Politik: Bayerns Prestigeprojekt vor Gericht
Am Dienstag werden die Verfassungsrichter in Karlsruhe über das Betreuungsgeld entscheiden Selbst die Befürworter rechnen mit einem Veto – weil es Zweifel am Gesetzgebungsrecht des Bundes gibt.
Die Aufmerksamkeit wird groß sein: Am Dienstag verkündet das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zum Betreuungsgeld. Es wird erwartet, dass die seit 2013 geltende Familienleistung für verfassungswidrig erklärt wird. So äußerte sich zum Beispiel die frühere Präsidentin des Juristinnenbundes, Jutta Wagner, die eine Gegnerin des Betreuungsgeldes ist. Aber auch die CSU, die ja das Gesetz maßgeblich initiierte, hat diese Befürchtung. Die achtköpfige Richterbank hatte in der mündlichen Verhandlung im April derart massive Zweifel am Gesetzgebungsrecht des Bundes geäußert, dass es schwer sein dürfte, diese zu überwinden.
Beliebte Leistung
Nach neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes gibt es inzwischen 455 000 Bezieher von Betreuungsgeld. Bei der mündlichen Verhandlung im April waren es noch 386 000. Der Zuschuss wird also offenkundig gut angenommen. Voraussichtlich werden die 455 000 ihre Ansprüche behalten, wenn ihr Anspruch rechtskräftig festgestellt ist. Neuanträge könnte es aber wohl keine mehr geben. So sieht es Familienrechtlerin Jutta Wagner. Die Begründung: Wenn der Bund das Gesetz nicht erlassen konnte, kann er auch kein Geld auf dessen Grundlage bewilligen.
Aber warum ist es nicht möglich, dass der Bund ein Betreuungsgeld für Eltern ausschüttet, die ihre Kleinkinder privat betreuen und nicht in einer staatlich subventionierten Kita anmelden? Das liegt am Föderalismus, der im Grundgesetz verankert ist und in den Artikeln 72 bis 74 genau regelt, wann und wofür der Bund zuständig ist und wofür die Länder. Der Bund darf auf dem Gebiet der sozialen Fürsorge zwar durchaus Gesetze erlassen. Das Betreuungsgeld – 150 Euro monatlich für Eltern, die ihr Kind im Alter zwischen 15 Monaten und drei Jahren nicht in eine Kindereinrichtung bringen – ist soziale Fürsorge. Dann kommt jedoch das Aber. Bundesgesetze zur sozialen Fürsorge sind nur dann zulässig, „wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet (...) eine bundeseinheitliche Regelung erforderlich macht“. Im Osten des Bundesgebietes ist die Versorgung mit Kindertagesstätten für unter Dreijährige deutlich besser als im Westen. Die Lebensverhältnisse sind also nicht gleich.
Eltern sollen frei entscheiden
Genau so hat die Bundesregierung auch vor dem Bundesverfassungsgericht argumentiert. Gleichzeitig betonte Bayern jedoch, dass das Betreuungsgeld Eltern die freie Entscheidung überlassen soll, ob sie ihr Kind in eine öffentlich geförderte Einrichtung geben oder es privat betreuen. Die Verfassungsrichter bohrten hier immer wieder nach. Die Prämie soll gerade nicht die Angebotsunterschiede im Bundesgebiet ausgleichen. Deshalb muss ja auch kein Elternteil belegen, dass es einen Kita-Platz für sein Kleinkind nicht bekommen hat und folglich Betreuungsgeld beantragt. Die Leistung soll auch nicht entfallen, wenn es im Westen genauso viele Angebote gibt wie im Osten. Das Betreuungsgeld verfolgt somit gerade nicht das Ziel der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“. Sonst, so formulierte es Bundesverfassungsrichter Andreas Paulus, müsste es einmal auslaufen.
Im Streit um das Betreuungsgeld standen bisher aber andere Argumente im Vordergrund. Beispielsweise dass Mütter durch das Geld am Herd gehalten werden, statt in ihren Beruf zurückzukehren. Kritisiert wurde auch, dass gerade sozial schwache Familien das Betreuungsgeld vorziehen. Gerade diesen Kindern würden damit Chancen für eine frühkindliche Bildung genommen. Hamburg, das gegen das Betreuungsgeld geklagt hat, hatte diese Argumente auch in der mündlichen Verhandlung genannt. Die inzwischen vorliegenden Zahlen scheinen die Kritiker auch zu bestätigen. Zu 94 Prozent sind es Frauen, die das Betreuungsgeld beantragen – und die meisten wollen es für die Höchstdauer von 22 Monaten beziehen. Überproportional viele antragstellende Mütter haben einen ausländischen Pass.
Trotzdem spielten diese Argumente juristisch nicht die Hauptrolle. Denn das Gesetz selbst stellt frei, ob Väter oder Mütter das Betreuungsgeld beantragen. Außerdem können Mütter sehr wohl arbeiten und gleichzeitig Betreuungsgeld beziehen. Auch wenn das Kind der Oma überlassen wird, kann die Mutter die Förderung beantragen. Es ist also nicht offensichtlich, dass das Gesetz Mütter aus dem Berufsleben fernhalten will – auch wenn in der Praxis dieser Effekt naheliegt. Man muss abwarten, was der Erste Senat zu diesen Argumenten sagt, aber der Schwerpunkt in der Verhandlung lag dort nicht.
Generell stellt sich die Frage: Kann der Bundestag das Gesetz nicht nachbessern? Sollte der Bund gar nicht die Zuständigkeit für das Betreuungsgeld haben, wohl nicht. Das Modell „Entweder Kita oder Betreuungsgeld“ müssten die Länder in eigner Regie verwirklichen und wohl auch finanzieren. Es gibt bereits den Vorschlag, der Bund solle die 900 Millionen für das Betreuungsgeld anteilmäßig an die Länder überweisen. Bayern will dann im Freistaat das Betreuungsgeld erneut auf den Weg bringen.
Streit schon vor dem Urteil
Andere Bundesländer wollen aber keinesfalls diese Prämie. Zum Beispiel der Kläger Hamburg. Die Sozialdemokraten, von Anfang an ein Gegner des Zuschusses, haben ebenfalls schon widersprochen. Die frei werdenden Mittel aus dem Bundeshaushalt würden dem Ausbau der Kitas zur Verfügung gestellt, das Betreuungsgeld ersatzlos gestrichen. Das Urteil ist noch nicht gesprochen – doch der öffentliche Streit über die Folgen hat schon begonnen. CSU- Chef Horst Seehofer „scheitert mit dem Betreuungsgeld beim deutschen Verfassungsgericht“, sagte zum Beispiel SPD-Chef Sigmar Gabriel in seinem am Sonntag vorab verbreiteten ZDF- Sommerinterview. CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt erwiderte im „Spiegel“: „Bei einem negativen Urteil sollten wir gemeinsam in der Koalition nach Lösungen suchen, Eltern weiterhin Wahlfreiheit zu ermöglichen.“
Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht war allerdings auch ein merkwürdiges. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig von der SPD wollte das Gesetz erklärtermaßen nie, musste aber der CSU nachgeben. Dann hatte es ihr Ministerium vor dem Bundesverfassungsgericht zu verteidigen. Könnte das ein Grund für ein Scheitern sein?
Engagement vor Gericht
Das kann man ausschließen. Denn zu der Verhandlung in Karlsruhe reiste auch die Bayerische Staatsregierung an, und Ministerin Emilia Müller sowie ihr Prozessvertreter ergriffen häufig das Wort. Außerdem verteidigte das Bundesfamilienministerium durchaus engagiert seine Zuständigkeit. Das ist – Betreuungsgeld hin oder her – glaubwürdig. Denn der Bund hätte bei der Familienförderung gerne mehr zu sagen als bisher.
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