Grüne nach der Bundestagswahl: Bis Jamaika ist der Weg noch weit
Die Grünen könnten als dritter Partner in die Bundesregierung einziehen. Doch Sondierungsgespräche mit Union und FDP dürften schwierig werden.
Abgekämpft sehen sie aus, müde, aber auch erleichtert. Als Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir gegen 18.30 Uhr bei der Grünen-Wahlparty in Neukölln die Bühne betreten, bricht lauter Jubel aus. Die erste Hochrechnung ist da gerade ein paar Minuten her – und es ist klar: Den Grünen ist auf den letzten Metern doch noch ein kleiner Überraschungscoup gelungen. Sie haben sich nicht nur gegenüber der letzten Bundestagswahl verbessert und können auf das zweitbeste Ergebnis ihrer Geschichte verweisen. Als einzige der bisher im Bundestag vertretenen Parteien haben sie außerdem Stimmen dazu gewonnen. „Wer hätte das gedacht“, ruft Spitzenkandidatin Göring-Eckardt in die Halle der ehemaligen Kindl-Brauerei.
Die selbst gesteckten Ziele haben die Grünen zwar verfehlt. Eigentlich wollten sie zweistellig werden und als drittstärkste Kraft nach SPD und Union in den Bundestag einziehen. Doch das ist an diesem Abend nicht mehr so wichtig. Schließlich ist den Grünen etwas gelungen, was sonst eher untypisch für sie ist: „Wir haben auf den letzten Metern zugelegt“, sagt Bundesgeschäftsführer Michael Kellner am Abend. Er ist für die Kampagne verantwortlich und nun „erleichtert, dass die Grünen sich in einem so schwierigen Wahlkampf behauptet haben“. Eine „positive Überraschung“, wie er findet.
Auch Jürgen Trittin, der die Grünen 2013 als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl führte, findet auf der Wahlparty lobende Worte. In den vergangenen Monaten war er mit dem Aufritt der Spitzenkandidaten und deren Strategie, sich nicht auf eine Präferenz für eine Koalition festzulegen, nicht immer einverstanden. Doch nun findet er, dass die Partei sich im Schlussspurt gut gehalten habe. „Die Geschlossenheit der Partei hat sich ausgezahlt“, ist er überzeugt.
Den Grünen stehen komplizierte Gespräche bevor
Wie lange diese Geschlossenheit noch anhält, wird sich erst in den nächsten Wochen zeigen. Denn die Partei steht vor einer schwierigen Entscheidung: Soll sie sich auf eine Jamaika-Koalition mit der Union und der FDP einlassen? Göring-Eckardt und Özdemir signalisieren grundsätzlich Offenheit.
„Wir werden die Einladung zu Gesprächen annehmen“, sagt Özdemir. Doch er nennt zugleich Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung der Grünen. Es müsse „klare Vorfahrt für Klimaschutz“ geben und einen proeuropäischen Kurs. Weitere Stichworte, die Özdemir nennt, sind „Gerechtigkeit“ und „Integration“. Schon am kommenden Samstag könnte ein kleiner Parteitag grünes Licht für Sondierungsgespräche mit Union und FDP geben. Göring-Eckardt spricht von „schwierigen und komplizierten“ Gesprächen.
Die beiden Spitzenkandidaten wissen aber auch, dass sie sich Jamaika-Sondierungen nicht ernsthaft verweigern können. Özdemir selbst hatte im Wahlkampf immer wieder betont, die Grünen könnten den Wählern nicht erklären, dass ihre Regierungsbeteiligung nicht zuletzt wegen der Eisschmelze in der Arktis dringend erforderlich sei, um dann zu kneifen, wenn es nicht für das Wunschbündnis reiche. In den vergangenen Wochen sagte selbst manch ein Vertreter des linken Flügels, man müsse diese in der Partei unbeliebte Option sehr ernsthaft prüfen.
Dennoch ist die Sorge bei den Grünen groß, dass es die Partei in einem Jamaika-Bündnis zerreißen könnte. In Teilen des linken Flügels gibt es große Vorbehalte, sich auf Bundesebene aus dem linken Lager herauszubegeben und einer schwarz-gelben Regierung zur Mehrheit zu verhelfen. „Das wäre unser Tod“, prophezeit eine linke Flügelvertreterin für die nächste Bundestagswahl. „Dann würden wir uns für Deutschland opfern“, fasst sie das Regierungsbündnis mit einer Portion Sarkasmus zusammen.
Auch der Grünen-Europapolitiker Sven Giegold findet die Vorstellung eines Jamaika-Bündnisses „furchtbar“. Trotzdem werde man es „in aller Ernsthaftigkeit“ sondieren müssen, sagt der linke Flügelvertreter. Aber noch sei Jamaika weit weg, sagt er. Beim Klimaschutz erwarten die Grünen deutliche Zugeständnisse von CDU-Chefin Angela Merkel. In dem Zehn-Punkte-Regierungsplan, den die Spitzenkandidaten im Wahlkampf vorgelegt hatten, ist unter anderem die Forderung enthalten, die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke sofort abzuschalten, sowie eine Verkehrswende einzuleiten.
Ein Entgegenkommen in der Klimapolitik reicht nicht
Doch ein Entgegenkommen von Union und FDP in der Klimapolitik würde nicht reichen, damit sich die Grünen zu Jamaika durchringen könnten. In der Schlussphase des Wahlkampfs plakatierte die Partei nicht umsonst den Slogan „Umwelt und Gerechtigkeit“. Grünes Regieren erfordere mehr als Klimaschutz, sagt auch der Europaabgeordnete Sven Giegold. „Auch bei sozialer Ungleichheit, Europa, Handelspolitik und Flüchtlingen müsste ein Koalitionsvertrag eine deutliche grüne Handschrift tragen“, fordert er.
Einem Koalitionsvertrag müsste am Ende die Basis in einer Urabstimmung zustimmen. Bei vielen linken Flügelleuten fiel in den letzten Wochen immer wieder das Stichwort Europa, wenn es um Jamaika ging. Viele Grüne wünschen sich in der Europapolitik eine Abkehr vom strikten Sparkurs – auch mit dem Argument, dass ansonsten die Rechtspopulisten in Europa immer weiter gestärkt würden.