Klimaschutz taugt nicht als Wahlkampfthema: Bierzelte und Talkshows haben ihre eigene Dynamik
Der Klimaschutz ist keine Frage der Erkenntnis, sondern eine der technischen Umsetzung. Details aber können das Publikum schnell ermüden. Ein Kommentar.
Die Grünen haben gewonnen, Klimaschutz wollen jetzt alle (bloß die AfD ziert sich). Ob Parteien oder Kirchen, Gewerkschaften oder ein Großteil der Medien: In fast jeder politischen und gesellschaftlichen Institution spiegelt sich die Bereitschaft der Menschen in Deutschland wider, die globale Erderwärmung bekämpfen zu wollen.
Das Erkenntnis- und Überzeugungsproblem hat sich in eines der technischen Umsetzung verwandelt. Es geht ums Wie, nicht mehr ums Ob. Brauchen wir eine Solardachpflicht bei Neubauten? Um wieviel Cent soll Benzin teurer werden?
Müssen wir stärker regulieren oder auf Innovation setzen und den Kräften des Marktes vertrauen? Wie lässt sich die Lenkungsfunktion von Umweltschutzabgaben sozial verträglich gestalten?
Das aber sind Debatten für Spezialisten, die sich über komplizierte Sachverhalte in einer Fachsprache verständigen. Für Bierzelte oder Talkshows ist derlei ungeeignet. Den ganz großen philosophischen Bogen vom Klimaschutz und der Bewahrung der Schöpfung zu den Themen Freiheit und Gerechtigkeit kann allenfalls ein Robert Habeck schlagen.
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Doch Tiefgründiges ist meist ebenso wenig wahlkampftauglich wie Expertenprosa. Nato-Nachrüstung, Freiheit statt Sozialismus, blühende Landschaften, Irakkrieg, rote Socken: Solche Kontroversen taugen zur Polarisierung und Profilierung.
Diskussionsrunden indes, die sich im Zuruf „Wir auch, wir auch, aber ein bisschen anders“ erschöpfen, gefolgt von entsprechenden Details, bergen die Gefahr in sich, das Publikum zu ermüden. Rhetorisch sind die Vereinfacher – Mallorca-Urlaub und Grill-Abende müssen bleiben! – klar im Vorteil.
Klimaschutz ja, aber bitte in Maßen
Das wissen auch die Grünen, daher ihre neuerliche Radikalitätsangst. Als identitätsstiftendes Thema wurde ihnen der Klimaschutz geklaut. Wie schnell der Vorwurf verfängt, eine „Verbotspartei“ zu sein, haben sie schmerzlich erfahren.
Außerdem drückt sich, nach mehr als einem Jahr Corona, die Grundstimmung in Deutschland eher in einem Bedürfnis nach alter Stetigkeit aus als in einer Sehnsucht nach neuer Disruption. Klimaschutz ja, aber bitte in Maßen.
Der oft gehörte Einwand, sich jetzt zu mäßigen, habe vor allem zur Folge, morgen maßlos sein zu müssen, weil die Entwicklung dramatisch schnell verlaufe, klingt einleuchtend. Die stark auf die Gegenwart fokussierten Sinne erreicht er meistens nicht.
Ein Spiel auf Zeit, die wir nicht haben
Das liegt auch daran, dass sich in die Bereitschaft zum Klimaschutz der Zweifel mischt, inwieweit in Deutschland geübter persönlicher Verzicht die Katastrophe wirklich aufhält. Was bewirken nationale Maßnahmen bei der Bekämpfung eines globalen Phänomens?
Ein Beispiel: Die Kohlendioxid-Emissionen in China werden bis 2030, das sagt Präsident Xi Jinping, weiter zunehmen. Immer noch wird mehr als die Hälfte des chinesischen Energiebedarfs durch Kohlekraftwerke gedeckt. Das Verbot des Bauens neuer Kohlekraftwerke wurde aufgehoben.
Wohldosierter Klimaschutz – ist das nicht ein Widerspruch in sich? Ein Spiel auf Zeit, die wir nicht haben? Vielleicht ist es das. Die Zumutung, einen solchen Widerspruch auszuhalten, ist groß. Sie sollte freilich nicht dazu führen, an den demokratischen Prozessen zu verzweifeln und das „langsame Bohren harter Bretter“ (Max Weber) für überholt zu halten.