

Vor allem die Ostberliner Gerd Poppe und Wolfgang Templin standen im Fadenkreuz der Befürchtungen des MfS, weil sie angeblich versuchten, durch "Aktivitäten über die Massenmedien feindliche und negative Kräfte im Innern der DDR zu mobilisieren". Beide hatten Kontakt zu ostmitteleuropäischen Menschenrechtsgruppen und zu prominenten Grünen im Westen. Poppe und Templin gründeten später mit anderen Oppositionellen wie Bohley die Initiative Frieden und Menschenrechte.

Das alarmierte die Stasi. Daher sollten Gerd Poppe und sechs weitere namentlich benannte Personen 1981 im Spannungs- oder Kriegsfall festgenommen werden. Im Jahr 1982 waren Templin und Bohley mit anderen Personen aufgelistet, die "zur Verhinderung der von ihnen geplanten feindlichen Aktivitäten" zuzuführen waren.

Die Oppositionellen sollten interniert werden

Wenn eine "Isolierung" angeordnet war, war in der Stasi-Sprache eine Internierung in Lagern gemeint. Die Oppositionellen sollten in die "dazu zur Verfügung stehenden Unterbringungsräume" gebracht werden. Solche Lager waren in jedem Verwaltungsbezirk der DDR und auch für Ostberlin geplant. Neben den Inhaftierten sollte auch die zweite Reihe der Oppositionellen in Berlin im Krisenfall noch stärker beobachtet werden. Bei staatsfeindlichen Aktivitäten seien sie "zur Klärung eines Sachverhaltes zuzuführen", heißt es. Bei manchen Personen wie Poppes damaliger Ehefrau Ulrike war "die Bewegungsfreiheit (…) einzuschränken". Bei anderen sollte das Telefon abgeschaltet und mit ihnen ein "Vorbeugegespräch" geführt werden, um sie von "Aktivitäten" abzuhalten. Bei "Nichtbefolgung" der Vorhaltungen drohte ihnen ebenfalls eine "Isolierung" im Lager. Ziel war eine Einschränkung ihrer Kommunikationsmöglichkeiten.

Begründet wurden die Maßnahmen mit angeblichen Aufstandsplänen

Begründet wurden die drakonischen Maßnahmen mit angeblichen Aufstandsplänen. In der Wohnung der Familie Templin, dem "Zentrum der sog. Menschenrechtsgruppe" wurde dem MfS-Szenario 1985 zufolge "(...) beraten: Waffen, Munition zu beschaffen und Sprengmittel herzustellen". Daneben sei die "Bildung eines Kampfkommandos" vorgesehen gewesen. Gerd Poppe wurde Ähnliches angedichtet. Beiden Oppositionellen wurde unterstellt, "Listen über staatliche und Parteifunktionäre, insbesondere MfS-M, VP-Angehörige und Justiz für spätere Terrorakte" anzulegen.

Gerd Poppe: Besonders perfider Versuch der Kriminalisierung

Ganz offenkundig sollten mit solchen Stasi-Lügen die eigenen Leute "heiß" gemacht werden. "Das Übungsszenario ist völlig unsinnig, denn nie haben wir uns derart militant verhalten", sagt Gerd Poppe, jetzt erstmals mit diesen Zitaten konfrontiert: "Es ist ein besonders perfider Versuch der Kriminalisierung."

Noch während der friedlichen Revolution wurden die Pläne aktualisiert

Die Gefahr, dass die Stasi diese Notstands-Pläne anwenden würde, war bis zum Ende der DDR real. Während der friedlichen Revolution gab es von der Spitze des Ministeriums durchaus Weisungen, die Inhaftierungs- und Lagerplanungen ständig zu aktualisieren. Die sächsischen Massendemonstrationen und die Haltung der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow, verhinderten im Oktober 1989 die repressive LösungAuch das MfS plante zur der Zeit, als Polen hart gegen Solidarnosc-Oppositionelle vorhing, ähnliche Repressionsmaßnahmen für die DDR. (Mitarbeit Gerd Nowakowski)

Zur Startseite