Betreuungsgeld: Bist du Krippe oder Herd?
Am Dienstag entscheidet das Bundesverfassungsgericht über das Betreuungsgeld. Ein neuer Koalitionsstreit droht. Bitte nicht!, fleht unsere Kommentatorin.
Am kommenden Dienstag entscheidet das Bundesverfassungsgericht darüber, ob das Betreuungsgeld mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Wahrscheinlich wird es die umstrittene familienpolitische Leistung kippen. Bei der Verhandlung im April jedenfalls ließen die Richter einige Skepsis erkennen. Da gerade Sommerpause und außer Griechenland politisch nicht viel los ist, dürfte es also ab Dienstag eine Neuauflage der Debatte um die „Herdprämie“ geben. Dazu kann man nur sagen: Bitte nicht!
Hamburg hat vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Betreuungsgeld geklagt
Geklagt hatte das Land Hamburg. Das SPD-geführte Bundesland argumentiert, dass der Bund Gesetze im Bereich der „öffentlichen Fürsorge“ nur erlassen darf, wenn diese Gesetze der Herstellung gleicher Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik dienen. Ansonsten ist das Ländersache. Es geht also formal um einen Kompetenzstreit, inhaltlich wird sich das Gericht mit dem Betreuungsgeld nicht befassen. Dennoch wird am Wochenende von beiden Seiten der Koalition gezündelt. Die SPD erklärt das Gesetz schon einmal vorsorglich für tot, sollten die Richter das Betreuungsgeld kippen. Generalsekretärin Yasmin Fahimi sagte im „Spiegel“, Familienministerin Manuela Schwesig solle die frei werdenden Mittel für den Ausbau der Kindertagesbetreuung verwenden, also für „sozialdemokratische“ Politik. Immerhin 900 Millionen Euro hat die Regierung 2015 für die Leistung im Haushalt eingeplant. Gerda Hasselfeldt, die Landesgruppenvorsitzende der CSU hingegen sagte, die Koalition solle dann eben nach einer anderen Möglichkeit suchen, „Eltern Wahlfreiheit zu ermöglichen“.
Wahlfreiheit ist das Stichwort. Es ist das Wort, das die bisherige Debatte um das Betreuungsgeld so unerträglich gemacht hat. Es ist ein verlogenes und zugleich symptomatisches Wort. Denn um nichts ging es weniger als um „Wahlfreiheit“
Die Debatte um das Betreuungsgeld ist zutiefst ideologisch
Die Debatte um das Betreuungsgeld ist eine zutiefst ideologische. Es geht um konkurrierende Familienbilder, nur, dass das keiner zugeben will. Im sozialdemokratischen Leitbild der Familie sind beide Partner erwerbstätig. Das heißt, dass die Kinder von Dritten betreut werden müssen. Dahinter steht ein emanzipatorischer Anspruch. Die CSU und Teile der CDU stehen der Kinderbetreuung durch staatliche Institutionen hingegen skeptisch gegenüber. Sie wollen deshalb finanzielle Anreize setzen, damit Mama zu Hause bleibt. Dahinter stehen konservative Werte.
Letztlich ist es so einfach – und dieser Widerspruch wurde ja keineswegs erst mit dem Betreuungsgeld erfunden. Aber weil beide, Sozialdemokraten wie Konservative, nicht gern den Anschein erwecken wollen, ihre Ideologien bis an den heimischen Herd durchsetzen zu wollen (so viel liberaler Geist ist dann doch noch in den Volksparteien), werden lieber Hilfsargumente bemüht – was letztlich zu einer völligen Überfrachtung der Familienpolitik geführt hat.
Die Familienpolitik ist überfrachtet
Familienpolitik ist Demografiepolitik. Durch finanzielle Anreize sollen Familien dazu bewegt werden, mehr Kinder zu bekommen. Der Chef der Jungen Union schlug neulich sogar steuerliche Strafen für Kinderlose vor.
Familienpolitik ist Arbeitsmarktpolitik. Sie soll Frauen nach der Geburt schneller und mit mehr Stunden zurück auf den Markt bringen, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Und sie soll mehr Frauen in Führungspositionen holen.
Doch während die Ansprüche stetig steigen, ist die Bilanz verheerend. Auf die Zahl der Geburten hatte die milliardenschwere Familienpolitik der vergangenen zehn Jahre kaum Einfluss. Das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut löste kürzlich Aufregung aus, als es darauf verwies, dass Deutschland gemessen an den Geburten pro 1000 Einwohner weltweit sogar den letzten Platz belegt, nach Japan.
Auch die Präsenz von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, besonders in Führungspositionen, stagniert. Auch daran, dass die meisten Mütter Teilzeit arbeiten, ändert sich seit Jahren nur wenig.
Auf diese Art und Weise überladen mit scheinbar unideologischen volkswirtschaftlichen Erwägungen kann Familienpolitik nur als Verlierer dastehen.
Bist du Krippe oder Herd?
Die Wahrheit ist: Ob die Leute eine Familie gründen, ob sich Menschen dafür entscheiden, ein Kind zu bekommen, und welches Familienmodell sie dann wählen, ob sie danach wieder arbeiten möchten oder nicht, hat mehr mit Gefühlen zu tun, als es der Politik lieb sein kann.
Gerade weil die Debatte in Deutschland auch in Zusammenhang mit dem Betreuungsgeld so versteckt ideologisch geführt wird, gerade weil damit inzwischen so viele politische Erwartungen verknüpft sind, treffen junge Eltern diese Entscheidung in einem empfindlichen emotionalen Feld voller diffuser Ängste und Stimmungen. Die Entscheidung für oder gegen ein Kind, für oder gegen den Beruf, geht stets einher mit einer Kategorisierung: Welche Sorte bis du? Krippe oder Herd? Schwesig oder Hasselfeldt? Modern oder gestern? Wer sich das nicht selbst fragt, wer nicht ohnehin schon mit seiner Identität hadert, der wird auf dem Spielplatz gerastert.
Eine neue Debatte über das Betreuungsgeld würde nur eines bewirken: den subtilen Druck verstärken und individuelle Lebensentscheidungen weiter politisch vergiften. Dabei wollen wir doch nur eins: echte Wahlfreiheit.