Erfolgreiche Rechte, dahinter Dreikampf: Brandenburg erwartet eine historische Wahl
In Brandenburg könnte die AfD erstmals stärkste Partei werden. Warum ist das so und welche Folgen hätte das? Die fünf wichtigsten Fragen und Antworten.
Nur noch 17 Tage, dann wird in Brandenburg gewählt. Nachdem seit 1990 hier die Sozialdemokraten alle Landtagswahlen gewannen, droht diesmal ein Sieg der AfD. In einer aktuellen Civey-Umfrage für den Tagesspiegel liegt die AfD mit 21 Prozent erneut klar vorn, wie in allen Umfragen seit Anfang Juni. SPD (18), CDU (17) und Grüne (17) folgen und sind etwa gleich stark. Die politische Tektonik in Brandenburg, einst ein Hort der Stabilität, rutscht. Ein Überblick.
Woraus speist sich der Zulauf für die AfD in der Mark?
Aus Unzufriedenen aller Couleur. Ein Teil der Bevölkerung hat das Vertrauen in die demokratischen Institutionen im Land, ob in Landtag, Regierung, Parteien, verloren, wie schon voriges Jahr eine alarmierende Analyse des Instituts policy matters im Auftrag der Landesregierung feststellte.
Es gebe in Ostdeutschland in Teilen der Bevölkerung eine „ungute Grundstimmung“, formulierte es jetzt etwa Brandenburgs früherer Ministerpräsident Matthias Platzeck, der die Kommission 30 Jahre Deutsche Einheit leitet. Von den herkömmlichen Parteien und ihrer Auseinandersetzung hätten sie sich abgewendet.
„Bei nicht wenigen Menschen hat sich das Gefühl ausgebildet, der Staat, von dem sie das eigentlich erwarten, habe nicht mehr alles im Griff und schütze sie nicht mehr hinreichend.“ Davon profitiert vor allem die AfD. Etwa jeder fünfte Brandenburger hat bei den letzten Wahlen die AfD gewählt, die vom „Flügel“-Mann und Rechtsaußen Andreas Kalbitz geführt wird. Sie hat seit Monaten stabile Umfragewerte um die 20 Prozent – mehr wird es gar nicht.
Es mag paradox klingen: Die AfD hat gar keinen weiteren Zulauf, zumindest bisher nicht: Zur Bundestagswahl 2017 hatten die AfD 301.000 Wähler gewählt, womit sie mit 20 Prozent zweitstärkste Kraft wurde. Zur Europawahl im Mai 2019 machten 238.000 Wähler – fast 60.000 weniger – ihr Kreuz bei der AfD, was für 19,9 Prozent und zum ersten Wahlsieg der Rechtspopulisten in Brandenburg reichte.
Es sieht so aus, dass sich dieses Szenario wiederholen könnte – obwohl die AfD selbst gar nicht stärker wird. Das Problem ist, dass vor allem die SPD, die die Landtagswahl 2014 noch mit 31,9 Prozent klar gewonnen hatte, immer schwächer wird.
Warum steht die SPD so schlecht da?
Brandenburg war früher die sozialdemokratische Bastion in Ostdeutschland, seit 1990 immer von SPD-Ministerpräsidenten regiert. Doch an die Stärke seiner Vorgänger Manfred Stolpe (1990 bis 2002) und Matthias Platzeck (2002 bis 2013) kann Woidke nicht anknüpfen. Nach fast 30 Jahren an der Macht wirken die Genossen personell und inhaltlich ausgezehrt. Selbst Sozialdemokraten halten die jetzige Regierung – seit 2009 führt eine rot-rote Koalition die Geschicke des Landes – für schwach.
Woidke selbst musste in dieser Legislaturperiode sein wichtigstes politisches Projekt absagen, die Kreisgebietsreform. Hinzu kommt der verheerende SPD-Bundestrend. Wenn die SPD im Bund – derzeit zwischen 12 und 14 Prozent – weiter fällt, ist Brandenburg für die SPD verloren.
Wie wollen SPD und Union den Vormarsch der Rechtspopulisten stoppen?
Das Herangehen ist sehr unterschiedlich: Woidke und die Sozialdemokraten setzen in der Endphase offenbar auf eine direkte Auseinandersetzung mit der AfD, auf eine Polarisierung. Die Diktion hat Woidke vorgegeben: Die SPD sei die einzige Partei, die die AfD stoppen könne. Dahinter steckt auch das Kalkül, auf diese Weise der inhaltlichen Auseinandersetzung mit CDU und Grünen aus dem Weg zu gehen. Diese Woche startete Woidke eine Kampagne gegen den Missbrauch von Willy Brandt auf AfD-Wahlplakaten, eine reflexhafte Reaktion auf die Provokation.
Und kurz vor dem Wahltag soll an alle 850.000 Haushalte in Brandenburg eine Zeitung verteilt werden, die über die AfD aufklärt und zur Wahl Woidkes aufruft. Herausgegeben und weitgehend finanziert mit einer Großspende von 76.000 Euro hat sie der Millionär, Unternehmer und Kulturmäzen Rainer Opalka, bekannt durch seine Wölfe-Ausstellung gegen Rechtsextremisten.
Die CDU unter ihrem Chef Ingo Senftleben versucht dagegen, mit dem eigenen Programm zu punkten, mit eigenen positiven Botschaften – vor allem Bildung, Soziales. Er versprach jetzt, dass es mit ihm als Regierungschef bis Ende 2020 kein Funkloch mehr geben wird.
Wie erklärt sich das Hoch der Grünen?
Mit ihrer Glaubwürdigkeit, auch auf Landesebene, wo sie im Landtag mit solider Oppositionsarbeit punkteten. Mit dem Bundeshype. Ihre Botschaften sind klar, was offensichtlich honoriert wird. Für die Grünen war Brandenburg früher eine politische Wüste. Es gab Zeiten, da zitterten sie um die Fünf-Prozent-Hürde.
Jetzt sind sie an den Linken vorbeigezogen, die nach zehn Jahren Rot-Rot im Lande auch in Mithaftung für viele Probleme genommen werden und über den Lunapharm-Skandal ihre Ministerin Diana Golze verloren hatten, die ursprünglich als Spitzenkandidatin für die Landtagswahl vorgesehen war. Was die Linke verliert, legen die Grünen zu. Sie haben zu SPD und CDU aufgeschlossen und sind damit im Finale, wer nächster Ministerpräsident in Brandenburg wird.
Welche Koalitionen wären denkbar?
Brandenburg wird nach Lage der Dinge wohl eine Regierung erhalten, die es in Deutschland so bisher nicht gab. Eine Koalition mit der AfD haben alle anderen Parteien ausgeschlossen. So wird, wenn es beim bisherigen Trend bleibt, der Zweitplatzierte den Auftrag erhalten – was im aktuellen Krimi SPD, CDU oder auch die Grünen sein könnten. Für Zweier-Koalitionen reicht es nicht mehr. Da auch FDP und Freie Wähler gute Chancen haben, in den Landtag einzuziehen, wird es womöglich sogar für Dreierkoalitionen knapp.
CDU-Chef Senftleben würde ein Bündnis von CDU, Grünen und als Dritten entweder der Linken oder der SPD schmieden. Die SPD und auch die Linken hoffen auf Rot-Rot-Grün, was aber nach den aktuellen Werten keine Mehrheit hätte. Und schwer vorstellbar ist auch, dass Woidke – angesichts der politischen, kulturellen Gegensätze von der Energie-, Agrar- bis zur Naturschutzpolitik – eine Regierung mit den Grünen anführt.
Es bleibt nicht viel Zeit für Sondierungen und Koalitionsgespräche. Drei Monate nach der Konstituierung des neuen Landtages muss nach der Brandenburger Verfassung die Regierung stehen. Sonst gibt es gleich wieder Neuwahlen.