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Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner
© dpa/Michael Kappeler

FDP-Chef Christian Lindner: "Bin gespannt, wie Herr Schulz das der SPD verkauft"

FDP-Chef Christian Lindner spricht im Interview über die Sondierungsergebnisse, die Methode Angela Merkel und die Abkehr von den Klimazielen.

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Herr Lindner, Union und SPD haben sich auf Grundzüge einer Koalition geeinigt. Neuwahlen sind unwahrscheinlicher geworden. Haben Sie sich im November verkalkuliert?

Unsere Entscheidung basierte nicht auf Taktik, sondern auf Überzeugung. Wir wollen das Land erneuern und den Menschen etwas zutrauen. Vor allen die Grünen als linke Partei wollen die Gesellschaft lenken und Menschen erziehen. Gerade haben die Grünen die Sondierungsergebnisse als unmenschlich bezeichnet, weil es mehr Rationalität in der Flüchtlings- und Klimapolitik gibt. Das zeigt, dass bei denen noch viel Blauäugigkeit im Spiel ist. Die Sondierungspapiere von Union und SPD enthalten weniger innere Zerrissenheit als Jamaika. Sie sind besser als befürchtet, aber zur Gestaltung der Zukunft dennoch zu wenig.

Sie haben Ihren Ausstieg aus Jamaika damit begründet, dass Sie einem „Weiter so“ nicht die Hand reichen wollen. Geht es nun weiter so?

Ja. Der Plan von Union und SPD ist die Verlängerung des Status quo. Auch die Methoden bleiben dieselben. Beispielsweise gibt es wie 2013 ein großes Rentenpaket. Es geht voll zulasten der Generation der unter 50-Jährigen. Nötig wäre die Bekämpfung individueller Altersarmut, ein flexibler Renteneintritt und die Verbesserung der persönlichen Vorsorge, damit die Rente auch fair für die Enkelgeneration ist. Stattdessen wird versucht, Menschen im Hier und Jetzt mit Geld zu besänftigen, statt es zu nutzen, um Zukunft zu gestalten.

Ist das die „Methode Merkel“, von der Sie zuletzt gesprochen haben?

Man sieht jedenfalls, wie Frau Merkel Regierungen zusammenbaut. Konflikte und Widersprüche werden mit Geld zugeschüttet. Das macht den Staat groß, ineffizient und teuer. Diese Methode ist nicht auf Dauer angelegt. In Frankreich kann man gerade sehen, wie es anders geht. Präsident Macron macht eine Erneuerungspolitik. Er ist bereit, Reformen gegen Widerstände durchzusetzen. Diesen Mut hatte bei uns zuletzt Gerhard Schröder. Seither scheut die deutsche Politik grundlegende Veränderungen. Etwa im Bildungssystem. Jeder weiß doch, dass die Konkurrenz zwischen 16 Ländern mehr Reibungsverluste als Qualität produziert. Der Bildungsföderalismus ist eine Lebenslüge der deutschen Politik, die wir überwinden sollten.

Sie wollen eine ganze Bildungsreform, die Sondierer haben erst mal den Weg für Investitionen des Bundes in Schulen freigemacht. Was ist daran auszusetzen?

Diesen Fortschritt kann man in Millimetern messen, es ist nur ein Schrittchen in die richtige Richtung. Bei Jamaika war aber noch nicht einmal der mit der CSU und dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) möglich. Was das Land braucht, das ist eine offensive Mitfinanzierung von Bildungsaufgaben durch den Bund und ein Konzept, mit dem die Qualität der Bildung insgesamt erhöht wird und die Leistungen bundesweit vergleichbar werden. Das Tempo der Veränderungen in Deutschland passt nicht mehr zum Tempo des Wandels in der Welt.

Union und SPD wollen den Familiennachzug bei subsidiär geschützten Flüchtlingen auf 1000 Personen pro Monat begrenzen. Können Sie einer solchen Lösung im Bundestag zustimmen?

Elemente der Regelung entsprechen in etwa unseren Vorschlägen. Aber wir müssen das im Detail beraten, unser Ansatz ist differenzierter. Die FDP will den Familiennachzug auch aussetzen, allerdings sprechen wir uns für eine humane Lösung von Härtefällen aus. In unserem Gesetzentwurf haben wir zudem vorgesehen, dass Flüchtlinge ihre Familien nachholen können, wenn sie durch Arbeit selbst ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Insofern ist unser Vorschlag individueller am Schicksal der Menschen orientiert.

Auch eine schrittweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags haben die Sondierer beschlossen. 90 Prozent aller Zahler des Zuschlags sollen voll entlastet werden. Entspricht das nicht Ihren Forderungen?

Nein, diese Zahlen kommen aus dem Repertoire der Taschenspielertricks. Den Menschen ist versprochen worden, dass der Soli im Jahr 2019 komplett ausläuft. Finanziell wäre das angesichts des enormen Haushaltsüberschusses darstellbar. Eine Entlastung von zehn Milliarden Euro ist ein schlechter Witz. Denn das sind nicht einmal 50 Prozent des jährlichen Aufkommens von schätzungsweise 22 Milliarden Euro im Jahr 2021. Die Steuerreformen in den USA und in Frankreich werden uns unter Druck setzen. Neben besseren Abschreibungsregeln für Investitionen sollten wir als Reaktion komplett auf den Soli für Bürger und Betriebe verzichten. Wir können uns nicht leisten, bald die höchsten Belastungen der Welt zu haben.

Die Parteien sind zu höheren Beiträgen Deutschlands zum EU-Haushalt bereit. Haben Sie Sorge, dass das am Ende zu einer Zustimmung Deutschlands zum Euro- Zonen-Budget führt, das sich Frankreichs Präsident Marcon wünscht?

Ja, die Relativierung der finanzpolitischen Eigenverantwortung in Europa schimmert durch. Deshalb hat Macron die Sondierungsergebnisse begrüßt. Ich bin für ein starkes Europa und den Schulterschluss mit Frankreich. Dafür müssen wir aber eigene Positionen und Interessen markieren. Neue Geldtöpfe und leichtere Kredite für die Politik würde nur den Berlusconis helfen, Modernisierungen zu verschleppen. Statt Regeln der Stabilität für alle aufzuweichen schlage ich vor, dass es neue Investitionsfonds für privatwirtschaftliche Vorhaben gibt – etwa in wachstumsstarken Feldern wie Elektromobilität, künstliche Intelligenz und Biotechnologie.

Sind Sie irritiert darüber, dass die Union jetzt so schnell dabei war, das Klimaziel 2020 einzustampfen? In den Sondierungen zu Jamaika hatte sich die CDU da ja noch auf die Grünen zubewegt.

Das ist eine bemerkenswerte Volte. Ein Indiz für die Bereitschaft, Grundpositionen mal eben um 180 Grad zu ändern. Während der Jamaika-Verhandlungen wollte Frau Merkel selbst noch 40 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich einsparen. Wir haben vor den physikalischen und ökonomischen Folgen gewarnt. Dafür wurde die FDP öffentlich in die Nähe von Donald Trump gerückt. Jetzt plötzlich gibt es einen neuen Klimarealismus der CDU. Der echte Durchbruch ist es aber noch nicht. Dafür müssten wir von Subventionen und Verboten hin zu einem echten marktwirtschaftlichen System wechseln, das CO2 europaweit und in allen Bereichen mit einem Preis ausstattet. Im Gegenzug müsste man Belastungen wie die Stromsteuer zurücknehmen und endgültig Abschied nehmen von Jürgen Trittins falsch konzipierter Energiepolitik.

Frau Merkel hatte im Wahlkampf noch versprochen, die Regierung werde Wege finden, das Klimaziel bis 2020 einzuhalten. Trotzdem verzichten Sie darauf, ihr Täuschung vorzuwerfen.

Ich werde niemandem vorwerfen, wenn er klüger und realistischer wird. Den Umgang mit Wahlaussagen und die Wendigkeit bei Grundpositionen können die Menschen auch ohne Kommentar von mir einordnen.

Schule, Familiennachzug, Soli – insgesamt ziemlich viel FDP in diesem Sondierungspapier, oder?

Im Vergleich zu Jamaika weniger grün, ja. Genug FDP nicht.

Hadern Sie mit Ihrer Entscheidung von November?

Wieso sollten wir? Ganz im Gegenteil war es eine Investition in unsere Glaubwürdigkeit. Jeder kennt jetzt unsere Entschlossenheit. Beides wird uns helfen, wenn es in der Zukunft um die Beteiligung an einem wirklichen Erneuerungsprojekt geht.

Kompromisse zu finden ist zwischen Parteien mit unterschiedlichen politischen Zielen immer schwer. Was haben Merkel, Schulz und Seehofer richtig gemacht, was bei den wochenlangen Jamaika-Verhandlungen schiefgelaufen ist?

Die Groko hat im Vergleich zu Jamaika in kleineren Gruppen und wesentlich konzentrierter gearbeitet. Allerdings muss man sagen, dass die Widersprüche zwischen Union und SPD wesentlich kleiner sind als zwischen CSU, Grünen und FDP. Wir hatten daher ja immer nur von einer Chance fifty-fifty gesprochen. Das ist eine positive Botschaft. Das heißt, dass es sehr wohl einen Unterschied macht, wen man wählt, und dass die demokratischen Parteien sich sehr wohl unterscheiden.

Was würden Sie heute anders machen?

Einem solchen Verfahren wie bei den Jamaika-Sondierungen würden wir nicht mehr zustimmen – was die Größe der Delegation anbelangt, aber auch die Dauer. Viel schneller müssten die Punkte auf den Tisch: Was geht, was geht nicht? Um nicht falsche Erwartungen zu wecken. Heute weiß ich, dass die anfängliche Kritik an der FDP aus der Wirtschaft sich überhaupt nicht darauf bezog, dass wir ausgestiegen sind, sondern dass es so lange gedauert hat.

Können Sie der SPD das Bündnis mit der Union empfehlen?

Die SPD braucht keinen Ratschlag von mir. Ich bin aber trotzdem gespannt, wie Herr Schulz das seiner Partei verkauft. Es ist insgesamt ein Papier mit einem sozialdemokratischen Duktus. Aber die großen Trophäen für die SPD fehlen dieses Mal.

Und wenn die SPD-Mitglieder Nein sagen?

Davon gehe ich nicht aus. Falls wider Erwarten doch, sollte es Neuwahlen geben. Schließlich hätte sich die politische Landschaft dann seit der Bundestagswahl so grundlegend verändert, dass die Bürgerinnen und Bürger das neu beurteilen müssten.

Frau Merkel ist noch immer CDU-Chefin. Würden Sie im Fall von Neuwahlen eine Koalition mit der Union unter ihrer Führung ausschließen?

Frau Merkel hat verständlicherweise das Interesse, ihre bisherige Politik fortzusetzen. Das erschwert ein Erneuerungsprojekt. Wir sind aber bereit zur Übernahme von Verantwortung, wenn es die personelle und politische Konstellation erlaubt. Bei den Grünen ändert sich derzeit etwas in der Spitze, es würden im Fall von Neuwahlen ja auch neue Programme aufgestellt. Was daraus würde, weiß man nicht.

Jetzt sieht es allerdings so aus, als ob tatsächlich ein Bündnis aus Union und SPD kommt. Für die FDP wäre es am besten, wenn das eine schlechte Groko wird, oder?

Nein. Wenn die Regierung gut ist, muss die Opposition sich eben mehr einfallen lassen. Für das Land wäre das gut. Ich wünsche Deutschland also eine kreative und gute Regierung.

Den größten Beifall für den Abbruch der Jamaika-Sondierungen bekamen Sie von den AfD-Wählern. Den Wählern einer Partei, die Sie in der Vergangenheit stark verurteilt haben. Sind alle AfD-Wähler für Sie völkische Nationalisten?

Nein. Ein Drittel der AfD-Wähler sind kulturpessimistische Menschen, die völkische Ideen teilen. Ein Drittel sind Protestwähler, die wie Flugsand bei jeder Wahl zwischen den Parteien hin und her geweht werden. Ein Drittel sind aber verärgerte Wähler der bürgerlichen Mitte, denen Union, SPD und FDP ein Angebot zur Rückkehr machen müssen.

Was ist denn Ihr Rezept, um diese Wähler zurückzuholen?

Ich rate von der grünlichen moralischen Überheblichkeit ab. Man macht die AfD nicht mit Moralisieren oder Ausgrenzen klein, sondern indem die Probleme gelöst werden, die diese Partei großgemacht haben. Und das waren keine sozialpolitischen Probleme, sondern die Flüchtlings- und Integrationspolitik von Frau Merkel.

Ihre Oppositionsarbeit in allen Ehren, aber Probleme lösen geht in der Regierung nun mal am besten.

Klar ist doch: Jamaika wäre ein Wählerbeschaffungsprogramm für die AfD gewesen. Bei der Klimapolitik haben aus der Union Leute davor gewarnt, dass es dann den ersten AfD-Ministerpräsidenten im Osten hätte geben können, weil dort im Bereich Braunkohle sichere Arbeitsplätze verlorenen gegangen wären. Und zwar ohne dass es einen sinnvollen Beitrag zur Begrenzung der Erderwärmung geleistet hätte.

Das Interview führten Maria Fiedler und Antje Sirleschtov.

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