Hessens Grünen-Kandidat Al-Wazir: "Bouffier hat sich nie mit Helm und Knüppel ablichten lassen"
Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir über einen möglichen grünen Ministerpräsidenten, das Hoch seiner Partei und den Wandel der Hessen-CDU. Ein Interview.
Ist es Ihnen unheimlich, wenn in diesen Tagen über einen grünen Ministerpräsidenten Tarek Al-Wazir spekuliert wird?
Es gab erst eine Umfrage, bei der wir auf Platz zwei waren. Davon sollten wir uns nicht verrückt machen lassen. Es freut mich, dass wir stark sind. Aber Stimmungen sind noch lange keine Stimmen.
Sie könnten Ministerpräsident werden, wenn die Grünen stärker als die SPD abschneiden sollten. Was würden Sie bevorzugen - eine Ampel mit der FDP oder ein Linksbündnis? Oder würden Sie lieber als Juniorpartner der CDU weiter regieren?
Ich führe keinen Koalitionswahlkampf, sondern kämpfe für starke Grüne. Ich hoffe, dass wir so stark werden, dass niemand an uns vorbeikommt. Vor zehn Jahren haben wir in Hessen schmerzhaft erlebt, was passiert, wenn Parteien sagen, sie regieren nur mit dem einen, mit dem anderen aber nicht. Deshalb haben wir uns geschworen, nie wieder der Krankheit der Ausschließeritis zu verfallen. Am Wahlabend werden wir sehen, was rechnerisch möglich ist. Danach muss man schauen, was in der Sache geht.
Die Hessen-CDU galt immer als besonders konservativ, Volker Bouffier trug als Innenminister den Spitznamen „schwarzer Sheriff“. Hat die Partei sich unter Schwarz-Grün verändert?
Ich glaube, der Veränderungsprozess in der Hessen-CDU hat früher eingesetzt, spätestens nach der Neuwahl 2009. Damals verlor die SPD 13 Prozentpunkte, aber nichts davon kam bei der CDU an. Manchen ist da klar geworden, dass sie mit einem konfrontativen, spaltenden Kurs nicht weiterkommen. Und natürlich ist und bleibt Volker Bouffier ein Konservativer. Aber ich habe in den letzten Jahren gemerkt, dass das Suchen nach einer Lösung und das Ausgleichen viel mehr Bouffier ist, als man vorher so dachte. Immerhin hat er sich nie mit Polizeihelm auf dem Kopf und Knüppel in der Hand ablichten lassen wie Otto Schily als Bundesinnenminister.
Als Sie vor fünf Jahren das erste schwarz-grüne Bündnis in einem Flächenland schlossen, sagten Sie, die Grünen trügen das größere Risiko. Hätten Sie es für möglich gehalten, dass Ihre Partei gestärkt aus der Koalition herausgehen wird?
Ich habe es immer gehofft, aber ich war mir nicht sicher. Als wir die Koalition eingingen, hieß es, der Platz in den Geschichtsbüchern sei uns sicher. Ich habe damals halb im Scherz gesagt: stimmt, es sei nur noch unklar, ob wir da als Helden oder als Deppen enden. Heute kann ich sagen: Wir haben gezeigt, dass man auch in ungewöhnlichen Konstellationen grüne Ziele erreichen kann.
Wie erklären Sie sich, dass die Grünen gerade so beliebt sind?
Man traut den Grünen zu, dass sie sich an der Sache orientieren und Verantwortung übernehmen. Bei den Jamaika-Sondierungen im Bund haben viele gesehen, dass wir auch eine Konstellation ausloten, die wir uns wirklich nicht gewünscht haben. Deshalb profitiert die FDP im Moment auch nicht vom Gewürge der großen Koalition. Christian Lindner dachte, es nutzt ihm, wenn er auf kurzfristige Stimmungen setzt. Aber nun fragen sich viele Leute, warum er die große Koalition kritisiert, wenn er noch nicht einmal versucht hat, es besser zu machen. Der zweite Grund für unsere Beliebtheit ist, dass immer mehr Menschen sich Gedanken machen über Themen der Grünen, vom Klima bis zum Flächenfraß.
Anfang 2017 hieß es: Warum braucht es die Grünen noch? Was hat sich seitdem verändert?
Ich bin seit 29 Jahren Mitglied. Seitdem habe ich schon oft vom Totenglöcklein gelesen: 1990, als wir aus dem Bundestag flogen, 1998, nachdem wir in die Bundesregierung eintraten, 2005, als Joschka Fischer ging. Am Ende war es immer so, dass die Basis, auf der wir standen, breiter geworden ist. Wir haben immer noch nicht besonders viele Stammwähler, aber es sind mehr geworden. Und es gibt immer mehr Menschen, die sich vorstellen können, grün zu wählen.
Vor einigen Jahren gab es schon einmal einen vergleichbaren Höhenflug. Fürchten Sie sich vor dem nächsten Absturz?
Nein. Ich weiß, dass es auch wieder Zeiten geben wird, in denen die Ergebnisse nicht mehr so gut sein werden. Im nächsten Jahr werden wir darum kämpfen müssen, gute Ergebnisse in Ostdeutschland zu bekommen.
Haben die Grünen eine neue Rolle in einer Parteienlandschaft, in der die alten Volksparteien schwächer werden?
Wir bringen einen anderen Stil in die Politik. Das Problem der großen Koalition ist doch, dass sie nur noch um sich selbst kreist. Dann kommen Schein-Kompromisse heraus, die kein Mensch nachvollziehen kann, wie im Fall von Verfassungsschutzchef Maaßen, der ja immer noch im Amt ist. In Hessen klären wir Konflikte in der Koalition erstmal intern. Ich glaube außerdem, dass wir Grünen die Verantwortung haben, den Leuten Mut zu machen. Und ich erlebe immer wieder, wie wichtig es ist, Politik zu erklären. Die Leute sind dann vielleicht immer noch nicht meiner Meinung, aber sie verstehen, warum ich etwas mache.