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Boris Johnson ist für seine "besonderen" Auftritte bekannt.
© Reuters

Prophet Moses, ein Ferrari und Kinderfreuden: Boris Johnson verliert den Faden

Nach einer bizarren Rede von Premier Johnson wächst bei den Konservativen die Frustration: Wieviel Clownerie verträgt das Wahlvolk?

Wenn Regierungssprecher und Kabinettskollegen Fragen nach dem Wohlbefinden des Premierministers beantworten müssen, leuchten im Londoner Regierungsviertel Whitehall sämtliche Alarmlampen. So ist es auch diese Woche wieder, allen tapferen Dementis zum Trotz. Boris Johnson sei „in hervorragender Form“ und verfüge über „stählerne Härte", behauptete Vize-Premier Dominic Raab zur Wochenmitte, fügte aber treuherzig hinzu: „Wir arbeiten als Team.“

In diesem Herbst häufen sich bizarre Auftritte des Regierungschefs. Wie früher der muntere, nie um eine farbige, gelegentlich auch gewagte Formulierung verlegene Journalist Johnson würzt auch der Politiker Johnson seine Ansprachen mit Improvisationen und Witzchen. Als wolle er sich von der Rolle als Staatsmann distanzieren, lädt der kunstvoll Ungekämmte sein Publikum zu Gelächter und Beifall ein – und vernachlässigt dabei, dass manchmal vom Leiter der sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt ein wenig [Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

An diesem Montag verglich sich Johnson vor dem Industrieverband CBI scherzhaft mit dem alttestamentarischen Propheten Moses, ahmte brummend einen Ferrari nach, schwärmte minutenlang von einem Erlebnispark für Kleinkinder – und verlor schließlich den Faden. 21 Sekunden lang wühlte der Premier in seinem Manuskript, stammelte dreimal „Verzeihen Sie mir“. Das Schweigen im Saal wurde immer eisiger.

Dreist behauptete ein Regierungssprecher tags darauf, bei vielen Zuhörern habe die Rede „großen Eindruck“ hinterlassen. So kann man es natürlich auch sagen. „Ohne jede Strategie“, „nichts als heiße Luft“, keinerlei Verständnis für die Sorgen der Wirtschaft, so lauteten die Kommentare der Manager. Hinter vorgehaltener Hand wurden Parteikollegen deutlicher: Richtig frustriert seien sie über die „Amateur-hafte Vorstellung“ von Johnson und seinem engsten Beraterzirkel, berichteten Tory-Abgeordnete der britischen Presse. Die BBC zitierte sogar eine Quelle aus der Downing Street mit dem Satz: „Das funktioniert einfach nicht.“ Umgehend wiesen Beobachter darauf hin, dass sich in der Downing Street auch das Büro von Rishi Sunak befindet. Dem Finanzminister werden starke Ambitionen auf Johnsons Nachfolge nachgesagt.

Stimmungstest bei zwei Nachwahlen

Die schlechte Stimmung in Kabinett und Fraktion hat natürlich nicht nur mit einigen verunglückten Reden zu tun. Zu den jämmerlichen öffentlichen Auftritten gesellen sich hausgemachte Probleme: der ungelöste Dauerkonflikt mit der EU über Nordirland; das Gesundheitssystem NHS im Notstandsbetrieb; eine verunglückte Reform der Pflegeversicherung; die Streichung einer lang versprochenen Schnellbahntrasse im englischen Norden.

Längst fragen auch die innerparteilichen Zweifler: Wieviel Chaos findet das Wahlvolk lustig, bis die Müdigkeit am Slapstick-Premier mit dem weißblonden Haarschopf überhandnimmt? Alles halb so wild, sagen Wohlmeinende. Erfahrende Beobachter fühlen sich zudem an vergleichbare Situationen erinnert: Zur Mitte der Legislaturperiode erleiden selbst erfolgreiche, später mit solider Mehrheit bestätigte Regierungen häufig einen Midterm-Blues. Genau darum handele es sich auch diesmal, beteuerte der Parteichef vergangene Woche vor der Fraktion und versprach: „Am Ende hauen wir Labour wieder weg.“

Beweisen muss sich das bei zwei Nachwahlen im Dezember. In beiden wäre die Wahlniederlage eines Konservativen eine Sensation. Unabhängig vom Ausgang der Abstimmiungen ist sich der „Times“-Kolumnist Matthew Parris, ein Kritiker Johnsons, schon jetzt sicher, der Sinkflug des Premiers habe begonnen: „Es mag Monate oder Jahre dauern, aber es ist nur noch eine Frage der Zeit.“

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