Neuer britischer Außenminister: Boris Johnson ist ein Signal von der Insel an die Welt
Boris Johnson ist Außenminister von Großbritannien. Premierministerin Theresa May setzt gezielt EU-Gegner an die Spitze von Ressorts mit starker Brexit-Verantwortung.
Es gehört zu den Ritualen der britischen Politik, dass die neuen Minister einer Regierung einer nach dem anderen das kurze Stückchen Downing Street bis zur Tür der Nummer 10 spazieren müssen, vorbei an den Fotografen. Sie gehen hinein, sie kommen heraus – und die Gesichter ändern sich, je nach Ergebnis. Als Boris Johnson am Donnerstagabend aus der Tür des Amtssitzes seiner künftigen Chefin Theresa May heraustrat, da wirkte er leicht benommen. Er war jetzt britischer Außenminister, doch sein Gesichtsausdruck zeigte nicht, ob er darüber sehr glücklich war.
Noch vor zwei Wochen hatten viele geglaubt, dass es Johnson sein könne, der das Kabinett ernennt. Der redegewandte Londoner Ex-Bürgermeister hatte sich im Februar auf die Seite der Brexit-Befürworter geschlagen und damit wesentlich dazu beigetragen, dass das Brexit-Lager beim Referendum am 23. Juni rund 52 Prozent der Stimmen holte. Anschließend erklärte Johnson angesichts des fehlenden Rückhalts bei den regierenden Konservativen jedoch, dass er nicht die Nachfolge des inzwischen abgetretenen Premiers David Cameron antreten wolle. Das Rennen gewann May.
In der Kabinettsdisziplin
Mit ihrer Entscheidung bindet sie den umtriebigen Johnson in die Kabinettsdisziplin ein. Ein drittklassiges Ministerium für Johnson, das wusste May, wäre als Erniedrigung verstanden worden, eine Nichtberücksichtigung hätte ihm die Freiheit des Hinterbänklers gelassen, gegen die eigene Regierung zu schießen. Die Ernennung zum Außenminister hingegen ist eine Düpierung der ganz eigenen Art. Denn das Foreign Office ist zwar ein großes, stolzes Ressort, Johnson vertritt Großbritannien damit auf der Weltbühne. Doch es hat in den vergangenen Jahrzehnten an Macht und Gestaltungskraft eingebüßt. Vor allem in der Europapolitik, die stark vom Cabinet Office, also vom Amt des Regierungschefs konzipiert wird. Zudem hat May zwei neue Ressorts geschaffen, die Johnsons Außenministerium Aufgaben wegnehmen – ein Ministerium für internationalen Handel und eines für den Austritt aus der EU. Auch hier kamen zwei Brexit-Hardliner zum Zug, Liam Fox und David Davis. Ein Zuständigkeitsgerangel der drei Brexiter ist nicht auszuschließen. Dazu kommt Andrea Leadsom, die ihre Kandidatur gegen May zurückgezogen hatte, im Umweltministerium – gerade im Umweltrecht dürften die Brexit-Verhandlungen besonders kompliziert werden. Zudem ist sie nun für die Subventionen der Farmer und Fischer zuständig, die bisher aus Brüssel fließen. Auch auf ein internationales Ressort wurde die Austrittsbefürworterin Priti Patel gesetzt - sie kümmert sich um die Entwicklungspolitik, die Großbritannien nach einem Brexit neu konzipieren müsste. Ein besonders prominenter Brexiter, Justizminister Michael Gove, der Johnson als unfähig für das Amt des Premiers bezeichnet hatte und dann erfolglos dafür antrat in der Fraktionswahl, flog aus dem Kabinett. So wie auch der Cameron-Vertraute George Osborne - der Finanzminister ist künftig nur noch Hinterbänkler.
Vertraute für die Innenpolitik
Auf zwei wichtige innenpolitische Ressorts berief May dagegen zwei moderate Remain-Befürworter: Neuer Schatzkanzler ist der bisherige Außenminister Philip Hammond, Mays Nachfolgerin im Innenministerium ist die als eher liberal geltende Amber Rudd. Diese haben wichtige Aufgaben bei der inneren Konsolidierung auf der Insel nach dem gespaltenen Brexit-Votum. Hammond muss die Haushaltspolitik auf eine mögliche Rezession vorbereiten, Rudd steht vor der Herausforderung, die Zuwanderungspolitik neu zu bestimmen. Auch sonst sind vor allem Politiker an die Spitze von innenpolitischen Ministerien gerückt, die sich gegen den EU-Austritt ausgesprochen hatten. Das deutet darauf hin, dass May ihr Kabinett sehr konsequent auf ihre Prämissen hin zugeschnitten hat. Sie will zunächst vor allem ein sozial- und wirtschaftspolitisches Reformprogramm in Großbritannien angehen und die politische Einheit des Königreichs sichern. Dafür sind vor allem Vertraute aus dem Remain-Lager verantwortlich.
Kerry mahnt Johnson
In einem ersten Telefonat legte US-Außenminister John Kerry seinem neuen britischen Kollegen nahe, „vernünftig“ an den Ausstieg aus der EU heranzugehen. In Washington wie in vielen anderen Hauptstädten hält man den Brexit eher für unvernünftig. Johnson, der ein loses Mundwerk hat, wird bei seinen künftigen Dienstreisen wohl häufig an eigene Äußerungen aus früheren Zeiten erinnert werden. Die Politik der EU etwa hatte er mit dem Versuch Adolf Hitlers gleichgesetzt, Europa zu beherrschen. Den amerikanischen Präsidenten Barack Obama bezeichnete er als „Halb-Kenianer“, der von daher eine Abneigung gegen das britische Empire habe. Über die mögliche künftige US-Präsidentin Hillary Clinton sagte er, allerdings schon 2007: „Sie hat den stahlblauen Blick einer sadistischen Krankenschwester in einer Psychiatrie.“
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble meinte am Donnerstag, man solle Wahlkampfäußerungen am besten zu den Akten legen. Er hatte sich mit seinem US-Kollegen Jack Lew in Berlin getroffen, um über die möglichen Folgen des Brexits zu sprechen. Beide riefen dazu auf, alles zu tun, um negative Folgen des britischen Austrittsvotums zu begrenzen. Es gelte, dafür zu sorgen, dass die Beeinträchtigungen „für Großbritannien, für den Rest von Europa, für Deutschland und für die gesamte Weltwirtschaft möglichst wenig negativ ausfallen“, sagte Schäuble. In Brüssel lagen die Reaktionen zwischen Belustigung und Fassungslosigkeit.