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Steht für seinen Vorstoß zur Schuldenbremse in der Kritik: Kanzleramtschef Helge Braun.
© obs/SWR/tagesthemen

„Persönliche Meinung“ des Kanzleramtschefs: Braun will Schuldenbremse aussetzen – heftiger Protest aus eigenen Reihen

Die Unionsfraktion im Bundestag und auch CSU-Chef Söder wehren sich gegen den Vorstoß von Kanzleramtschef Braun (CDU). Lob kommt hingegen aus der SPD.

Überraschend hat Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) eine Abkehr von der Schuldenbremse für mehrere Jahre gefordert - und damit heftigen Protest von Parteikollegen ausgelöst. Braun plädierte in einem Beitrag für das "Handelsblatt dafür, "begrenzt für die kommenden Jahre einen verlässlichen degressiven Korridor für die Neuverschuldung" festzulegen. CSU-Chef Markus Söder warnte, dies wäre "ein falsches Signal", FDP-Chef Christian Lindner sprach von "finanzpolitischer Kapitulation".

"Die Schuldenbremse ist in den kommenden Jahren auch bei ansonsten strenger Ausgabendisziplin nicht einzuhalten", schrieb Braun im "Handelsblatt" vom Dienstag. Für 2020 und 2021 war eine Ausnahmeregelung genutzt worden, um dem Bund mehr Schulden als eigentlich zulässig zu ermöglichen - dies will der Kanzleramtschef aber nicht fortschreiben, weil so ein "Tor zur dauerhaften Aufweichung der Schuldenregel" geöffnet werde.

Stattdessen sei es sinnvoll, "eine Erholungsstrategie für die Wirtschaft in Deutschland mit einer Grundgesetzänderung zu verbinden, die begrenzt für die kommenden Jahre einen verlässlichen degressiven Korridor für die Neuverschuldung vorsieht und ein klares Datum für die Rückkehr zur Einhaltung der Schuldenregel vorschreibt", schrieb Braun. Der zusätzliche Verschuldungsspielraum solle es ermöglichen, finanzielle Zusatzbelastungen für Bürger und Unternehmen zu verhindern.

Aus der Unionsfraktion, der Braun angehört, kam umgehend breiter Protest. Die Fraktion "hält an der Schuldenbremse im Grundgesetz fest", erklärte der haushaltspolitische Sprecher Eckhardt Rehberg (CDU). Brauns Vorschlag sei "seine persönliche Meinung".

Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung: Grundgesetzänderung wäre ein Dammbruch

Fraktionsvize Andreas Jung (CDU) sagte der "Rheinischen Post" (Mittwochsausgabe), für Notsituationen biete das Grundgesetz mit der Ausnahme-Klausel bereits jetzt "die nötige Flexibilität". Der Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann, bezeichnete die Schuldenbremse in der "Welt" (Mittwochsausgabe) als "eines der wichtigsten politischen Disziplinierungsinstrumente, das die Ausgabenlust des Staates zügelt". Eine Grundgesetzänderung wäre "ein Dammbruch".

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CSU-Chef Söder sagte der "Welt", er sehe "ein dauerhaftes Aussetzen der Schuldenbremse" sehr skeptisch. "Das wäre ein falsches Signal."

Auch CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak äußerte sich kritisch über Brauns Vorstoß. Die CDU bekenne sich "klar" zur Schuldenbremse, schrieb er auf Twitter. "Sie hat die Grundlage geschaffen, dass Deutschland in der Pandemie finanziell handlungsfähig war. In der Krise ermöglicht ihre Notklausel flexibles Handeln", schrieb er weiter.

Lindner: Position hat Charakter einer finanzpolitischen Kapitulation

Angesichts des Protests konstatierte FDP-Chef Lindner bei der Union eine "Orientierungssuche". Die von Braun dargelegte Position habe "den Charakter einer finanzpolitischen Kapitulation", sagte er in Berlin. "Wir werden nicht die Verfassung schleifen, um Politik auf Pump zu perpetuieren."

FDP-Fraktionsvize Christian Dürr sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Schuldenbremse sorge für Generationengerechtigkeit und habe den Staat in der Krise handlungsfähig gemacht. "Dieses Instrument abzuschwächen, wäre unverantwortlich."

Der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Mittwochsausgabe), wer die Regeln der Schuldenbremse schleifen wolle, "schlägt den Rückweg in eine dauerhafte Verschuldungspolitik ein". Das Einhalten und Durchsetzen von "generationengerechten Fiskalregeln" sei "ein Muss".

Skepsis bei der Linken

Anders sieht das die Linke. Parteichefin Katja Kipping sagte der "Welt", die Schuldenbremse sei vor allem eins: "Eine Investitionsbremse und damit volkswirtschaftlich kontraproduktiv. Sie gehört entsorgt." Was Braun vorschlage, sei zwar besser "als der bisherige Schuldenbremsen-Fetischismus der Union, aber noch lange nicht der nötige Abschied von der Investitionsbremse".

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Der Ko-Vorsitzende Bernd Riexinger kritisierte den von Braun ebenfalls geäußerten Vorschlag, die Sozialabgaben bis Ende 2023 "zu stabilisieren" und auf Steuererhöhungen zu verzichten. "Damit würde sichergestellt, dass trotz Lockerung der Schuldenbremse nicht die Reichen und Konzerne, sondern die Lohnabhängigen und Leistungsberechtigten die Krise zahlen", erklärte Riexinger.

Scholz: interessanter Gastbeitrag von Braun

Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz zeigt sich hingegen offen für die Überlegungen von Braun. Es gebe mehrere Optionen, welche Antwort man im Bundeshaushalt mit Blick auf die finanziellen Herausforderungen gebe, erklärte Scholz am Dienstag. Frühere Aussagen aus dem vorigen Jahr, er wolle im Bundeshaushalt 2022 die Schuldenregel wieder einhalten, wiederholte Scholz nicht. Stattdessen unterstrich er: "Für mich als Bundesfinanzminister ist klar: Ich lehne Kürzungen in den sozialstaatlichen Sicherungssystemen ab und werde die Investitionen weiterhin auf Rekordniveau halten, um für künftiges Wachstum und Beschäftigung zu sorgen."

Scholz bezeichnete Brauns Vorstoß als einen "interessanten Gastbeitrag" in einer Zeitung. Der Kanzleramtschef habe darin einen Vorschlag des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung aufgegriffen. "Neben vielen Vorzügen macht dieser Vorschlag hohe gesetzgeberische Eingriffe nötig, die einen breiten parteiübergreifenden Konsens voraussetzen", erklärte Scholz offenkundig mit Blick auf die für eine Grundgesetzänderung erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit.

Der Finanzminister verwies darauf, dass das Kabinett im Frühjahr die Eckwerte für den Haushaltsentwurf 2022 und die Finanzplanung bis 2025 beschließen werde. "Bis dahin muss klar sein, für welche Option wir uns entscheiden", sagte Scholz. Wenn die Krise als Folge der Corona-Pandemie überstanden sei und die Weltwirtschaft wieder anziehe, "werden wir mittelfristig aus den neuen Schulden wieder herauswachsen können". (AFP, Reuters)

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